Die Nacht der Kapitulation

Gestern Morgen habe ich die Warnung vor der “bedingungslosen Kapitulation” Deutschlands in der europäischen Schuldenkrise besprochen. Objektiv gesehen brauchen wir in Europa einen Schuldenschnitt. Wir werden ihn so oder so bekommen ‒ entweder von uns selbst organisiert mit den damit verbundenen Vorteilen (siehe die diesbezüglichen Beiträge) oder aber unfreiwillig mit maximalem politischem, wirtschaftlichem und finanziellem Schaden. Es sieht immer mehr nach der schlechten Version aus. Die deutsche Opposition verlangt mehr Flexibilität, der Vizekanzler lobt die neue griechische “Flexibilität”, der Finanzminister hält noch den Anschein des Kampfes aufrecht. Besser wäre es, er würde mit seinem Team das europäische Schuldenschnittthema treiben. Vergebliche Hoffnung! Zu groß die Angst vor dem Wähler, dem man so unglaubliche Kosten aufbürdet. Der SPIEGEL deutet es schon an:

  • “Der Brief sei sehr schlau formuliert, sagen Beamte in Berlin, und adressiere scheinbar alle strittigen Punkte. Doch er weiche der Frage aus, ob Athen nicht nur Finanzhilfen weiter in Anspruch nehmen, sondern auch Reform- und Sparauflagen beachten wolle. ‚Je länger sich unsere Experten über die Zeilen beugten, desto unglücklicher wurden sie‘, sagt ein Beamter.”
  • “Am Freitag werden die Diskussionen vielschichtiger sein, erkennt man in Berlin an. Staaten wie Frankreich und Italien werden für mehr Flexibilität gegenüber Griechenland werben, Tsipras hat ihre Regierungschefs bereits kontaktiert.” ‒ bto: wie vermutet: Italien und Frankreich hoffen auf EZB-Finanzierung und Schuldensozialisierung. Siehe auch der Bericht der F.A.Z.: “Italiens Finanzminister Pier Carlo Padoan sagte, der Vorschlag müsse ‚ernst genommen werden‘. Auch Frankreichs Premierminister Manuel Valls nannte die Vorschläge Griechenlands ‚sehr ermutigend‘.”
  • “EU-Kommissionspräsident Juncker begrüßte den Brief aus Athen als ein ‚positives Signal‘ auf dem Weg zu einem ‚vernünftigen Kompromiss‘. Juncker ist ehemaliger Euro-Gruppen-Chef, er hat sich mehrfach als Vermittler betätigt, wenn auch nicht immer glücklich. Sein Währungskommissar Moscovici erregte Aufsehen, als er beim letzten Euro-Gruppen-Treffen ein moderates Vorschlagspapier kursieren ließ, dem die Griechen wohl zugestimmt hätten.” ‒ bto: Fast alle wollen eine Aufweichung. Morgen ist die Gelegenheit, am “kleinen Griechenland” die ganze Politik zu kippen.
  • “Mit offiziellen Stellungnahmen hält sich die griechische Regierung zurück. Doch inoffiziell ist zu vernehmen, man setze auf eine wachsende Isolation Berlins. Außerdem habe die Euro-Gruppe am Freitag nur zwei Optionen: den griechischen Vorschlag abzulehnen oder anzunehmen.” ‒ bto: Die Erfahrung spricht nicht für die Deutschen, die seit Jahrzehnten jeden europäischen Konflikt mit deutschem Steuergeld “befriedet” haben.
  • “Aus vertraulichen Unterlagen geht hervor, dass Athen Schäuble dafür verantwortlich macht, dass sich Teile der deutschen Regierung gegen Griechenland stellen. In Frankreich, Italien und von hochrangigen EU-Offiziellen werde der griechische Antrag positiver gesehen, heißt es in dem Papier.” ‒ bto: Ideale Grundlage dafür, uns über den Tisch zu ziehen: zerstrittene deutsche Position, Scheu vor Lärm in Europa, Bereitschaft Wählerstimmen mit dem Geld derselben zu kaufen, weil die Wähler sowieso a) kein Geld haben/Steuern zahlen, b) es nicht kapieren, c) und selbst wenn, ohnehin nicht auf die Straße gehen.
  • Beispiel ist der SPD-Europaabgeordnete Jakob von Weizsäcker. SPIEGEL zitiert ihn: Es geht nicht mehr um Grundsätzliches, sondern um konkrete Verhandlungen über Zugeständnisse der griechischen Regierung bei Wahlversprechen, Reformplänen und Privatisierungen. ‒ bto: Genau. ER muss ja nicht bezahlen. Das Gleiche gilt für Grünen-Chefin Simone Peter. F.A.Z.: „Die brüske Zurückweisung des griechischen Hilfsersuchens ist in Form und Inhalt unangemessen“, erklärte sie. Die griechische Regierung unter Alexis Tsipras sei mit ihrem Antrag auf eine Verlängerung der EU-Hilfen den Euro-Partnern „weit entgegen gekommen“ und habe „deutlich ihre Reform- und Kompromissbereitschaft  signalisiert“. Jetzt müsse auch die Bundesregierung den Willen zu einer gemeinsamen Lösung demonstrieren: „Schäuble darf die ausgestreckte Hand der Griechen nicht einfach ausschlagen.“

Fazit: keine Notwendigkeit sich Sorgen zu machen. Merkel wird Schäuble schon zurückpfeifen. Es gibt doch keine Krisen. DAX auf 20.000 und alle Probleme gelöst.

SPIEGEL ONLINE: Varoufakis’ Taktik: Griechenland will Eurozone spalten, 19. Februar 2015

F.A.Z.: Griechenland will sein Angebot nicht mehr ändern, 19. Februar 2015

Unterstützung kommt wiederum von der Wissenschaft: Marcel Fratzscher vom DIW  hat erneut zugeschlagen. Seinen weitgehend unfundierten Kommentar in der FT habe ich schon vor einigen Wochen kritisiert. Im Handelsblatt darf er mit einem Kollegen von blühenden Landschaften in Griechenland träumen:

  • “Die Höhe der Schuldenlast ist nicht das einzige Problem Griechenlands. Vielmehr steht die griechische Regierung vor der Aufgabe, eine koordinierte Strategie zu entwickeln, die zum einen die bestehenden Schulden vollständig tragfähig macht, aber vor allem die Modernisierung der Wirtschaft und seiner staatlichen Institutionen fortsetzt und beschleunigt.” ‒ bto: sicherlich richtig, aber illusorisch, wie hier bereits gezeigt.
  • “Das größte Risiko ist, dass Investoren und Bürger Griechenlands das Vertrauen in die neue griechische Regierung weiter verlieren und es kurzfristig zu einer deutlichen Vertiefung der Schulden- und Bankenkrise kommt. Wenn sich die Kapitalflucht aus dem Land beschleunigt, droht den verbliebenen griechische Banken die Insolvenz, und die Europäische Zentralbank (EZB) wird sie dann nicht retten können und dürfen. Eine solche Bankenkrise führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Kapitalverkehrskontrollen sowie zu einer Plünderung von Pensions- und Sozialkassen und wäre mit einem Staatsbankrott und einer noch tieferen wirtschaftlichen Depression als in den vergangenen fünf Jahren verbunden. Die griechische Regierung muss deshalb alle Anstrengungen unternehmen, um das Vertrauen in den Finanzmärkten und seiner Bürger zurückzugewinnen.” ‒ bto: Klar. Übrigens: 81 Prozent der Griechen stehen hinter der aktuellen Politik.
  • “Deshalb ist eine glaubwürdige Intention wichtig, ein neues Programm der EU und des Internationalen Währungsfonds (IWF) anzunehmen und umzusetzen, die öffentlichen Schulden zu bedienen, und auf keinen direkten Schuldenschnitt hinzuarbeiten, die Banken zu rekapitalisieren und Sparer in Griechenland zu schützen.” ‒ bto: Intention “glaubwürdig” heißt nicht ernsthaft.
  • “Schließlich bedarf es eines klaren Bekenntnisses zu Marktwirtschaft und Wettbewerb, zur Mitgliedschaft im Euro und der EU sowie der damit verbundenen Rechte und Pflichten.” ‒ bto: DIW, habt Ihr eigentlich das Programm von Syriza gelesen???
  • “Es gibt zwei Alternativen für eine höhere Nachhaltigkeit griechischer Staatsschulden, die eine Lösung sowohl im Interesse Griechenlands als auch der EU beinhalten: Entweder längere, aber nicht unbegrenzte Laufzeiten bei rund der Hälfte der Staatsschulden, die noch kürzere Laufzeiten haben, sowie partielle Zinssenkungen oder Aussetzung der Zinszahlungen, sofern dies nicht ohnehin schon geschehen ist. Oder eine partielle, anreizkompatible Indexierung der Zinshöhe zum griechischen Wirtschaftswachstum.” ‒ bto: Und das ist dann kein Schuldenschnitt??
  • “Strukturreformen zur Verbesserung des Geschäftsklimas braucht es nach wie vor. Das umfasst nicht nur die weitere Öffnung der geschlossenen Berufe und Transparenz über die Umsetzung der Maßnahmen, sondern auch die Vereinfachung des bürokratischen Aufwands für Öffnung, Betrieb und Schließung von Unternehmungen. Letzteres ist auch das beste Mittel zur Bekämpfung von Korruption. Möchte man die produktiven Ressourcen in Griechenland besser nutzen, muss weiterhin endlich der Wissenstransfers zwischen Forschung und privaten Unternehmen gefördert werde.” ‒ bto: Griechenland hat neun Patente pro eine Million Einwohner, wir über 200. Die Studenten protestieren gegen jede Forschungskooperation von Unis und Unternehmen.
  • “Bei einem Neuanfang sollten die noch anstehenden Reformen als Zukunftsperspektive vermittelt werden. Auch indem die Troika durch ein Beratungsgremium ergänzt wird, das in Abstimmung mit der Troika die Umsetzung der Reformen inhaltlich konstruktiv begleitet.” ‒ bto: DIW muss da unbedingt dabei sein!
  • “Griechenland gibt seit Jahren trotz sinkendem Bruttoinlandsprodukts (BIP) weniger als 0,7 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung (F&E) aus, andere Euroländer investieren rund 3 Prozent ihres BIP in die Zukunft ihres Landes. Ohne Schließung dieser Investitionslücke im Innovationssystem wird Griechenland nicht nachhaltig wachsen. Es bedarf daher einer Strategie zur Erhöhung der Investitionen in F&E in Abstimmung mit der EU und einzelnen Partnerländern, sowie einer mittelfristigen Umschichtung des griechischen Staatshaushalts.” ‒ bto: Denn alleine mit Geld wird Griechenland zum Innovationszentrum Europas. Selten so gelacht.

Wäre alles nicht so schlimm, wenn Fratzscher nicht das Wirtschaftsministerium beraten würde und mit solchen Argumenten dazu beiträgt, dass Deutschland, statt intelligent für Schuldenrestrukturierung einzutreten, ohne Gegenleistung über den Tisch gezogen wird.

Handelsblatt: Fünf-Punkte-Plan zur Rettung Griechenlands, 19. Februar 2015

Man muss wohl in der Schweiz sitzen, um einen klaren Blick zu haben. Die NZZ:

  • “Der griechische Finanzminister Janis Varoufakis bezeichnet sich als ‚inkonsequenten Marxisten‘. In einer vom britischen ‚Guardian‘ aufgezeichneten Vorlesung erklärte er 2013: ‚Marx hat mir die Instrumente gegeben, die mich gegen die giftige Propaganda des Neoliberalismus immunisieren. Zum Beispiel die Idee, dass Wohlstand privat produziert und dann von einem quasi illegitimen Staat durch Besteuerung angeeignet wird . . .‘ Als inkonsequent bezeichnete sich der neue griechische Hoffnungsträger, weil er aus dem Aufstieg von Margaret Thatcher in Grossbritannien gelernt habe, dass der Klassenkampf nicht automatisch zu einer Renaissance der Linken führe.” ‒ bto: Immer mit dem DIW-Vorschlägen spiegeln!
  • “Vor der Wahl zwischen Staatsbankrott und Banken-Kollaps und einem Nachgeben scheinen sich die linken Griechen also vorerst den ‚Kapitalisten‘ beugen zu wollen. Weil die meisten europäischen Finanzminister mit den Ideen Varoufakis zwar wenig anfangen können, aber sich genauso vor den unbekannten Folgen einer radikaleren Lösung fürchten, zeichnet sich doch noch eine Einigung ab.”
  • “Allerdings hat Griechenland bereits rund 20 000 Euro pro Kopf an Krediten erhalten, was nahezu dessen jährlicher Wirtschaftsleistung entspricht. Trotzdem haben viele Griechen existenzielle Sorgen. Der ‚griechische Kapitalismus‘ ist eine Tragödie. Die Reicheren bringen ihr Geld aus dem Land, die Steuermoral ist miserabel, der ineffiziente Staat wuchert, und das Wirtschaftsklima ist investitionsfeindlich. Griechenland wird so seine riesigen Schulden kaum je marktgerecht zurückzahlen können.”
  • “Statt von funktionierenden Institutionen gelenkt zu werden, hält eine korrupte, mit dem Staat und der Politik eng verflochtene Klientelwirtschaft das Land seit Jahrzehnten im Griff. Sollte die Euro-Gruppe da nun erneut gutes Geld schlechtem nachwerfen, wird das keine Probleme lösen.”
  • “Der Internationale Währungsfonds (IMF) hat Erfahrung, wie man aus so einer Situation recht schnell – wenn auch nicht schmerzlos – herausfinden kann. In der benachbarten Türkei hat er es Anfang des Jahrtausends eindrücklich vorgemacht. Doch erstens wird ein verordnetes Reformprogramm in Griechenland kaum Erfolg haben können, solange dort Ideologen wie Varoufakis die IMF-Rezepte und eine funktionierende, liberalisierte Privatwirtschaft für neoliberales Teufelszeug halten. Und zweitens hatten Länder wie die Türkei in ähnlichen Situationen den Vorteil, dass die Abwertung der eigenen Währung die notwendigen Anpassungsleistungen wesentlich erleichterte.”
  • “So gesehen würde die radikalere Lösung einer Zahlungsunfähigkeit Griechenlands, verbunden mit einem Austritt aus der Euro-Zone, wohl beiden Seiten bessere Dienste erweisen. Griechenland müsste eigenverantwortlich einen neuen Reformweg finden. Und der Rest der Euro-Zone hätte künftig klare Alternativen vor Augen: harte, aber wirkungsvolle marktwirtschaftliche Reformen innerhalb des Systems oder ein Austritt à la Griechenland. So aber könnte Varoufakis am Schluss doch noch recht behalten: Die Euro-Zone läuft mit ihrer endlosen griechischen Tragödie Gefahr, den Kapitalismus durch Sozialisierung und Vergemeinschaftung unhaltbarer Risiken ad absurdum zu führen.

NZZ: Kapitalismus als Teufelszeug, 19. Februar 2015

Im Unterschied zu unseren Partnerländern handeln wir politisch nicht strategisch. Nur so ist zu verstehen, dass wir am Ende zahlen und ohne Gegenleistung dastehen.