Mario Draghi ist gescheitert – doch er konnte gar nicht gewinnen (I)

Eine wahre Flut an Artikeln beschäftigt sich mit der Rolle Mario Draghis als Chef der EZB in den letzten acht Jahren. Ab Übermorgen ist offiziell Christine Lagarde verantwortlich für die Geldpolitik im Euroraum. Obwohl so viel geschrieben wurde, denke ich, auch bto sollte Bilanz ziehen. Das scheint durchaus nötig, wenn ich mir so ansehe, was alles geschrieben wird. Und auch um klarzustellen, dass auch ich die Leistung Draghis differenziert sehe. Keineswegs gehöre ich in die Kategorie der EZB-Basher, wie auch einige meine Leser zu denken scheinen. So schickte mir einer mit erhobenem Zeigefinger einen Kommentar von n-tv zu dem Thema. Beginnen wir also damit.

Betitelt ist er mit „Die hohlen Phrasen der EZB-Basher“. Darin werden einige Argumente der Gegner der Geldpolitik auseinandergenommen:

  • „Draghi enteignet Sparer, saugt deutsche Konten leer
     Ein Blick auf die deutschen Konten insgesamt zeigt: Niemand saugt die leer! Im Gegenteil: Das Geldvermögen der deutschen Privathaushalte ist seit dem zweiten Quartal 2014, als die EZB den Einlagesatz zum ersten Mal unter null senkte, bis Anfang 2019 von weniger als 5 Billionen Euro auf weit über 6 Billionen Euro angewachsen – und zwar nicht trotz, sondern dank der Niedrigzinspolitik. Denn die ist maßgeblich für die lange gut laufende Konjunktur und die Vollbeschäftigung in Deutschland mitverantwortlich.“ – bto: Ja, die Rettung des Euros hat zu der guten Konjunktur beigetragen und die Bürger haben weiter gespart. Richtig wäre aber auch, dass sie noch mehr Geldvermögen hätten, wenn sie gleichzeitig auch noch einen positiven Zins auf ihrem Ersparten erwirtschaftet hätten.
  • „Die allgemein niedrigen Zinsen für Sparprodukte in Deutschland gehen nicht in erster Linie auf Draghis Entscheidungen zurück, sondern sind eine Marktentwicklung. Da die deutschen Privathaushalte, aber vor allem auch der Staat und die Unternehmen immer mehr sparen und vergleichsweise wenig Geld leihen, um zu investieren, sinkt der Preis fürs Geldausleihen, sprich der Zins.“ – bto: In vielen Beiträgen bei bto habe ich gezeigt, dass es in der Tat viele Gründe für die Zinsentwicklung gibt. Dies hier ist die Badewannentheorie. Richtig ist auf jeden Fall, dass die Politik der schwarzen Null unsere Ersparnisse ins Ausland treibt, u. a. in zins- und tilgungsfreie TARGET2-Positionen.
  • „EZB-Entscheidungen sind nicht demokratisch legitimiert
    (…) Die Mitglieder des EZB-Direktoriums werden vom Europäischen Rat, das heißt von den wiederum demokratisch gewählten Regierungen der EU-Mitgliedstaaten gewählt. Dazu kommen die Chefs der nationalen Notenbanken, die gemäß den demokratischen Verfassungen der Euro-Staaten bestimmt werden. Zudem ist die EZB an ihr in den Europäischen Verträgen festgelegtes Mandat gebunden. Dass sie sich daran hält, wurde mehrfach von Gerichten wie dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) überprüft.“ – bto: Das ist formal richtig. Andererseits kann man die Frage aufwerfen, ob die Stimmrechte in der EZB dem Anteil am Kapital (= Risiko) entsprechen sollten (ich denke ja!) und zudem, wie mit möglichen Mandatsüberschreitungen umgegangen wird. Denn dass diese vom EuGH gerügt werden, ist im gesamteuropäischen Kontext mehr als fraglich.
  • „Das Recht am Eigentum bedeutet Recht auf Zinsen auf Erspartes.“ – bto: Das ist natürlich Quatsch.
  • „Illegale Staatsfinanzierung
    (…) Aber tut sie das, wenn sie in großem Stil Banken Staatsanleihen abkauft? Das treibt schließlich die Nachfrage nach solchen Anleihen und damit ihren Preis nach oben und deren Verzinsung nach unten. (…) Der EuGH hat entschieden, dass die EZB das darf. Die Richter bestätigten, dass das Anleihekaufprogramm primär dem Ziel diene, die Inflation anzukurbeln.“ – bto: Abgesehen von dem bereits gemachten Kommentar mit Blick auf den EuGH muss man natürlich feststellen, dass es Staatsfinanzierung ist. Das war auch bei entsprechenden Käufen der Bundesbank so. Immer gab es den Umweg über das Bankensystem, es ist also nichts Neues. Das Problem kommt auf, wenn es zu einer ungleichen Verteilung der Risiken kommt (was passiert, wenn künftig vom Schlüssel abgewichen wird) und aufgrund der Nebenwirkungen (Kapitalflucht und damit TARGET2 Ungleichgewichte).
  • „Niedrigzinspolitik gefährdet das Bankensystem – Diese Probleme sind aber nicht in erster Linie auf die Leitzinsen der EZB zurückzuführen. Eines der Hauptprobleme – neben ineffizienten Strukturen, veralteten Computersystemen und überholten Geschäftsmodellen – ist die Konkurrenz von fast 1800 Kreditinstituten in Deutschland. In diesem harten Wettbewerb ist es Banken kaum möglich, ihre Kosten an die Kunden weiterzugeben.“ – bto: Auch das ist zutreffend.

Im Oktober 2018 erschien meine Geschichte zur Geldpolitik der EZB im Cicero. Mein Titel war damals „Mario Draghi – Retter und Umverteiler“, die Redaktion hat dem aber den Draghila-Titel verpasst, der in der EZB nicht gerade Begeisterung ausgelöst hat.

 

bto zu den Folgen der EZB-Politik zur Eurorettung im aktuellen Cicero

Darin habe ich erklärt: „Wir dürfen nicht vergessen, dass letztlich nicht Mario Draghi schuld ist, dass der Euro entgegen aller ökonomischen Vernunft von Politikern durchgesetzt wurde. Er kann nur versuchen, das Konstrukt am Leben zu erhalten und Zeit für eine politische Lösung zu kaufen. Deshalb erleichtert die EZB Schuldnern den Schuldendienst und fördert die Nachfrage nach Gütern durch immer günstigere Finanzierung.

Eine Politik, die auf die Erleichterung des Schuldendienstes durch billiges Geld setzt, ist zwingend eine Politik zulasten der Sparer. Statt eines großen Knalls erleben die Sparer die schleichende Enteignung. Zurecht findet die angesehene FINANCIAL TIMES Sparer haben in einer Welt von zu viel Geld und Schulden und unzureichender Nachfrage keinen „ökonomischen Nutzen“ mehr. Wer sein Geld nicht produktiv einsetzt, verdient es nicht, einen Ertrag darauf zu erwirtschaften, so das Blatt, welches sich auf den berühmten britischen Ökonomen John Maynard Keynes beruft, der angesichts der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre die „Euthanasie der Rentiers“ forderte.

Konkret bedeutet es:

  • Umverteilung von Sparer zu Schuldner: tiefe Zinsen, vor allem wenn sie unter der Inflationsrate liegen, bedeuten eine anhaltende und erhebliche Verschiebung von Vermögen vom Sparer zum Schuldner. Häuslebauer und Unternehmen aber vor allem der Staat profitieren von den tiefen Zinsen. Ohne die Enteignungsstrategie der EZB hätte Wolfgang Schäuble niemals die berühmte „schwarze Null“ erzielt. Mag das innerhalb Deutschlands noch akzeptabel sein – eine versteckte Steuer auf Geldvermögen – so ist es innerhalb der EU eine Verschiebung zwischen Ländern.
  • Umverteilung von unten nach oben: Nicht nur Schuldner profitieren von dieser Zins-Subvention zulasten der Sparer, es profitieren alle, die über genug Mittel und das Verständnis verfügen, ihr Geld in anderen Vermögenswerten zu investieren. Die Rede ist von Betriebsvermögen, Aktien und Immobilien. Aber auch Sammlerobjekte wie Kunst, Oldtimer, Uhren und Wein profitieren vom Umfeld des billigen Geldes. Alles, was man auf Kredit kaufen kann, wird attraktiver, wenn der Kredit billiger wird. So kann man den Zuwachs der weltweiten Vermögen, wie ihn beispielsweise der französische Reichtumsforscher Thomas Piketty beklagt, mit dem Rückgang des Zinsniveaus seit Mitte der 1980er-Jahre und der seither deutlich gestiegenen Verschuldung erklären. Die Sachvermögenspreise sind nach Daten des Flossbach von Storch Instituts seit 2008 im Schnitt um rund 4,5 Prozent pro Jahr gestiegen, was einem Gesamtzuwachs von über 50 Prozent entspricht. Eine Rendite von der die Sparer nur träumen können.

Ziel dieser Umverteilung ist, die Schuldenlast zu reduzieren. Die Alternativen zu diesem Vorgehen sind wenig erfreulich. Die Schuldner können entweder die Zahlungen einstellen oder aber Gläubiger und Schuldner einigen sich auf einen Schuldenerlass. Was stattfindet, ist nichts anderes als ein Schuldenerlass durch die Hintertür, ohne eine offizielle Vereinbarung, ohne Gegenleistung und – da von der EZB einseitig organisiert – auch ohne demokratische Legitimierung.“

Netto – auch das habe ich damals erklärt – profitiert davon selbst Deutschland. Zumindest kurzfristig. Perspektivisch werden die Ungleichgewichte, die in Folge dieser Politik entstehen, jedoch erheblich sein: neue Blasen an den Vermögensmärkten, “Japanisierung”, Zombifizierung, anhaltende ökonomische Eiszeit und am Ende dann doch Entwertung von Vermögen und das bleibende Risiko eines Zerfalls der Eurozone.

Draghi hat Zeit gekauft, die Politik hat sie nicht genutzt. Teil 2 der Bilanz um 15:00 Uhr bei bto.