“Lügenpresse” ist Quatsch – aber manchmal frage ich mich schon

Als ich in den ruhigen Tagen zwischen Weihnachten und Silvester im Internet stöberte, fand ich nur selten wirklich Erhellendes. Meistens wurden alte Beiträge aufgewärmt, allerdings nur selten so offen gekennzeichnet wie bei bto. Oder aber es wurde darauf gesetzt, dass man nur den Titel liest, nicht hingegen die Story. So auch bei SPIEGEL ONLINE, wo am 30. Dezember gleich zwei Schlagzeilen für gute Laune sorgten:

  • “Flüchtlinge stimulieren die deutsche Wirtschaft” und
  • “Weniger Straftaten von Zuwanderern”.

Beides Nachrichten, die mit Blick auf die laufende Diskussion Hoffnung machen, es könnte doch alles gut ausgehen.

Schade nur, dass sie zwar nicht falsch sind, dafür jedoch dem Inhalt einen “Spin” geben, der so nicht unbedingt stimmt.

Zunächst zur Feststellung wonach “Flüchtlinge die deutsche Wirtschaft stimulieren”. Richtig ist, dass höhere Staatsausgaben die Wirtschaft stimulieren. SPIEGEL ONLINE zitiert Marcel Fratzscher: “Die staatlichen Leistungen für Geflüchtete wirken wie ein kleines Konjunkturprogramm, denn ultimativ kommen sie vor allem deutschen Unternehmen und Arbeitnehmern durch eine höhere Nachfrage zugute. Der positive Effekt der Geflüchteten auf die Wirtschaftsleistung könne langfristig sogar bei 0,7 Prozent Wachstum pro Jahr liegen.” btoDiese höheren Ausgaben hätten wir auch ohne Flüchtlinge haben können, zum Beispiel für marode Schulen und Infrastruktur. Es wäre besser gewesen zu titeln: Höhere Staatsausgaben im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise beleben die Wirtschaft. Und wenn das zu lang ist: Höhere Staatsausgaben beleben die Wirtschaft. So könnte der Eindruck entstehen, man wolle erneut die steile These verbreiten, die Zuwanderung hätte positive wirtschaftliche Effekte, was definitiv und nachrechenbar nicht stimmt. Mehr Staatsausgaben wirken immer stimulierend. Bezahlt werden müssen sie übrigens auch. In NRW werden dafür noch mehr Schulden gemacht.

Doch damit nicht genug. Auch ein Rückgang der Straftaten wird vermeldet: “Die Zahl der Straftaten, bei denen Zuwanderer Täter oder Tatverdächtige sind, ist im Laufe dieses Jahres gesunken. Das berichten NDR und Süddeutsche Zeitung unter Berufung auf einen vertraulichen Lagebericht des Bundeskriminalamts für die ersten drei Quartale.” bto: Das ist zunächst eine gute Nachricht, wobei man natürlich im Hinterkopf haben muss, dass in einigen Bundesländern, wie NRW, die Herkunft der Straftäter nicht erfasst werden darf. Insofern sind die Daten in diesem Zusammenhang immer mit besonderer Vorsicht zu genießen.

Doch dann liest man: “Für den Gesamtzeitraum gibt das BKA den Medien zufolge 214.600 Straftaten durch Zuwanderer an. Das sind einige Tausend mehr als 2015.” Wie kann man dann im Titel von “weniger” sprechen?

Ich unterstelle dem SPIEGEL keineswegs Absicht. Es ist eine Folge der knappen Zeit und des Wunsches nach knackigen Schlagzeilen. Es führt aber dennoch zu einem Eindruck, der das Vertrauen unterminiert. Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, dass der SPIEGEL sehr korrekt ist. So hat das Magazin die euphorische Wirtschaftswunder-Argumentation im Zusammenhang mit der Zuwanderung nicht blind übernommen und sogar ein Streitgespräch zwischen mir und Marcel Fratzscher organisiert. Da aber immer mehr Menschen nur noch die Schlagzeilen lesen, müssen wir alle hier besonders aufpassen.

→ SPIEGEL ONLINE: “Weniger Straftaten von Zuwanderern”, 30. Dezember 2016