Mega-Crash nicht trotz, sondern wegen der Noten­banken

Am kommenden Sonntag habe ich den Ökonom und Ex-BIZ-Chef William White als Gesprächspartner in meinem Podcast. Er äußert sich – wenig überraschend – durchaus kritisch zur Rolle der Notenbanken.

Doch auch andere Stimmen sehen die Zentralbanken zunehmend kritisch. So in einem Artikel in der NZZ mit dem Titel: “Die US-Notenbank erhöht die Gefahr eines Megacrashs”:

  • “Einige Kritiker werfen der US-Zentralbank Fed vor, dass sie vor allem auf das Geschehen an den Aktienmärkten reagiere und nur wenig auf die Daten aus der Realwirtschaft. Zwei Ökonominnen, Anna Cieslak und Annette Vissing-Jorgensen, haben in einer wissenschaftlichen Studie aufgezeigt, dass dieser Vorwurf zutrifft. Sowohl Cieslak als auch Vissing-Jorgensen lehren an einer der Top-Wirtschaftsuniversitäten der USA.” – bto: Wir ahnen es schon lange, und der Greenspan-Put hat zwar den Namen gewechselt, je nachdem wer gerade Präsident der Fed war, war aber immer gültig und wirksam.
  • “Die Professorinnen analysierten akribisch die mehrere Jahrzehnte umfassenden Protokolle und Transkriptionen der entsprechenden Zentralbank-Sitzungen. (…) Die Prognosen des Fed hinsichtlich des Wachstums der amerikanischen Wirtschaft und der Arbeitslosigkeit hängen offenbar direkt mit der Entwicklung des Aktienmarktes zwischen den Zentralbank-Meetings zusammen. Dies gilt in besonderem Masse für den Fall, dass die Kurse sinken. Wenn die Aktienkurse zwischen zwei Meetings um 10% zurückgehen, senkt die Zentralbank ihre Wachstumsprognosen um einen Prozentpunkt.” – bto: Und was folgt daraus? Genau, eine Senkung der Zinsen, was natürlich positiv auf die Börse wirkt.
  • “Die Aktienkurse sind mit Abstand die wichtigste Determinante der Fed-Politik, wichtiger etwa als alle 38 im Bloomberg-Wirtschaftskalender verfügbaren makroökonomischen Indikatoren und wichtiger als der Chicago-Fed-National-Activity-Index (CFNAI), ein aus 85 monatlichen Indikatoren zusammengesetzter Superindikator für die Wirtschaftstätigkeit der USA. (…)  Erst seit den neunziger Jahren tritt dieses Phänomen auf (…).” – bto: “Erst” ist natürlich eine recht zurückhaltende Formulierung, handelt es sich doch um Jahrzehnte einer guten Börsenentwicklung, die ohne die ständige Verbilligung des Geldes in der Form nicht möglich gewesen wäre.
  • “Aus mehreren Gründen ist es allerdings problematisch (…). Zum einen sind die Aktienmärkte immer weniger ein angemessenes Abbild der amerikanischen Wirtschaft. Das Fed unterliegt damit einer fortschreitenden Perspektivenverzerrung. Wenn es sich an falschen Signalen orientiert, besteht die Gefahr, dass sich seine Handlungen als langfristig wirkungslos oder sogar kontraproduktiv erweisen.” – bto: Das ist keine Gefahr, sondern bereits Realität. Es ist eindeutig so, dass die Notenbanken uns so in eine Ecke manövriert haben.
  • “Die Zentralbank stützt mit dem Geld der Bürger die Aktienkurse, weil sie der Meinung ist, dies nütze der Wirtschaft. Vor allem aber nützt dies den reichsten Amerikanern. Denn 90% aller Aktien und Fonds sind im Besitz der reichsten 10% der US-Bürger, die vermögensschwächsten 50% halten dagegen gerade einmal 0,6%.” – bto: Dies erhöht die Ungleichheit und der Wealth-Effekt wirkt ebenfalls nicht wie gedacht. Die Wirkung auf die Realwirtschaft ist vernachlässigbar.
  • “Das Fed greift deshalb zu einem altbewährten Mittel: zu Ausflüchten. (…) Wenn nötig, streitet er jedoch ohne mit der Wimper zu zucken ab, dass das Fed etwas mit der zunehmenden Ungleichheit zu tun habe, ebenso wie andere Vertreter des Fed. Dabei kommt selbst die linker Ansichten unverdächtige Bank für Internationalen Zahlungsausgleich zum Schluss, dass die Fed-Massnahmen zur Stützung der Börsen die Ungleichheit vergrössern.” – bto: Das gilt übrigens auch in Europa, wo die EZB die Immobilienpreise treibt.
  • “Die Fed-Hilfe für die Finanzmärkte hat ausserdem einen weiteren Nachteil (…) So haben die Massnahmen zur Stützung der Aktienmärkte nur dann eine grosse und anhaltende Wirkung, wenn sie für die Märkte überraschend kommen. Diese preisen aber mit jeder Hilfsmassnahme des Fed ein sinkendes Risiko in die Kurse ein, weil sie davon ausgehen, dass sie auch in zukünftigen Schwächephasen auf diese Hilfe zählen können. Das führt dazu, dass das Fed in jeder Krise sozusagen die Dosis erhöhen muss, um die Erwartungen der Märkte überzukompensieren.” – bto: Damit sind wir bei der asymmetrischen Reaktion, die ich seit Langem kritisiere.
  • “Viele Pfeile hat die US-Zentralbank nicht mehr im Köcher. Sie könnte etwa beginnen, direkt oder über kotierte Indexfonds (ETF) Aktien zu kaufen, wie es die japanische Zentralbank bereits seit Jahren tut, um die Kurse hoch zu halten; (…) Damit könnte das Ende der Fahnenstange in Reichweite sein. (…) Das deutet darauf hin, dass die Finanzmärkte in einem erstaunlichen Masse dysfunktional geworden sind. Ohne Staatshilfe geht nichts mehr. Damit ist klar, dass jede Berufung auf «freie Märkte» oder das «freie Spiel der Marktkräfte» pure Realitätsleugnung ist.” – bto: William White äußert sich ähnlich im Gespräch. Die Märkte würden nur noch auf die Liquidität blicken, nicht mehr auf die fundamentalen Daten.
  • “Wenn (die Märkte) kaum noch ernsthafte Rücksetzer erleiden, weil die Zentralbank sofort eingreift, wird es wahrscheinlich, dass das System in einen derart kritischen Zustand gerät, dass es irgendwann zu Fundamental-Kaskaden mit immer tieferen Kursen kommt, die nicht einmal mehr das Fed kontrollieren kann.” – bto: Dieser Vertrauensverlust würde sich dann auch auf die Währung erstrecken.
  • “Für langfristig orientierte Buy-and-hold-Investoren bedeutet das, dass sie sich weiterhin vorsichtig positionieren sollten. Denn es besteht die nicht unerhebliche Gefahr, dass über ihren langfristigen Anlagehorizont die Wirksamkeit der Fed-Massnahmen erodiert oder die Zentralbank ihre Ausrichtung so anpassen muss, dass die Unterstützung der Aktienmärkte geringer ausfällt.” – bto: Ich denke nicht, dass das freiwillig passiert. Denn an dem billigen Geld hängen ja nicht nur die Börse und der Immobilienmarkt, sondern daran hängt letztlich das ganze System. Höhere Zinsen bedeuten nichts anderes als “game over”. Was zu tun ist? Auch Thema am Sonntag.

nzz.ch (Anmeldung erforderlich): „Die US-Notenbank erhöht die Gefahr eines Megacrashs“, 26. November 2020