Norbert Häring erläutert die Folgen von Libra & Co.

Norbert Häring, Autor beim Handelsblatt sowie erfolgreicher Blogger und Buchautor bringt anlässlich der Ankündigung von Facebook, mit “Libra” eine eigene globale digitale Währung zu lancieren, einen Auszug aus seinem aktuellen Bestseller “Schönes neues Geld: PayPal, WeChat, Amazon Go – Uns droht eine totalitäre Weltwährung”.

Anlass, das Thema auch hier aufzugreifen, weil Häring einleuchtend erklärt, welcher Umbruch im Weltfinanzsystem bevorsteht und weshalb die Politik alles versuchen wird (und muss), um das zu verhindern. Ob es gelingt, ist allerdings fraglich:

  • “Die großen IT-Unternehmen haben größtes Interesse daran, das Zahlungsverkehrsgeschäft zu übernehmen. Und langfristig haben vor allem die großen Plattformbetreiber die besten Voraussetzungen, das zu schaffen. Denn für das Bankgeschäft braucht es nicht viel mehr als Datenanalyse, Vertrauen und Kundenzugang.” – bto: Bei allen drei Featuren haben sie sogar Vorteile gegenüber normalen Banken!
  • “Eine Studie eines deutsch-amerikanischen Ökonomenquartetts ergab, dass schon ein paar Daten, die jeder Webseitenbetreiber ganz standardmäßig von jedem Besucher abgreifen kann, ähnlich viel Informationen über dessen Kreditwürdigkeit liefern, wie das Rating einer traditionellen Kreditauskunftei.” – bto: Das wusste ich nicht und ist durchaus beeindrucken. Facebook weiß allerdings noch deutlich mehr!
  • “Auch das Beratungsunternehmen BFA kommt (…) zu dem Schluss, dass die Aussichten für die Banken sehr schlecht sind, in der Konkurrenz zu bestehen. (…) Die Banken sind fast hoffnungslos im Nachteil, was das Wissen über die Kunden angeht, (…). In China, wo die Superplattformen bereits stärker im Bezahlmarkt aktiv sind, haben die Margen der Banken bereits erheblich gelitten und die Banken verlieren Kunden.” – bto: Und das ist ein völlig normale Entwicklung. Banken stehen vor einem weiteren massiven Niedergang.
  • “Branchenbeobachter rechnen aber fest damit, dass Amazon irgendwann auch das klassische Bankgeschäft aufmischen wird. Medienberichten zufolge verhandelt das Unternehmen bereits mit der Großbank JP Morgan über eine Kooperation. Die soll es Amazon ermöglichen, auch ohne Banklizenz seinen Kunden eine Art Girokonto anzubieten.” – bto: Wenn alle auf einer Plattform sind, kann die Plattform alles innerhalb des Systems lassen und entsprechend verdienen.
  • “Neben den Daten gibt es noch einen weiteren großen Ertrag, den man aus der Dominanz über den Zahlungsverkehr ziehen kann: den Geldschöpfungsgewinn. Dieser kann gerade für ein Unternehmen wie Amazon, das neu geschaffenes Geld zu einem sehr großen Teil im Kontennetzwerk der eigenen Kunden halten könnte, sehr groß sein. (…) Nur wenn der Lieferant sein Amazon-Guthaben an jemand überweisen will, der sein Konto bei einer anderen Bank hat, braucht Amazon Geld von der Zentralbank, um diese Überweisung zu tätigen.” – bto: Es wäre über Nacht die größte Bank der Welt, und zwar deutlich stärker als Facebook mit Libra, weil eben schon auf der Plattform gehandelt wird.
  • “Wenn sich kein Händler mehr leisten kann, nicht bei Amazon anzubieten, kann Amazon das Führen eines echten Amazon-Girokontos zur Pflicht machen, oder zumindest Nachteile damit verbinden, wenn man es nicht tut. Auf der Kundenseite gilt dasselbe. Und wenn praktisch alle ein Konto bei Amazon haben, kann so ein Konto auch sehr attraktiv ausgestaltet werden. Ein Amazon-Konzern mit Banklizenz braucht nur kostenlose internationale Übertragungen von einem Amazon-Guthaben zu einem anderen Amazon-Guthaben zu ermöglichen und Kredite zu Einführungs-Kampfpreisen vergeben und die Banken können mit so einem Konkurrenten im Zahlungsverkehr kaum mehr mithalten.” – bto: Und auf worauf setzen die Spezialisten der Deutschen Bank? Auf Zahlungsverkehr … Oh je.
  • “Ein Verdrängungswettbewerb droht dabei nicht nur den Banken, sondern auch den Regierungen und ihren Notenbanken, die bisher in Zusammenarbeit mit der privaten Bankbranche das Geld in nationaler Währung bereitstellen. Denn während sie das nationale Bankensystem hoheitlich unter Kontrolle halten können, sind Mega-Plattformen wie Amazon global aufgestellt.” – bto: Wir alle könnten mit Amazon-Dollar bezahlen und der lokalen Währung ausweichen. Häring bringt es am Beispiel afrikanischer Länder. Ich denke, das wird auch für den Eurozonen-Europäer interessant, je weiter es hier bergab geht.
  • “Je mehr Länder auf diese Weise dollarisiert werden, und je mehr Geschäft sich in den Online-Handel auf Plattformen verlagert, desto attraktiver würde so ein Amazon-Dollar. Denn man könnte in dieser Währung ohne Wechselkursrisiko und Umtauschkosten in vielen anderen Ländern einkaufen oder dorthin verkaufen. Je mehr Kunden und Länder den Amazon-Dollar benutzen, desto größeren Gewinn zöge Amazon daraus, diese Währung emittieren zu können. Amazon könnte dann weltweit einkaufen, indem es den Verkäufern einfach ein zusätzliches Guthaben auf dem Amazon-Girokonto einträgt.” – bto: Das ist der ultimative Geldschöpfungsgewinn!
  • “Mit einer Banklizenz und einer kooperativen Bankaufsicht könnte Amazon nach dem gleichen Prinzip wie die Banken Amazon-Dollars ausgeben, die zum Nennwert in echte Dollar eintauschbar wären. Die US-Regierung sollte wenig dagegen haben. Sie hat alles Interesse daran, dass der Dollar seine weltweite Dominanz ausbaut, sei es in Form des traditionellen Bankendollars oder in Form eines Amazon-Dollars. Das spült Geldschöpfungsgewinne in amerikanische Kassen und verknüpft mehr Leute und Länder fester mit dem System, in dem sie von den US-Diensten überwacht und von der US-Regierung bei Bedarf unter Druck gesetzt werden können.” – bto: Insofern ist Libra von Facebook vermutlich aus US-Sicht eine Gefahr, ein Amazon Dollar wäre es nicht.
  • “Ein Konzern wie Amazon braucht keine Bankaufsicht, um das Vertrauen der Nutzer in das eigene Geld aufrecht zu erhalten. Es würde genügen, die Ausgabe neuen Amazon-Geldes so zu begrenzen, dass der Wechselkurs zum US-Dollar stabil bleibt. Wenn Amazon graduell genug vorgeht, könnte die Bankaufsicht einfach eine Weile so tun, als agiere Amazon nicht wie eine Bank und als seien Amazon-Guthaben kein Geld. So wie es in Kenia mit dem mobilen Geld M-Pesa von Vodafone/Safaricom gemacht wurde, um dessen Ausbreitung zu begünstigen.” – bto: Die Idee wäre also eine offiziell vom US-Dollar unabhängige Währung, um damit mehr Akzeptanz zu finden außerhalb den USA.
  • “Bei diesem Konzern würden nicht nur die Unmengen an Informationen darüber zusammenlaufen und weltweit gespeichert werden, wann wir von welchem Standort und welchem Gerät aus was gekauft oder gesucht haben, sondern auch, was wir mit Amazon-Geld anderswo gekauft haben. Die Algorithmen von Amazon und Google könnten auf Basis dieses umfassenden Wissens ein schwer fassbares aber umso wirkungsvoller System der Verhaltenskontrolle und -manipulation etablieren, gegen das das chinesische Sozialpunktesystem sich krude ausnehmen würde. Harte Sanktionen gegen Unbotmäßige, wie das Sperren oder Begrenzen des Zahlungsverkehrs und das Verbot der Nutzung für den Kauf von bestimmten Gütern oder Dienstleistungen wären jederzeit möglich, aber vermutlich sehr selten nötig. Nicht nur jeder Konsument, auch jeder Politiker und jeder womöglich konkurrierende Unternehmer wäre für diesen Konzern gläsern und seinen Manipulationen und Sanktionen ausgesetzt.” – bto: eine unerfreuliche Aussicht.

→ Norbert Häring: “Der Weg zur totalitären Silicon-Valley-Weltwährung”, 16. Juli 2019