McKinsey für Vermögens­abgabe und Mone­tari­sierung

Am 10. Februar erschien dieser Beitrag leicht modifiziert bei manager magazin online:

manager-magazin.de: Warum McKinsey für eine Vermögensabgabe wirbt, 10. Februar 2015

Mit der Studie zur ungebremst ansteigenden Schuldenlast der Welt hat McKinsey erneut aufgezeigt, wie stark die Gefährdung für die Weltwirtschaft und das globale Finanzsystem zugenommen hat. Zunächst aber nochmals das Problem auf einen Blick:

Wie die Analyse von McKinsey zeigt, wachsen die Schulden von Staaten (9,3 Prozent p. a.), privaten Haushalten (2,8 Prozent) und Nicht-Finanzunternehmen (5,9 Prozent) seit 2007 weltweit weiterhin drastisch und immer noch schneller als die Wirtschaft. Dabei machen Unternehmen ungefähr im selben Maße neue Schulden wie im Zeitraum von 2000 bis 2007, private Haushalte deutlich weniger (vor der Krise waren es 8,5 Prozent pro Jahr) und die Regierungen deutlich mehr (bis 2007 “nur” 5,8 Prozent pro Jahr). Letztere haben damit die geringere Neuverschuldung der privaten Haushalte und damit die wegfallende Zusatznachfrage durch eigene Schulden kompensiert. Das geht auf Dauer nicht gut.

Die wachsende Verschuldung führt zu einem immer stärkeren deflationären Druck, was leider die wenigsten Entscheidungsträger verstehen. Rund gerechnet wachsen die Schulden der Realwirtschaft um sechs Prozent im Jahr nach rund sieben im Zeitraum davor. Würde McKinsey die Daten seit 1980 zeigen, würde man einen noch deutlicheren Rückgang der Wachstumsraten feststellen. Zeitgleich mit dem Rückgang der Wachstumsraten der Schulden kam es auch zu einem Rückgang des Wirtschaftswachstums. Neue Schulden hatten eine immer geringere Wirkung auf das Wachstum. Bewirkte ein US-Dollar neue Schulden in den 1960er-Jahren noch rund 80 Cent mehr BIP, so sank der Wert auf 30 Cent in den 1990er-Jahren und auf rund zehn Cent seit dem Jahr 2000.

Hierin liegt die entscheidende Ursache für den zunehmenden deflationären Druck und das immer geringere Wachstum der hoch verschuldeten Länder und der Weltwirtschaft insgesamt. Gehen wir davon aus, dass der durchschnittliche Zinssatz, der auf die Schulden zu bezahlen ist, bei fünf Prozent liegt, sieht man, dass der größte Teil der neuen Schulden nur noch dazu dient, die Zinsen auf den alten Schulden zu bedienen, aber nicht mehr um Nachfrage zu generieren. Die fünf Prozent klingen angesichts des tiefen Zinsniveaus hoch, doch muss man im Hinterkopf haben, dass:

  • die Zinsen in den letzten Jahren gefallen sind, diese Senkung aber erst verzögert auch für bestehende Schulden gilt
  • das Zinsniveau weltweit noch nicht auf dem Niveau der Schweiz und Deutschlands angekommen ist
  • nicht jeder Schuldner sich zu so günstigen Konditionen finanzieren kann wie der Staat.

Die neuen Schulden bewirken folglich kein weiteres Wirtschaftswachstum. Damit nähert sich die Wachstumsrate der Wirtschaft dem natürlichen Trend, getrieben vom Wachstum der Erwerbsbevölkerung und der Produktivität. Beides stagniert oder schrumpft jedoch.

Damit nicht genug. Weil einige Sektoren versuchen die Schulden zu senken, sinkt die Nachfrage überproportional. Nachdem wir jahrelang dank Aufschuldung ein Wachstum oberhalb des natürlichen Potentials generiert haben, droht nun also ein Überschießen in die andere Richtung: Wachstum unterhalb des natürlichen Trends. Warnungen vor der säkularen Stagnation haben hier ihren Ursprung, wenngleich ihnen eine falsche Analyse der Ursachen zugrunde liegt.

Die im Zuge des schuldenfinanzierten Booms aufgebauten Überkapazitäten verstärken den deflationären Druck zusätzlich. Wenn es um die Bedienung von Schulden geht, steht die Beschaffung von Liquidität im Vordergrund. Wenn es nur noch darum geht, Liquidität zu beschaffen und nicht um die Deckung der Vollkosten, ist ein Umschlagen in eine Deflation eine realistische und erhebliche Gefahr.

Die Politik versucht dies zu verhindern und mit allen Mitteln das erforderliche Wachstum der Schulden zu Zinszahlungszwecken nach unten zu drücken, damit

  • mehr neue Schulden zu Nachfrage führen und damit die Realwirtschaft beleben
  • die Schuldner in der Lage bleiben, ihren Verpflichtungen nachzukommen
  • der Druck zum Schuldenabbau ‒ “Deleveraging” ‒ verringert wird
  • tiefe Zinsen potentielle Schuldner, die noch über Verschuldungskapazität verfügen, dazu verleiten, schuldenfinanziert zu konsumieren oder investieren.

In den letzten Jahren ist es gelungen, neue Schuldner vor allem in China und den asiatischen Schwellenländern zu finden. Diese haben geholfen, die Weltwirtschaft zu stabilisieren. Nun, nachdem die Verschuldung erfolgt ist, fehlt auch diese Zusatznachfrage, und die Schuldner bemühen sich ebenfalls Schulden zu senken, vor allem wenn diese in US-Dollar aufgenommen wurden.

Spätestens sobald die Zinsen weltweit bei null angekommen sind, kommt diese Politik jedoch an ihr Ende.

McKinsey zeigt auf, dass angesichts der Demografie und der geringen Produktivitätsfortschritte nicht damit gerechnet werden kann, dass wir aus den Schulden herauswachsen. Im Gegenteil erwartet McKinsey, dass die Schulden auch weiterhin schneller wachsen als die Wirtschaft. Dies ist übrigens deckungsgleich mit der Annahme der Credit Suisse, die spiegelbildlich davon ausgeht, dass die Vermögen weiterhin schneller als die Wirtschaft wachsen.

Doch was ist zu tun? McKinsey macht ganz konkrete Vorschläge zur Eindämmung des Schuldenproblems. Diese reichen von leichteren Privatinsolvenzen, modifizierten Hypotheken, die die Preisentwicklung der Immobilie berücksichtigen, bis hin zur sogenannten “makroprudenziellen” Überwachung und Steuerung von Kreditvergabe, Schuldenständen und Immobilienpreisen, um Blasen und damit Krisen zu verhindern.

Mit Blick auf die Staaten schlägt McKinsey Privatisierungen und Effizienzsteigerung vor. Sicherlich alles richtig, aber vermutlich nicht ausreichend, um die Schuldenlast in den Griff zu bekommen. Deshalb erwähnt McKinsey ausdrücklich zwei weitere Möglichkeiten mit der Schuldenlast umzugehen:

  • Höhere Vermögenssteuern oder einmalige Vermögensabgaben. Dies finde ich deshalb besonders interessant, weil sich McKinsey im Jahre 2011, als ich ‒ damals noch beim Wettbewerb tätig ‒ Back to Mesopotamia geschrieben habe und darin vorhersagte  (nicht empfahl, wie mir immer nachgesagt wird), dass die Staaten über Vermögensabgaben nachdenken werden, ausdrücklich von derartigen Gedanken distanziert hat. Willkommen an Bord kann ich da nur sagen.
  • Oder aber den Trick über die Zentralbankbilanz: “Moreover, debt owned by central banks could be replaced upon maturity indefinitely, eliminating the future need to raise taxes or reduce government spending, with interest payments remitted to the national treasury.” ‒ Klartext: Die Notenbanken sollen die Staatsanleihen auf der eigenen Bilanz in ewige Anleihen wechseln (was Griechenland gerade fordert) und die Zinszahlungen umgehend wieder als Gewinn an die Staaten ausschütten. Irland hat uns dies schon vorgemacht.

Wenngleich ich eine offene Schuldenrestrukturierung für effizienter, fairer und risikoloser halte, glaube ich nicht, dass die Politik sich traut diesen Weg zu gehen. Stattdessen wird die zweite Option immer realistischer. Vor allem dann, wenn sich so namhafte Institutionen wie McKinsey öffentlich dafür aussprechen. Damit sind wir in genau dem Szenario, vor dem die Bank für Internationalen Zahlenausgleich lautstark gewarnt hat.

Mit  Blick auf die Politik der EZB habe ich dieses Szenario schon mehrfach diskutiert. Nur wenn die Lösung der Krise über die Bilanz der Notenbank angestrebt wird, kann man das neue Programm der EZB verstehen. Offen bleibt nur, wie das Problem der privaten Überschuldung gelöst werden kann. Hierzu müssten die Staaten die Banken im großen Umfang finanzieren, um eine entsprechende Abschreibung des privaten Schuldenüberhangs zu ermöglichen.

Alles spricht dafür, dass  wir vor der direkten Monetarisierung der Schulden durch die Notenbanken stehen. Japan ist auf diesem Weg am weitesten vorangeschritten, Europa und die USA dürften im Zuge der nächsten Krise, die angesichts der Schuldendynamik unabwendbar ist, schnell aufholen. Die Konsequenzen sind völlig offen. Befürworter sehen das als einzigen schmerzfreien Weg aus der Krise, Kritiker als Einstieg in die Zerrüttung des Geldwertes. Eines ist sicher: Es ist ein einmaliges Experiment.

mckinsey.com: Debt and (not much) deleveraging, Februar 2015

Kommentare (5) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Klaus Meyer
    Klaus Meyer sagte:

    Sehr geehrter Herr Dr. Stelter,

    durch das Internet im Allgemeinen, und solchen Aufklärungswebseiten, wie der Ihrigen, im Besonderen, werden die Schritte und Tritte der internationalen Entscheidungsträger immer mehr kritisch beäugt.
    Egal, mit was für Mitteln die internationalen Entscheidungsträger der Überschuldung zu Leibe rücken – es wird grossen, oder allen, Bevölkerungsteilen weh tun.
    Die Wut auf “die da oben” wird vermutlich stark zunehmen. Die in irgendeiner Art und Weise verkackeierten Menschen besinnen sich dann mehr auf ihr privates Umfeld. Selbst wenn also durch die anstehenden Massnahmen die Verschuldungsfähigkeit im Privatsektor wieder erhöht werden sollte, ist noch lange nicht gesagt, dass dadurch die Verschuldungswilligkeit wieder zunimmt. Aber ohne Verschuldungswilligkeit kein Kapitalismus.
    Auf jeden Fall spannende Zeiten, weil sich die Schlinge, so oder so, immer enger zieht.

    MfG

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