Nun glaubt auch Henrik Müller an die Inflation

“Willkommen im Club!”, kann man da nur rufen. Henrik Müller ist nun auch davon überzeugt, dass wir vor einer Rückkehr der Inflation stehen müssen. Denn die Alternative mag man sich gar nicht vorstellen. In seiner Kolumne beim manager magazin hat er ein paar interessante Aspekte zur Hand:

  • “Es war eine bemerkenswerte Rede: In der abgelaufenen Woche kündigte Jerome Powell, der Chef der US-Notenbank Fed, an, künftig höhere Inflationsraten anzustreben. Phasenweise jedenfalls. Auf Zeiten mit sehr schwacher Preisdynamik, so wie derzeit, sollen nun Phasen mit mehr Inflation folgen. Künftig will die  Fed nicht mehr unbedingt gegensteuern, wenn die Preissteigerungsraten über zwei Prozent steigen, sondern die Dinge eine Zeitlang laufen lassen. Der Zwei-Prozent-Schwellenwert soll nur noch im längerfristigen Mittel gelten.” – bto: Wir machen offiziell alles, um endlich die Inflation über das gewünschte Maß zu heben. Ob es gelingt, ist offen, doch wenn es gelingt, ist klar, in welche Richtung das gehen soll bzw. wird. Denn wenn sie erst mal an Fahrt gewinnt, entwickelt sie eine Eigendynamik.
  • “(Seit Jahren) bemühen sich Notenbanken (…) um höhere Inflationsraten. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat im Zuge ihrer Maßnahmen gegen die Corona-Rezession noch mal ein paar Schippen draufgelegt. EZB-Chefökonom Philip Lane erklärte in Jackson Hole die europäische Krisenantwort unter anderem damit, das mittelfristige Inflationsziel von knapp zwei Prozent erreichen zu wollen. Wörtlich: ‘pandemiebezogene Abwärtsrisiken für den Inflationspfad neutralisieren. Was bedeutet: Die EZB strebt höhere Inflationsraten als derzeit an.” – bto: Erinnern wir uns an die Alternativen: Pleiten, Schuldenschnitt, massive Vermögensabgaben.
  • Vordergründig geht es um die Verhinderung einer Deflation. Doch es steckt mehr dahinter: “(…) ein weiteres Problem, über das Notenbanker nicht so gern sprechen: Die Schulden von Staaten, Unternehmen und Privatbürgern waren schon vor der Corona-Rezession hoch – eine Spätfolge der Finanzkrise von 2008/09. (bto: falsch, es war schon ein Auslöser der Finanzkrise). Nun sind die Verbindlichkeiten noch weiter in die Höhe geschossen. Inzwischen stellt sich die Frage, wie sich die finanzielle Lage ganzer Volkswirtschaften auf Dauer stabilisieren lässt.” – bto: zum Beispiel indem man auf Ebene der EU Schulden macht. Aber natürlich geht das ganze nur über Monetarisierung und die Notenbankbilanzen.
  • Der beste Ausweg sähe so aus: moderate Inflation, verbunden mit ordentlichem Wirtschaftswachstum. Eine expandierende Wirtschaft könnte aus den Schulden einfach herausexpandieren. Das hat schon früher funktioniert: In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg verschafften sich die USA und Großbritannien, beide zunächst hochverschuldet, auf diese Weise finanziellen Spielraum.” – bto: Allerdings gab es damals auch echtes Wachstum, so wachsende Erwerbsbevölkerung, hohe Produktivitätszuwächse. Das ist diesmal nicht in Sicht.
  • “Das Beispiel Japans zeigt, dass auch eine Kombination aus extrem expansiver Finanz- und Geldpolitik nicht ausreicht, um Wirtschaftswachstum und Preisdynamik stark genug anheizen, um die Schuldenlast zu senken. Japans Staatsschulden lagen voriges Jahr bei 240 Prozent der Wirtschaftsleistung (zum Vergleich Deutschland: 70 Prozent). Die Inflationsrate betrug im Schnitt der vergangenen zehn Jahre knapp unter 0,5 Prozent. Ende offen. Dennoch verfolgen nun viele Länder eine Strategie, die der japanischen ähnelt.” – bto: weil sie ähnliche Probleme haben. Und sie werden sie nicht lösen können.
  • “Wenn man das Inflationsgeschehen über sehr lange Zeiträume betrachtet, sind deutliche Strukturbrüche erkennbar. Das Land, für das die längste Zeitreihe vorliegt https://www.bis.org/statistics/cp.htm, ist Großbritannien. Sie beginnt 1661. Da Großbritannien die erste Volkswirtschaft war, die den Sprung zur Industrialisierung schaffte und über lange Zeit als weltweit führend galt, sind die Ergebnisse über Großbritannien hinaus interessant. (…) Im langfristigen Durchschnitt jedoch herrschte Preisstabilität. In der Zeit zwischen 1661 und Mitte des 18. Jahrhunderts lag die Inflationsrate im Schnitt bei 0,5 Prozent jährlich, in der Ära der frühen Industrialisierung (etwa 1750 bis 1850) bei 0,7 Prozent, in den folgenden Dekaden bis zum Ersten Weltkrieg dann bei durchschnittlich 0,2 Prozent.” – bto: Wir hatten in diesem Zeitraum allerdings auch eine Beschränkung der Geldschöpfung durch eine gewisse Bindung an Gold.
  • “Beendet wurde diese Ära durch den Ersten Weltkrieg: Die Grenzen schließen sich, die Umstellung auf Kriegsproduktion und -finanzierung lässt die Inflation in die Höhe schießen. Ähnliches wiederholt sich im Zweiten Weltkrieg. (…) Die Währungen sind in den 50er und 60er Jahren an den Dollar gebunden, der wiederum durch Gold gedeckt ist. Die Inflation ist in diesen Jahren moderat.” – bto: moderat, aber höher als heute, was die Entschuldung gefördert hat.
  • “Diese Phase endet Anfang der 70er Jahre, als das System der Gold-Dollar-Bindung zusammenbricht und dann auch noch die Ölkrisen von 1973 und 1979/80 für gehörigen Preisdruck sorgen. In Deutschland steigen die Inflationsraten in der Spitze auf sieben Prozent, in Großbritannien gar auf 23 Prozent.” – bto: in den USA ausgelöst durch die gleichzeitige Finanzierung von Vietnamkrieg und Sozialprogrammen.
  • “Ab den 80er Jahren lernen die Notenbanken nach und nach, die Inflation in den Griff zu bekommen. Unterstützt wird dieser Prozess durch die wachsende Bedeutung des Dienstleistungssektors, auch des staatlichen, der geringeren Preisschwankungen unterliegt, sowie durch die Zweite Globalisierung ab den 1990er Jahren.” – bto: Klartext, dem Angebotsschock auf dem Arbeitsmarkt durch den Eintritt Chinas und Osteuropas in den Weltmarkt.
  • Einerseits scheint die Erwartung zu herrschen, dass die Inflationsraten weiter sinken werden – was sich an der negativen Verzinsung vieler Anleihen ablesen lässt. Andererseits haben offensichtlich viele Anleger Sorge vor einer Geldentwertung – was den historisch hohen Goldpreis erklären würde. Wer hat recht? Ich tippe darauf, dass das zweite Lager richtig liegt. Natürlich bin ich keineswegs sicher.” – bto: Die Vorsicht kann ich gut verstehen, habe ich doch ähnlich argumentiert.
  • “(…) Inflation typischerweise einhergeht mit politischen Stresssituationen. Im 20. Jahrhundert führten die beiden Weltkriege und die Ölkrisen zu beschleunigter Geldentwertung. Zusammenbrüche von Staaten ließen in einigen Ländern gar die gesamte Geldordnung implodieren. Tatsächlich ist die Gegenwart geprägt von schweren Krisen: Das bisherige internationalen System samt globaler Institutionen ist in Auflösung begriffen. Das Ringen zwischen den USA und China um Vorherrschaft wird die Präsidentschaft Donald Trumps überdauern. Ob die Globalisierung sich fortsetzt, ist eine offene Frage. Würden die Grenzen sich abermals schließen, könnte dies abermals die Inflation schüren.” – bto: Das ist richtig.
  • “Bislang entlädt sich der Liquiditätsdruck, den die Notenbanken erzeugen, eher auf den Kapital- als auf den Gütermärkten: Aktien, Anleihen, Immobilien werden teurer, während die gemessenen Lebenshaltungskosten weitgehend stabil bleiben. Aber unsicher, wie die Weltlage ist, können sich die Rahmenbedingungen ziemlich radikal ändern – mit rasch steigenden Preisen als möglicher Folge.” – bto: Ja und deshalb sollten wir uns darauf einstellen.

manager-magazin.de:”Hauptsache Inflation”, 30. August 2020