Markt­wirtschaft im Wohnungs­markt kann funk­tionieren

Morgen (23. April 2023) reden wir im Podcast über die Lage am deutschen Immobilienmarkt. Als Experte dabei: Professor Dr. Steffen Sebastian, Inhaber des Lehrstuhls für Immobilienfinanzierung (Real Estate Finance) an der IREBS International Real Estate Business School und Direktor am Center for Finance der Universität Regensburg sowie Forschungsprofessor (Research Associate) am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Seine Forschungsschwerpunkte sind Indirekte Immobilienanlagen, Immobilienindizes, Immobilienderivate und Asset Allocation. Er ist Mitherausgeber des European Journal of Real Estate Research und des German Journal of Property Research sowie Leiter des Arbeitskreises „Indirekte Anlagen“ der gif Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung e.V.

Aufmerksam wurde ich durch einen Artikel im Handelsblatt. In diesem wird von einem Vorschlag von ihm und Kollegen berichtet, der den Wohnungsmarkt revolutionär voranbringen würde. Die Highlights:

  • „Die These der Professoren um den Immobilienwissenschaftler Steffen Sebastian: Es braucht keine neuen Wohnungen, die vorhandenen müssten nur besser verteilt werden. Um das zu erreichen, sollen Mieter mit günstigen, alten Mietverträgen deutlich mehr zahlen und dadurch motiviert werden, Platz zu machen für Familien. Die Gewinne, die die Vermieter durch die höheren Mieten einnehmen, sollen über einen Vermieter-Soli abgeschöpft werden und als Wohngeld an deutlich mehr Menschen fließen als bisher.“ – bto: Das ist die Kurzfassung und die leuchtet auch ein.
  • „‘Ich halte es für ein Unding, dass Menschen, die bereits seit Jahren und Jahrzehnten eine geringe Miete zahlen, hierzulande so extrem geschützt werden, während andere keine bezahlbare Wohnung finden‘, sagt Steffen Sebastian, der gemeinsam mit dem Juristen Jürgen Kühling und dem Ökonomen Sebastian Siegloch den Vorschlag erarbeitet hat. ‚Wir subventionieren bundesweit über die Mietspiegel Millionen Mieter mit der Gießkanne und sorgen für einen Lock-in-Effekt‘, erklärt er weiter.“ – bto: Genauer gesagt subventionieren die Vermieter die Mieter und diese Subventionen sind beidseitig ungerecht.
  • „Millionen Menschen, die allein oder zu zweit große, günstige Wohnungen bewohnen, würden seiner Ansicht nach gern umziehen, aber wegen des gewaltigen Unterschieds zwischen Neu- und Bestandsmieten müssten sie in einer deutlich kleineren Wohnung viel mehr zahlen. Infolgedessen bleiben sie, wo sie sind.“ – bto: Das ist unstrittig. Weitere Millionen wollen nicht umziehen, weil die Miete so günstig ist, dass es sich nicht lohnt.
  • „Der Hauptgrund für diese Verzerrungen am Markt sind seiner Ansicht nach die Mietspiegel. Diese werden aus dem Durchschnitt der Mieten der vergangenen sechs Jahre inklusive Mieterhöhungen und der Mieten von Genossenschaften und kommunalen Wohnungen errechnet. Dadurch seien sie zu weit vom Marktpreis entfernt.“ – bto: Das stimmt ganz offensichtlich.
  • Eine Aufhebung „(…) würde dazu führen, dass die Mieten in vielen Regionen um 15 bis 20 Prozent stiegen und somit deutlich näher an einen realistischen Marktpreis heranreichten. (…) Damit das nicht zu einem Konjunkturprogramm für Vermieter wird, schlagen die Wissenschaftler vor, deren zusätzliche Gewinne in Form eines Vermieter-Solidaritätszuschlags abzuschöpfen. Bei privaten Vermietern wäre das abhängig von ihrem Einkommen.“ – bto: Von dieser Idee halte ich nicht so viel. Ich denke, das müsste anders geregelt werden.
  • „Dieses Geld würde dafür verwendet, deutlich mehr Menschen als bislang ein Wohngeld oder eine vergleichbare Unterstützung zu zahlen. Steffen Sebastian schätzt, dass nach dem Modell in manchen Städten 15 bis 20 Prozent der Mieter einen Zuschuss zu ihrer Miete bekämen. Laut den aktuellsten Zahlen des Statistischen Bundesamts bekamen Ende 2021 deutschlandweit nur 1,5 Prozent der Haushalte Wohngeld. Damit sei bezahlbares Wohnen für alle und sofort zu erreichen, so Sebastian.“ – bto: Es wäre unstrittig zielgerichteter als die jetzige Subvention, unabhängig von der Bedürftigkeit.
  • „Beim Deutschen Mieterbund kommt der Vorschlag der drei Professoren gar nicht gut an. ‚Jegliche Maßnahmen zur Erhöhung der ortsüblichen Vergleichsmiete, die zur weiteren Erhöhung der Mietspiegelmieten führen, lehnen wir insbesondere in Zeiten angespannter Wohnungsmärkte und drastischer Mietenexplosion deutlich ab‘, sagt Melanie Moritz.
  • „Die Bundesdirektorin des Mieterbunds fordert im Gegenteil, alle Mieten – auch die aus dem geförderten Wohnungsbau – in die Berechnung der ortsüblichen Vergleichsmiete einzubeziehen. Das würde die Mietspiegelmieten sogar senken.“ – bto: Das beweist, dass es eine Lobby-Organisation für die Besitzer von Wohnungen ist.
  • „Auch beim Vermieterverband Haus & Grund stößt der Vorschlag auf wenig Gegenliebe. Bundesgeschäftsführer Gerold Happ ist sich sicher, dass höhere Mieten keinen neuen Wohnraum schaffen. Vor allem dann nicht, wenn die höheren Mieteinnahmen nicht in neue Wohnungen oder Sanierungen investiert werden könnten, sondern an Menschen gezahlt würden, die sich die gestiegenen Mieten nicht mehr leisten könnten.“ – bto: Klar, hier gibt es Sorge vor einer Sondersteuer, die eine zusätzliche Belastung darstellt.
  • „Reiner Braun, Vorstand des Immobilienmarktforschungsinstituts Empirica, hält den Vorstoß der drei Wissenschaftler aus wirtschaftlicher Sicht für richtig, aber für kaum finanzierbar. Er rechnet vor: Wenn jeder fünfte Haushalt Wohngeld bezöge, müssten jährlich rund 20 Milliarden Euro ausgezahlt werden. 2021 betrug das Volumen aller Wohngeldzahlungen 1,4 Milliarden Euro.“ – bto: Es gab 2022 laut statistischem Bundesamt 19,9 Hauptmieterhaushalte in Deutschland, die 27,8% ihres Einkommens für die Miete ausgaben. Das verfügbare Haushalteinkommen in Deutschland liegt bei rund 24.000 Euro, macht 6.600 Euro Jahresmiete. Wenn diese um zwanzig Prozent steigt, sprechen wir im Schnitt von 1.320 Euro mehr Miete, macht bei 19,9 Millionen Haushalten einen Betrag von 26,3 Milliarden Euro, also mehr als die hier berechneten 20 Milliarden.
  • „Zudem zweifelt Braun daran, ob der Vorschlag politisch umsetzbar ist, da er für Mieter und Vermieter zunächst einmal unbequem sei. ‚Wer das Programm durchzusetzen versucht, begeht politischen Selbstmord.‘“ – bto: Ja, dem dürfte so sein!

→ handelsblatt.com: „Massive Mieterhöhungen für fairen Immobilienmarkt?“, 29. März 2023