Öffentliche Anhörung „Neustart für die Wirtschaft in Deutschland und Europa“

Am 27. Mai fand eine öffentliche Anhörung „Neustart für die Wirtschaft in Deutschland und Europa“ im Wirtschaftsausschuss des Deutschen Bundestages statt. Ich habe sie mir angesehen und werde Auszüge morgen in meinem Podcast besprechen.

Ansehen kann man sie hier:

→ bundestag.de: “Öffentliche Anhörung “Neustart für die Wirtschaft in Deutschland und Europa”, 27. Mai 2020

Es ist eigentlich eine wenig überraschende Anhörung, da die Politiker immer gern den jeweils selbst eingeladenen Experten befragen: die Grünen Dr. Patrick Graichen, die AfD Prof. Dr. Max Otte (der betonte, das letzte Mal von der SPD eingeladen gewesen zu sein), die SPD – Prof. Dr. Jens Südekum und Dr. Andrä Gärber , die Union Prof. Dr. Michael Eilfort, Dr. Volker Treier und Prof. Dr. Gabriel Felbermayr und die Linke den DGB-Vertreter, Stefan Körzell. 

Dennoch war es interessant, wie wir morgen hören können.

Professor Otte hat ein ausführliches Papier eingereicht, das mir natürlich deshalb gut gefällt, weil es meine Ansichten nach dem Märchen vom reichen Land und von CORONOMICS am besten zusammenfasst. Da es sich hierbei um keine politischen, sondern ausschließlich um ökonomische Aussagen handelt, greife ich ein paar Highlights heraus:

  • “(…) Corona nur der Auslöser für eine längst überfällige Krise des Weltfinanzsystems und der Weltwirtschaft war, die aufgrund der Geld- und Wirtschaftspolitik der letzten Jahrzehnte in der ein oder anderen Form sowieso erfolgt wäre. Der Reset des Weltfinanzsystems, das von der Droge des billigen Geldes abhängig ist, wurde bereits vor Corona angedacht und auf verschiedene Weise vorbereitet, z. B. durch Gedankenspiele zu einer Vermögensabgabe, der zunehmenden Bargeldverdrängung, der Bankenabwicklungsrichtlinie der Europäischen Union und anderen Maßnahmen. Der Corona-Schock wird diese Entwicklung beschleunigen.” – bto: Dies ist die Kernthese von CORONOMICS.
  • “Nahezu alle entwickelten Industrienationen haben versucht, die Folgen der Finanzkrise durch Niedrig- und Negativzinsen sowie eine globale Geldschwemme zu bekämpfen. Strukturreformen wie zum Beispiel ausreichendes Eigenkapital, ein Verbot oder eine strenge Regelung für toxische Finanzprodukte oder eine Finanztransaktionssteuer fanden nicht oder unzureichend statt oder geradezu kontraproduktiv umgesetzt.” – bto: So ist es und die Folgen sind sehr problematisch.
  • “Die Schuldenorgie hat nicht nur eine Wachstums- sondern auch eine Verteilungswirkung. Profiteure dieser Entwicklung waren überwiegend die Staaten, die sich billiger verschulden konnten und große Kreditnehmer (Konzerne, Private Equity, Family Offices), die sich billig verschulden und Vermögenswerte erwerben konnten. Einen Großteil der Zeche zahlt die Mittelschicht in Nationen mit hoher Sparneigung, zum Beispiel in Deutschland.” – bto: Es ist unstrittig und diese Verteilungswirkung, die übrigens seit rund 40 Jahren so erfolgt, nur immer mehr beschleunigt, ist die klare Folge der Geldordnung – ein Punkt, den Umverteilungsökonomen wie Thomas Piketty immer verdrängen.
  • “Die Politik nach der Finanzkrise war in keinerlei Weise geeignet, das Produktivitätswachstum wieder zu erhöhen. Im Gegenteil, die getroffenen Maßnahmen waren geradezu dazu geeignet, das Produktivitätswachstum zu drücken. Ein negatives Produktivitätswachstum – eine sinkende Arbeitsproduktivität – scheint nicht ausgeschlossen, wenn wir so weitermachen.” – bto: In der Tat lag das Produktivitätswachstum bei null, in diesem Jahr ist es garantiert negativ.
  • “Die Eurozone funktioniert in dieser Form nicht und wird in der Folge zu erheblichen politischen Problemen in der EU sowie am Ende zu einer grundlegenden Reform der EU führen. (…) Seit der Eurokrise 2010 wissen wir, dass die scheinbare Konvergenz der Länder in der Eurozone eine Illusion war. Die Zinsspreads explodierten, und nur dank massiver Intervention der Staaten und Notenbanken konnte bis heute der Euro aufrechterhalten werden. (…) Das Rezept der Finanzkrise wurde diesmal auf europäischer Ebene angewandt: Schulden und Kredite. Die schwachen Länder der Eurozone können damit weiter importieren und innereuropäische Handelsbilanzdefizite aufrechterhalten. Anpassungsdruck wird weggenommen (…) die massive Verschuldung geradezu dazu genutzt wird, die weitere Zentralisierung zu beschleunigen, ohne die wirklichen Probleme zu lösen. Die diskutierten Corona-Bonds sowie die Merkel-Macron-Initiative für „Wiederaufbaufonds“ zeigen in dieser Richtung.” – bto: Auch das ist zutreffend.
  • “Bereits 2013 schockierte die Europäische Zentralbank mit einer Studie, nach der die Deutschen beim Haushaltsvermögen das Schlusslicht der Eurozone bildeten. Danach waren italienische Haushalte durchschnittlich viermal so reich, selbst griechische doppelt so reich wie die Deutschen. Und das, obwohl die Deutschen im internationalen Vergleich eine hohe Sparquote haben. (…) Die Deutschen legen ihr Geld schlecht an, nämlich überwiegen in Konto- und Sparguthaben sowie in Lebens- und Altersversicherung. Aktien- und Immobilienbesitz sind im internationalen Vergleich niedrig. (…) Deutschland insgesamt legt sein Auslandsvermögen schlecht an, nämlich zu einem großen Teil ebenfalls in Geldforderungen, die keine oder kaum Zinsen einbringen und zudem von der Inflation in Mitleidenschaft gezogen werden. Alleine in der Zeit seit der Finanzkrise hätte Deutschland zwischen zwei und drei Billionen Euro zusätzliches Auslandsvermögen aufbauen können, wenn wir unser Geld ähnlich gut angelegt hätten wie Kanada oder Norwegen. Pro Kopf wären das zwischen 28.000 und 37.500 Euro.” – bto: Ebenso diesen Punkt habe ich immer wieder bei bto diskutiert. 
  • “Der für Deutschland zu niedrige Euro hat aber neben der Tatsache, dass die Deutschen verarmen, auch drei weitere negative strukturelle Auswirkungen: Andere Länder, bzw. die Unternehmen anderer Länder, kaufen massiv deutsche Unternehmen und Aktien. Selbst die USA, die ein großer Nettoauslandsschuldner sind, nutzen die niedrigen Zinsen, um deutsche Unternehmen zu kaufen, von dem Ertrag deutscher Unternehmen zu profitieren und hier mitzureden. (…) Der Anpassungsdruck für deutsche Unternehmen, ihrer Produktivität zu steigern und angemessene Löhne und Gehälter zu zahlen, ist gering. Stattdessen haben wir in Deutschland einen massiven Anstieg der Beschäftigung im Niedriglohnsektor. Das ist ein Pyrrhussieg. Dass es auch anders geht, zeigt die Schweiz. Die deutsche Wirtschaft hat eine zu hohe Exportlastigkeit und wird damit besonders krisenanfällig, während im Lande die Infrastruktur verfällt.” – bto: Das sind meine Kritikpunkte aus dem Märchen vom reichen Land.
  • “Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft, rechnet aufgrund des Virus mit einem Rückgang der Globalisierung. Die Unternehmen würden ihre Wertschöpfungsketten robuster aufstellen, und das sei gut so. Was bereits in den letzten Jahren begann, wird nun durch die Corona- Krise beschleunigt. Die amerikanische Regierung unter Präsident Donald Trump arbeitet offenbar unter Hochdruck daran, industrielle Lieferketten aus China zu entfernen.” – bto: Das ist einer der Treiber für künftig höhere Inflation.
  • “Besser wäre es gewesen, sinnvoll in Zukunftsprojekte zu investieren und die Binnenwirtschaft zu stärken. Das schließt intelligentes Sparen bei Staatsausgaben an vielen Stellen nicht aus. Die privaten und öffentlichen Investitionen machen in Deutschland 21,8 % des BIP aus, was zwar deutlich über den USA (21,1 %) und dem UK (16,4 %) liegt, aber gleichzeitig deutlich hinter Frankreich (23,3 %), Japan (24,6 %) und Österreich (25,7 %). Spitzenreiter sind Korea (31,4 %) und das rohstoffreiche Norwegen (28,2 %). Der japanische Staat investiert mit 3,8 % des BIP fast im Vergleich zu Deutschland mit 2,4 % immerhin 60 % mehr. Stelter. ‘Wir wissen allerdings, dass diese Strategie (zu) geringer (staatlicher, Anm. d. Verf.) Investitionen in mehrfacher Hinsicht falsch ist:
    • Zu geringe Investitionen verschlechtern die Standortbedingungen,
    • weshalb sie dazu beitragen, dass die privaten Investitionen zurückgehen,
    • was wiederum weitere private Investitionen unattraktiv macht,
    • was die Produktivitätszuwächse, die dringend benötigt werden, verhindert.’“ – bto: Hier zitiert Otte aus meinem Buch, wie könnte ich also widersprechen?
  • Durch sinnvolle staatliche Investitionen statt sinnlosem Konsum sowie Förderung von Privatinitiative und Unternehmertum muss Deutschland auf den Pfad des Produktivitätswachstums zurückkehren, um damit seine Leistungsfähigkeit, die einzigartige Sozialpartnerschaft und den sozialen Konsens zurückzugewinnen, die unser Land so erfolgreich gemacht haben.” – bto: Auch hier kann man nur zustimmen!

Dann geht es um die Frage, wer das bezahlen soll:

  • “In seiner legendären Denkschrift von 1943/44 legt der spätere Bundeskanzler Ludwig Erhard dar, wie der Neustart der deutschen Wirtschaft dem Zweiten Weltkrieg und der Abbau der immensen Schulden gelingen kann. Im Detail bespricht er drei Wege: 1. die Vermögensabgabe, 2. die dosierte Inflation und 3. die Schuldenannullierung. Erhard bezeichnet alle drei Wege als ‘Scheinlösung’, weil sie alle das eigentliche Problem nicht dauerhaft lösen: Die laufenden Ansprüche einer Volkswirtschaft müssen aus dem laufenden Einkommen erwirtschaftet werden (wenn kein Auslandsvermögen vorhanden ist). Die drei Scheinlösungen bewirken zwar eine gewisse Vermögensumverteilung und Strukturveränderung der Wirtschaft, aber es ist keinesfalls gesagt, dass die Wirtschaft danach zukunftsfähig ist.” – bto: Das gilt letztlich auch heute noch.
  • “In Principles for Navigating Big Debt Crises untersucht der erfolgreiche US-Hedgefondsmanager den Verlauf von 48 historischen Schuldenkrisen und beschreibt vier Lösungen: 1. Sparprogramme, 2. Schuldenerlasse und Restrukturierungen, 3. Gelddrucken der Notenbank, 4. Umverteilung von Vermögen und Kredit von denen, die mehr haben, als sie benötigen, zu denen, die weniger haben.” – bto: Auch das haben wir ausführlich hier besprochen.
  • “Wenn zum Beispiel eine Vermögensabgabe rechtlich nicht zulässig sein sollte, so wären es doch zum Beispiel höhere Grundsteuern, wenn sie politisch korrekt beschlossen würde. Allerdings treffen diese Maßnahmen wieder überwiegend die Mittelschicht, während die wirklich Vermögenden sie weitgehend umgehen können. Eine Reform des Steuersystems ist also dringend geboten – eine Senkung der Steuer- und Abgabenlast für Mittelschicht und Mittelstand sowie eine moderate Erhöhung bei wirklichen Großverdienen und großen Vermögen.” – bto: Auch das deckt sich mit meinen Überlegungen.
  • “Ich schließe mich Daniel Stelters Vorschlag eines europäischen Schuldentilgungsfonds an: Die Europäische Zentralbank kauft einfach Schulden in Höhe von 75 % des BIP eines jeden Landes schrittweise bei der Ausgabe neuer Anleihen auf. Diese werden in einem Schuldentilgungsfonds eingebracht. Die Forderungen der EZB gegen den Fonds werden auf 100 Jahre gestreckt und damit praktisch entwertet. Alle Staaten nehmen unabhängig von ihrem Schuldenstand an diesem Pooling teil. Das heißt, auch die Schulden Deutschlands werden um 75 % des BIP reduziert. Da wir in einer Währungsunion mit Ländern sind, die auf Monetisierung setzen werden, (…) könnten wir diesen Weg nicht lange verhindern. ‘Wenn wir ihn nicht verhindern können, müssen wir unsere Interessen so vertreten, dass wir ebenfalls von diesem Instrument Gebrach machen. Deshalb ist es wichtig, einen Prozentsatz vom Vorkrisen-BIP also Basis zu wählen, und zwar einen für alle Länder gleichen.’” – bto: So zitiert er mich. Und ich bleibe bei meiner Meinung, denn alles andere wäre – nicht nur für Deutschland – Wahnsinn.