Notenbank unschuldig an der Un­gleichheit?

Sind die Zentralbanken schuld an der zunehmenden Ungleichheit? Offensichtlich. Ihre asymmetrische Reaktion auf Krisen jeder Art ermutigte zur Aufnahme von Schulden und zur Spekulation. Die dadurch erhöhte Anfälligkeit des Finanzsystems führte zu mehr Interventionen und damit wieder zu mehr Spekulation. Simpel.

Aber natürlich gibt es Verteidiger. So Kenneth Rogoff von der Harvard University in einem Beitrag für die FINANZ und WIRTSCHAFT:

  • “In jüngster Zeit wurde die Politik der Zentralbanken in einem steten Strom von Kommentaren zum Haupttreiber der Ungleichheit erklärt. Die Logik dahinter ist, dass die Preise von Aktien, Häusern, Kunst, Jachten und so gut wie allem anderen durch die extrem niedrigen Zinsen angeblich gnadenlos in die Höhe getrieben wurden. Davon würden die Wohlhabenden und besonders die Ultrareichen überproportional profitieren. Auf den ersten Blick scheint dieses Argument überzeugend zu sein, doch einer genaueren Untersuchung hält es nicht stand.” – bto: Das ist doch mal eine Aussage des ehemaligen IWF-Chefökonomens.
  • “Wenn niedrige Zinsen vor allem der Geldpolitik geschuldet sind, wird die Inflation irgendwann steigen. Aber heute gibt es weitere wichtige Faktoren, die die Zinsen nach unten drücken, darunter eine alternde Bevölkerung, ein geringes Produktivitätswachstum, eine steigende Ungleichheit und die schleichende Angst, dass wir in einem Zeitalter mit immer mehr Krisen leben. Namentlich letzterer Faktor begünstigt ‘sichere Häfen’, wo das Geld selbst in einer globalen Rezession noch erhalten bleibt.” – bto: Das ist die These des Ersparnisüberhangs, die in einer Welt, die auf Kreditwachstum beruht, etwas komisch ist.
  • “Natürlich könnte das Fed (oder jede andere Zentralbank) spontan damit beginnen, die Zinsen zu erhöhen. (…) Würde das Fed dies tun, gäbe es allerdings mit ziemlicher Sicherheit eine enorme Rezession, die unter Geringverdienern für Arbeitslosigkeit sorgen würde; die Mittelklasse wiederum könnte dabei zusehen, wie der Wert ihrer Häuser und Pensionen zusammenbricht.” – bto: Das ist die besagte Sackgasse.
  • “Darüber hinaus macht die globale Dominanz des Dollars die Schwellen- und Entwicklungsländer sehr verletzlich für steigende Dollarzinsen (…) Würde so ein Land nach dem anderen an den Rand des Bankrotts gedrängt, verlöre zwar das oberste Einkommensprozent in den Industrieländern Geld, doch die Hunderte Millionen Menschen in armen und einkommensschwachen Ländern würden noch viel stärker leiden.”

Zwischenfazit: Bis hierher hat er nicht belegt, dass die Notenbanken unschuldig sind und nur beschrieben, was wir immer sehen: nämlich, dass die Notenbanken gefangen sind.

  • Viele Progressive in den reichen Ländern, so scheint es, haben wenig Zeit, sich über die 66% der Weltbevölkerung Gedanken zu machen, die ausserhalb der Industrieländer und Chinas leben. Tatsächlich richtet sich dieselbe Kritik auch an die aufkeimende akademische Literatur über Geldpolitik und Ungleichheit. Vieles davon beruht auf amerikanischen Daten und verschwendet keinen Gedanken an Menschen ausserhalb der USA.” – bto: Das stimmt in zweierlei Hinsicht. Zum einen sehen wir es bei dem Thema der Ungleichheit, die in der Tat vor allem ein US-Problem ist. Zum anderen zeigt es sich an der Klimapolitik, die ebenso einseitig ist.
  • “(…) die Anpassung der Zinsen ist für die konventionelle Geldpolitik ein viel zu plumpes Mittel, um in der Linderung der Ungleichheit eine führende Rolle zu spielen. Haushaltspolitische Massnahmen – wie Steuern, Subventionen und gezielte Staatsausgaben – sind viel effektiver und robuster.” – bto: damit die Notenbanken weiter machen können wie bisher.
  • “Eine mögliche Lösung des Problems der Wohlstandsungleichheit, die bemerkenswerterweise von den Ökonomen Emmanuel Saez und Gabriel Zucman von der Universität Berkeley empfohlen wird, ist eine Vermögenssteuer. Obwohl dies keinesfalls eine verrückte Idee ist, ist es schwer, eine solche Steuer fair zu gestalten, und in den Industriestaaten wurden damit nicht unbedingt gute Erfahrungen gemacht. Wahrscheinlich gibt es einfachere Ansätze, etwa die Reform der Erbschaftssteuer oder die Erhöhung der Kapitalertragssteuer, die zum gleichen Ergebnis führen könnten.” – bto: Es ist immer wieder eine sehr komplexe Lösung, weshalb es in der Tat vor allem bei Immobiliensteuern bleiben wird.
  • “Während in den vergangenen Jahrzehnten in vielen Ländern die extreme Armut zurückgegangen ist, wurde die Ungleichheit zur wichtigsten gesellschaftlichen Herausforderung. Aber die Ansicht, die Zinspolitik einer Zentralbank könne und solle die Hauptmassnahme für eine grössere Einkommensgleichheit sein, ist unabhängig davon, wie oft sie geäussert wird, verblüffend naiv. Besonders durch Regulierungsmassnahmen können Zentralbanken sicherlich mehr gegen das Problem der Ungleichheit tun, aber nicht alles. In dieser wichtigen Debatte sollten wir bitte nicht die anderen zwei Drittel der Menschheit ignorieren.” – bto: Das sehe ich auch so, aber vor allem beim Klimathema.

fuw.ch: „Sind Zentralbanken schuld an wachsender Ungleichheit?“, 18. August 2021