Niemand wird TARGET2 stoppen

TARGET2 – ein auch auf diesen Seiten heiß diskutiertes Thema. Forderung? – ja/nein. Verlustgefahr – ja/nein. Hohe Verluste – ja/nein. Erpressungspotenzial – ja/nein usw.

Nun hat sich Hans-Werner Sinn auf seinem Blog und in der F.A.Z. nochmals ausführlich zu Wort gemeldet. Ein Leser meinte, ich solle das kommentieren, was natürlich eine Ehre ist, aber meine Fähigkeiten vermutlich überschätzt … Schauen wir es uns an:

  • Zunächst bringt er eine Definition: “Der deutsche Target-Saldo ist eine bilanzielle Forderung der Bundesbank gegen das Eurosystem. Diese Forderung entstand, weil die Bundesbank im Auftrag anderer Notenbanken Geld geschaffen und es nach den Wünschen der ausländischen Auftraggeber für den Kauf von Gütern und Vermögenswerten, für die Schuldentilgung sowie auch für den Aufbau von Kassenbeständen in Deutschland bereitgestellt hat, während die anderen Zentralbanken im gleichen Umfang Geld eingezogen haben. Es handelt sich um einen öffentlichen Überziehungskredit zwischen den Notenbanken, weil es anderen Volkswirtschaften des Euroraums ermöglicht wurde, ohne private Auslandskredite aufzunehmen, einen Nettozustrom von deutschen Waren, Dienstleistungen und Vermögenstiteln zu bezahlen.“ – bto: Folgt man dieser Argumentation, ist es höchst relevant. Dann ist es ein Vermögenswert (von zweifelhaftem Wert).
  •  „Der von der Bundesbank vergebene Target-Kredit wird in Höhe des Hauptrefinanzierungssatzes der EZB zu Lasten der Schuldner-Notenbanken verzinst, der freilich zurzeit null ist.“ bto: und noch lange bei null bleiben wird …
  • „Der Kredit war nur möglich, weil die Zentralbanken der Auftrag gebenden Länder bereit und in der Lage waren, das bei der Überweisung eingezogene Geld durch neue Geldschöpfungskredite an ihre jeweiligen Bankensysteme zu ersetzen, also insgesamt mehr von solchen Krediten zu vergeben, als es gemäß der Landesgröße zur Liquiditätsversorgung der eigenen Wirtschaft nötig gewesen wäre. Andernfalls wäre die Wirtschaft durch die Nettoüberweisungen sehr schnell ausgetrocknet.“ – bto: Ich verstehe das so: Angesichts des Kapitalabflusses wäre es zu einer Rezession in den Ländern wegen Liquiditätsmangels gekommen. So aber sind die Notenbanken eingesprungen, wobei ich mich frage, ob das in unserem Geldsystem, wo ohnehin fast alles Geld von den Geschäftsbanken geschaffen wird, eine Rolle spielt?
  • „Der Target-Überziehungskredit wird in der Zahlungsbilanzstatistik als Teil des Auslandsvermögens der Bundesrepublik Deutschland verbucht, das aus der Summe früherer Leistungsbilanzüberschüsse gebildet wurde. Das Nettoauslandsvermögen der Bundesrepublik ist mit einem Wert von 1929 Milliarden Euro Ende 2017 nach Japan das größte der Welt. Die Target-Kreditforderungen der Bundesbank zur Jahresmitte 2018 machten davon 51 Prozentaus.“ – bto: Es ist richtig, dass wir es als Auslandsvermögen führen.
  • „Auch private Banken können einander grenzüberschreitend Zahlungsaufträge geben und insofern Kreditverhältnisse aufbauen, um damit den Güterhandel und Kapitalverkehr zu ermöglichen. Dafür wird in keinem Land Zentralbankgeld eingezogen oder neu in Umlauf gebracht, und auch die Target-Salden verändern sich nicht. Überweisungen außerhalb des Target-Systems implizieren private Kredite zwischen den Bankensystemen, und Überweisungen über das Target-System öffentliche Kredite. Die beiden Kreditformen unterscheiden sich dadurch, dass das Kreditausfallrisiko das eine Mal beim Steuerzahler und das andere Mal beim Bankaktionär liegt, aber sie zählen gleichermaßen zur Nettoauslandsschuld oder zum Nettoauslandsvermögen der jeweiligen Länder. Sie sind zusammen mit anderen privaten und öffentlichen Kapitalflüssen das Spiegelbild der Leistungsbilanzsalden.“ – bto: Nachdem aber der Privatsektor – zu Recht! – nicht mehr mitmacht, bleibt es beim staatlichen Sektor.
  • „Auch im Bretton-Woods-System, dem internationalen Festkurssystem der Nachkriegszeit, gab es in Form der Devisenforderungen, die bei der Bundesbank aufgrund von Auslandsüberweisungen anlandeten, schon einmal etwas Ähnliches wie die Target-Salden. Die Notenbanken Amerikas und der europäischen Nachbarländer hatten ihre jeweiligen Volkswirtschaften mit überschüssiger Liquidität versorgt, die es den Einheimischen ermöglichte, wie heute beim Target-System in Deutschland auf Shopping-Tour zu gehen. Man kaufte mit dem selbst bedruckten Papier Waren, Firmen, Aktien, Immobilien und vieles mehr, und die Bundesbank musste die Devisen in D-Mark umtauschen.“ – bto: Das war mir so klar nicht bewusst. Aber es ist sicherlich richtig, dass die USA damals wie heute ihr Dollar-Privileg gnadenlos ausnutzen.
  • „Im zweiten Schritt konnte sie aber verlangen, dass die nichtamerikanischen Währungen in Dollar oder Gold umgetauscht wurden, und da der Marktpreis des Goldes unter der festgesetzten Parität lag, bekam sie meistens Gold. Bis zum Jahr 1968 hatte die Bundesbank etwa 4000 Tonnen Gold angehäuft, was damals 3,4 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts ausmachte. Zugleich verfügte sie über Dollarreserven in Höhe von 1,6 Prozent des BIP.“ – bto: Die Italiener haben recht viel Gold, also her damit, könnte man sagen.
  • Die Target-Forderungen der Bundesbank zur Jahresmitte 2018 belaufen sich demgegenüber auf 30 Prozent des deutschen BIP von 2017. Dürfte die Bundesbank sie in Gold umtauschen, erhielte sie dafür zum aktuellen Goldpreis weitere 28277 Tonnen.bto: die wir natürlich nicht bekommen. Aber es zeigt die unglaubliche Dimension, über die wir hier reden. Folgt man dieser Argumentation, haben wir ein Zwangssparen in Form von wertlosen Zahlen am Bildschirm.
  • „Im Eurosystem ist hingegen keine Tilgung vorgesehen. Das kann das enorme Anwachsen der Target-Salden erklären. In der Tat ist Deutschland zu einem Selbstbedienungsladen geworden, in dem man nach Belieben anschreiben lassen kann, ohne dass der Ladeninhaber seine Forderungen fällig stellen kann.“ – bto: was insofern ein Problem ist, als wir dafür als Land echte Werte hergeben, Waren und Vermögensgegenstände.
  • „(…) Geschäftsbanken eines jeden Landes (dürfen sich) unbegrenzt Kredite bei der eigenen Notenbank besorgen und können damit unbegrenzt Überweisungen in andere Länder realisieren. Sie müssen dabei freilich hinreichend gute Pfänder hinterlegen. Die Mindestqualität dieser Pfänder (…) wurde sukzessiv bis unter BBB-Minus-Rating, also bis auf das Schrottniveau gesenkt. Schrottpfänder hatte man genug, um die heimische Geldmaschine laufen zu lassen.“ – bto: Das ist das Kernproblem. Die Banken schaffen beliebig Geld gegen (fragwürdige) Sicherheiten, die sie zur Refinanzierung einreichen können. Wenn dann das neu geschaffene Geld ins Ausland/nach Deutschland fließt, haben wir das Problem der Kreditgewährung durch die Bundesbank.
  • „Der exzessiven Kreditgeldschöpfung in den Krisenländern, die Nettoüberweisungen in die nordeuropäischen Länder ermöglichte, stand ein entsprechender Rückgang der Kreditgeldschöpfung in Letzteren gegenüber, weil das bei den Banken anlandende Überweisungsgeld den Bezug von verzinslichem Kreditgeld von der eigenen Notenbank überflüssig machte. In den Jahren 2012 und 2013 gab es in Deutschland keinerlei eigenes Kreditgeld von der Bundesbank mehr. In Deutschland zirkulierte nur noch das Überweisungsgeld, das andere Notenbanken in Auftrag gegeben hatten.“ – bto: Die deutschen Banken mussten keine Mittel bei der Bundesbank beschaffen, weil sie von dem aus dem Ausland zufließenden Geld finanziert wurden.
  • „Der deutsche Target-Saldo stieg in der Krise in zwei Wellen an. Die erste erreichte mit einem Target-Bestand von 751 Milliarden Euro im August 2012 ihren Höhepunkt. Nach dem Lehman-Crash verweigerten sich die Kapitalmärkte einer Fortsetzung der Finanzierung der Leistungsbilanzdefizite der südeuropäischen Länder und Irlands. Die ausländischen Anleger wollten zudem das bereits verliehene Geld sobald wie möglich zurückhaben und weigerten sich, Ersatzkredite zu gewähren. Ferner versuchten inländische Vermögensbesitzer, ihr Vermögen im Inland zu beleihen oder zu verkaufen und ihr Geld ins Ausland zu bringen. Die oben beschriebene Selbsthilfe mit der Druckerpresse ermöglichte es den Volkswirtschaften, die öffentlichen Überziehungskredite in Anspruch zu nehmen, die durch die Target-Salden gemessen werden.“ – bto: Es ist individuell hoch rationales Verhalten.
  • „(…) die zweite Welle (…) durch (das) Anleihekaufprogramm der EZB ausgelöst, (…) Obwohl jede Notenbank nur die Staatspapiere ihres eigenen Landes zurückkaufte, stiegen die Target-Salden nochmals an. Das lag zum einen daran, dass die Verkäufer die Überschussliquidität in Deutschland in Sicherheit bringen wollten. (…) Zum anderen lag es an dem technischen Effekt, dass die Papiere der südlichen Euroländer früher zur Finanzierung riesiger Leistungsbilanzdefizite in die Welt verkauft worden waren, so dass nun ohnehin Auslandsüberweisungen notwendig waren, um diese Papiere zurückzuholen. So oder so war die Bundesbank gefordert, die Rückkäufe und damit die alten Leistungsbilanzdefizite der Südländer durch eine gigantische Umschuldungsaktion im Nachhinein zu kreditieren.“ – bto: Es wird so schlüssig dargestellt, dass es sich bei den TARGET2-Forderungen tatsächlich um eine Vermögensposition handelt, denn wenn private Investoren für ihr Geld werthaltige Assets kaufen und dafür mit Geld bezahlen, das letztlich bei der Bundesbank landet, dann ist es ein Vermögenswert.
  • „So musste die Bundesbank zum Beispiel direkt an sie gerichtete Überweisungsaufträge der spanischen Notenbank ausführen, die das Ziel hatten, spanische Wertpapiere von deutschen Lebensversicherern nach Hause zurückzuholen. Sie musste neues Geld herstellen und den Verkäufern dieser Wertpapiere geben, damit die sie der spanischen Notenbank, einer Behörde des spanischen Staates, zurückgaben. Das war gut für Spanien, weil die verbriefte, mit einem Zins ausgestattete Staatsschuld gegenüber privaten Investoren, die manchmal lästig werden können, durch eine bloße Buchschuld beim Eurosystem und indirekt bei der Bundesbank ersetzt werden konnte. Diese Buchschuld kann niemals fällig gestellt werden, und sie trägt derzeit nicht einmal einen Zins. Für Deutschland war das Geschäft freilich weniger attraktiv. Zwar wurden die deutschen Verkäufer mit dem Geld der Bundesbank kompensiert, doch ist das eine Forderung gegen eine Einrichtung des deutschen Staates, die dafür nur eine Target-Forderung gegen das Eurosystem erhielt.“ – bto: womit wir ebenfalls wieder die Situation eines Vermögenstransfers haben. Letztlich spiegelt sich hier die massive Geldschöpfung der letzten Jahre wieder, die zu einer Vermögenspreisinflation führt. Man könnte es so sehen, dass die TARGET2-Forderungen die konsequente Fortsetzung der deutschen Vorliebe für Finanzanlagen in Sparbuch und Co. sind, während die Ausländer Realwerte kaufen.
  • „Die Target-Forderungen bedeuten Lasten und Risiken für den deutschen Staat, (…) trägt (…) im Falle eines Ausfalls der Target- Forderungen gegen das Eurosystem sämtliche Lasten. Das ist unabhängig von der Frage, ob der deutsche Staat die Bundesbank rekapitalisieren muss.“ – bto: wobei man natürlich die Buchhaltungstricks hat, wie beispielsweise die Aktivierung künftiger Geldschöpfungsgewinne.
  • „Verluste drohen zum Beispiel, wenn andere Notenbanken aufgrund der Target-Schulden ihre Zahlungsverpflichtungen im Eurosystem nicht mehr erfüllen können. So könnte sich ein italienischer Staatskonkurs nebst seiner Folgewirkungen auf das Bankensystem wegen der hohen Target-Schulden der Banca d’Italia von fast einer halben Billion Euro selbst im Falle einer Verpfändung der italienischen Geldschöpfungsgewinne und der Verwendung aller Reserven in Verlusten von mehreren Hunderten von Milliarden Euro für das restliche Eurosystem niederschlagen, wovon Deutschland dann 31 Prozent zu tragen hätte. Ähnlich wäre es, wenn Italien aus dem Euro austreten und seine Target-Schulden nicht mehr bedienen würde.“ – bto: In dem Falle drohen Italien noch weitaus größere Probleme.
  • „(…) für die weitere Entwicklung der Eurozone relevant, als sie den Krisenländern ein glaubhaftes Drohpotenzial für das Erstreiten einer europäischen Transferunion an die Hand geben. (…) Bei näherem Hinsehen ist dieses Drohpotenzial aber doch nicht so groß, wie es zunächst scheinen mag, weil die Target-Forderungen der Bundesbank auch im Normalbetrieb längst nicht so werthaltig sind, wie sie bilanziert werden. Ein privates Finanzinstitut müsste eine Forderung, die sie nicht fällig stellen kann, die derzeit einen Zins von null trägt und die vielleicht später mal wieder einen echten Zins trägt, dessen Höhe dann freilich von den Schuldnern mitbestimmt wird, vollständig abschreiben. So gesehen ist die Hälfte des durch Leistungsbilanzüberschüsse aufgebauten deutschen Nettoauslandsvermögens heute wohl ohnehin nur noch als belangloser Erinnerungsposten zu sehen.“ – bto: Man kann uns also nicht erpressen, weil das Geld eh futsch ist. Leider sehe ich das anders. Wirtschaftlich hat Sinn natürlich recht. Politisch ist das was anderes. Die Politik kann weiter behaupten, wir hätten keine Verluste (wie auch im Märchen von den Gewinnen mit der „Rettung“ Griechenlands). In einem offenen Zahlungsausfall kann man es nicht mehr sagen.
  • „Deutschland steht im Gegensatz zu Frankreich vor großen demografischen Problemen, die in den dreißiger Jahren ohnehin Finanzengpässe verursachen werden. Es kann der Aushöhlung seines Vermögens durch das Target-System nicht länger tatenlos zusehen.“ – bto: genau. Das Märchen vom reichen Land wird bald als solches entlarvt werden.
  • „Es gibt Möglichkeiten, die Target-Salden einzudämmen. Man könnte die oben genannten Ursachen, die in der asymmetrischen und übermäßigen Kreditgeldschöpfung im Eurosystem liegen, abstellen, aber das würde voraussetzen, dass die mächtigen Target-Schuldner im EZB-Rat bereit sind, auf ihre Privilegien zu verzichten.“  – bto: was diese niemals machen werden. Und alleine schon der Versuch würde von den Finanzmärkten (zu Recht) als der Anfang vom Ende des Euro gesehen. Irgendwann ist es soweit, doch alle versuchen, es möglichst lange aufzuschieben.
  • „Wirksamer wäre es, wenn die Gerichte und Parlamente sich der Sache annehmen und ein System der jährlichen Tilgung der Target-Saldenwie zwischen den zwölf Distrikt-Notenbanken der Vereinigten Staaten vorsehen würden. Man könnte sogar eine Obergrenze einführen, ohne den Zahlungsverkehr einzuschränken, weil die Banken ihre internationalen Überweisungen dann selbst über private Clearing-Häuser oder nach entsprechenden Fusionen innerhalb ihrer eigenen Netze realisieren könnten. Um für den Aufbau solcher Netze Zeit zu gewähren, sollte man die Überschreitung der Obergrenze dann freilich zunächst noch unter Zahlung von Strafzinsen erlauben. Was zu geschehen hat, bedarf weiterer Erörterungen. Nur eines ist klar: So wie jetzt kann es nicht weitergehen.“ – bto: Ich denke, jeder Versuch, die Target2-Forderungen zu begrenzen, wird innerhalb von Minuten zur Panik an den Märkten führen, die ganz genau wissen, dass das europäische Schuldengebäude und das politische Projekt „Euro“ nur durch unbegrenzte Geldschöpfung über die Runden kommen. Monetarisierung und Helikopter sind zwangsläufige Voraussetzungen für das Weiterkommen.

Ich sehe keinen Politiker, der sich hier dagegenstellt. Was zur Feststellung führt: Wenn Sinn Recht hat und es sich bei den TARGET2-Forderungen wirklich um Forderungen handelt, dann werden diese immer mehr anwachsen und wir im Gegenzug reale Vermögenswerte an das Ausland geben, was einer massiven Wohlstandsvernichtung hierzulande entspricht. Je länger es andauert, desto größer der Vermögenstransfer ins Ausland. Paart man das mit dem absehbaren Niedergang Deutschlands braut sich ein unerfreuliches Szenario zusammen. Eine überalterte Gesellschaft mit abnehmender Wirtschaftskraft, erheblichen Lasten für eine gescheiterte Migrationspolitik, verfallener Infrastruktur, verfallendem Bildungswesen und wertlosen Forderungen ans Ausland. Abgewirtschaftet.