Lagardes Optionen sind klar – und sie wird sie ergreifen

Christian Odendahl ist ein kluger Kopf und – nicht verwunderlich – einer der einflussreichsten Ökonomen Deutschlands. Nicht immer sind wir einer Meinung, vermutlich sogar eher seltener. Er befürwortet mehr Umverteilung, Mietendeckel und eine Lösung der Eurokrise über mehr Transfers und (notenbankfinanzierte?) Konjunkturprogramme. Gerade aus diesem Grund ist es so wichtig, seine Thesen auch bei bto zu diskutieren. So heute sein Blick auf die Rolle von Christine Lagarde in ihrem neuen Job bei der EZB:

  • “Es ist ein denkbar schlechter Zeitpunkt, Chefin der EZB zu werden. (…) Die Eurozone ist im zweiten Quartal kaum noch gewachsen (0.2 Prozent des BIP), und die Anzeichen für eine weitere Abschwächung sind mittlerweile besorgniserregend.” – bto: Hierauf könnte man sagen: Es ist nie ein guter Zeitpunkt, die Verantwortung für ein politisches Konstrukt ohne ökonomische Fundierung zu übernehmen. Oder aber auch: Super, dass die nächste Krise vor der Tür steht, dann kann ich die Welt retten. Also, ich denke, Frau Lagarde weiß, was kommt und vor allem auch, was sie tun wird. Macron weiß es auch schon, nur bei uns will es keiner wissen.
  • “(…) sowohl kurzfristige als auch langfristige Marktzinsen stehen mittlerweile unter null Prozent; die Inflation steht bei nur einem Prozent, was auch der Durchschnitt der letzten fünf Jahre ist. Beides sind Anzeichen von andauernder Unterkühlung der europäischen Wirtschaft und einer zu hohen Ersparnisbildung relativ zum Investitionswillen. Mit solchen Daten musste vor Lagarde noch niemand einer möglichen Rezession in Europa gegenüber treten.” – bto: Odendahl beschreibt hier die Eiszeit bzw. den Marsch in unser japanisches Szenario, was keinen Spaß macht. Er sieht es aber auch sofort in “zu hoher Ersparnisbildung”, so wie alle Ökonomen seiner Ausrichtung immer nur die Vermögensseite betrachten und nicht sie Schuldenseite. Die Krise ist aber Folge von zu vielen unproduktiv verwendeten Schulden.
  • “(…), wenn die Abschwächung der Wirtschaft anhält oder sich sogar verschärft, müsste Lagarde mit weiteren Maßnahmen nachhelfen. Dabei kämen drei Optionen in Betracht.” – bto: Dann schauen wir doch mal, was die EZB noch kann.
  • Die EZB könnte die Zinsen weiter senken.  Die entscheidenden Zinsen der EZB liegen bei null Prozent (…), allerdings liegen die Zinssätze deutscher Staatsanleihen noch darunter. Es ist also denkbar, beide EZB-Sätze weiter zu senken (…) Die Sorge, dass diese Zinssenkungen nichts bringen, ist verständlich, allerdings zeigt sich bisher, dass die Banken die niedrigen Zinsen durchaus in Kreditvereinbarungen an Unternehmen weiter geben, (und) haben niedrigere Zinsen weiter einen dämpfenden Effekt auf den Euro, was Exporteuren hilft (und US-Präsident Trump auf die Palme bringt).” – bto: Es wirkt faktisch nur noch über Abwertung und dass dies Trump auf die Palme bringt, ist kein Grund zur Freude, sondern zur Sorge. Denn Strafzölle auf deutschen Autos fehlen uns gerade noch.
  • Die EZB könnte zudem weitere Wertpapiere kaufen. (…) Es gibt ökonomisch keine Grenze bezüglich der Menge an Wertpapieren, die die EZB kaufen könnte. Allerdings gibt es politische. So möchte die EZB nicht Mehrheitseignerin von Staatsanleihen oder große Anteilseignerin von privaten Unternehmen werden.” – bto: Vor allem wäre das Fortsetzung der heute schon wirkungslosen Politik. Sie dient nur den Vermögenden und sollte deshalb von Odendahl eher kritisiert als gefordert werden. Hätte ich gedacht.
  • Die EZB könnte sich schließlich für die Zukunft die Hände binden. Es wird zwar in der Öffentlichkeit wenig diskutiert, aber die EZB setzt durch ihre erwartete zukünftige Politik schon heute die Bedingungen für Unternehmen und Investoren. Es ist zum Beispiel schon heute ein Unterschied, ob die EZB in Zukunft einen ökonomischen Boom toleriert (also die Zinsen eher spät erhöht) oder eher vorsichtig agiert, und die Zinsen schon bei ersten Anzeichen von erhöhter Inflation strafft. Die EZB könnte also klarer machen, dass sie ihre Vorsicht ablegt.” – bto: Vorsicht? Ich denke, jeder, der nüchtern auf die Lage blickt, weiß, dass es möglichst hohe Inflation bei möglichst tiefen Zinsen braucht, um aus der Krise rauszukommen.

Womit wir zur – wenig überraschenden – Forderung kommen:

  • “Wenn Geldpolitik an ihre Grenzen stößt, braucht sie Hilfe in Form von Staaten, die bereit sind, sich zu verschulden und Geld auszugeben, und somit die Wirtschaft zu stimulieren. Das gilt insbesondere für Staaten, die sich für sehr geringe bzw. negative Zinsen verschulden könnten, wie Deutschland. Doch gerade in Europa hat man aus der Fehlinterpretation, die Eurokrise sei eine Schuldenkrise gewesen, den Schluss gezogen, staatliche Ausgabenpolitik stark einzuschränken. In Deutschland hat man mit der ‘schwarzen Null’ dem Ganzen eine ökonomisch unsinnige und europapolitisch fragwürdige Krone aufgesetzt.” – bto: Schwarze Null ist klar. Es war eine Schuldenkrise, aber eine des Privatsektors, weshalb auch die Banken noch angeschlagen sind. Ungeachtet dessen sollten wir im eigenen Interesse in Deutschland investieren.
  • “Statt die Schuldenregeln zu ändern, sollte Europa über den Eurozonen-Haushalt neu nachdenken und ihm eine dezidiert stabilisierende Rolle geben. Hier ist Lagarde gefragt, den politischen Widerstand aus Berlin und Den Haag zu brechen.” – bto: Aber genau deshalb hat Macron sie doch platziert, neben einer von seinen Gnaden abhängigen VdL! Das Ziel ist klar: ein Eurozonenhaushalt, der mit deutschem Steuergeld finanziert bzw. garantiert wird. Und dann in die Vollen. Nutzt dem Euro zwar nicht, ist aber ein Zeitgewinn für die Akteure.
  • “Die Liste der internationalen Institutionen, die für eine aktivere Rolle der Fiskalpolitik werben, ist mittlerweile lang und reicht vom IWF (bto: bisher unter Leitung Lagarde) bis zur OECD (bto: unter Leitung einer weiteren Französin). (…) Wer die EZB-Politik kritisiert, muss Alternativen aufzeigen. Die Bundesbank müsste daher selbst zur lautstarken Kritikerin der schwarzen Null werden.” – bto: Aber es gibt noch andere Wege. direkte Finanzierung von Klimarettung durch die EZB. Kommt bestimmt.

→ ipg-journal.de: “Nicht zu beneiden “, 20. September 2019