Kommt jetzt der Margin Call?

In den kommenden Tagen werden wir sehr viel vom Ende der tiefen Zinsen und den sich daraus ergebenden Folgen für die Finanzmärkte und die Realwirtschaft lesen. Schon vor der letzten Zinserhöhung der Fed – fast ein Jahr her und nur minimal – gab es ähnliche Diskussionen. Die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte brauchen den nächsten Schuss und fürchten nichts so sehr wie ein Ausbleiben desselben. Sobald Zeichen auftauchen, dass er ausbleiben könnte oder gar die Versorgung knapper würde, begänne ein Run auf die Droge – das Geld – in Form eines gigantischen Margin Calls, wie hier beschrieben: → „Margin Call für die Weltwirtschaft“

Droht er nun? Ambroise Evans Pritchard beschreibt im Telegraph zumindest so ein Szenario:

  • “Surging rates on dollar libor contracts are rapidly tightening conditions across large parts of the global economy, incubating stress in the credit markets and ultimately threatening overvalued bourses.” bto: In der Tat wären höhere Zinsen der Gau für alle Finanzwerte, wie hier gezeigt: → Eiszeit an den Kapitalmärkten
  • “Three-month Libor rates – the benchmark cost of short-term borrowing for the international system – have tripled this year to 0.88pc as inflation worries mount.”
  • “‚The Libor rate is one of few instruments left that still moves freely and is priced by market forces. It is effectively telling us that that the Fed is already two hikes behind the curve,‘ said Steen Jakobsen from Saxo Bank. ‚This is highly significant and is our number one concern. Our allocation model is now 100pc in cash. This is a warning signal for the market and it happens extremely rarely,‘ he said.”bto: Saxo ist bekanntlich sehr negativ bezüglich Weltwirtschaft und Finanzmärkte, dennoch sind 100 Prozent eindrücklich.
  • “Goldman Sachs estimates that up to 30pc of all business loans in the US are priced off Libor contracts, as well as 20pc of mortgages and most student loans.”bto: was im Klartext heißt, höhere Zinsen schlagen sofort durch. Das wäre aber nicht gut für die überschuldete Wirtschaft.
  • “The Bank for International Settlements warns that the rising cost of borrowing in dollar markets is transmitted almost instantly through the global credit system. ‚Changes in the short-term policy rate are promptly reflected in the cost of $5 trillion in US dollar bank loans,‘ it said. Roughly 60pc of the global economy is linked to the dollar through fixed currency pegs or ‚dirty floats‘, but studies by the BIS suggest that borrowing costs in domestic currencies across Asia, Latin America, the Middle East, and Africa, move in sympathy with dollar costs..”bto: Auch dies oft diskutiert, der Margin Call wäre global.
  • “Credit analysts are becoming nervous about the spread between Libor and the overnight index swap,  the so-called Libor-OIS spread that is used to gauge problems in the plumbing of  the credit system. It has widened to 38 basis points, near levels seen in the eurozone debt crisis and past bouts of stress.”
  • “‚Something more fundamental is at work. The cost of global capital is going up, full stop,‘ Mr Jakobsen said. Long-term bond yields are also soaring as the markets question the logic of a $70 trillion debt edifice priced on assumptions of a deflationary liquidity trap lasting deep into the 21st Century.”bto: Das ist ja genau die Diskussion!
  • “The ‚reflation trade‘ is suddenly on everybody’s lips. Yields on 10-year US Treasuries have jumped to 1.85pc, up 58 basis points from their nadir in July. They are up 47 points in France, 66 points in Italy, and 74 points in the UK.”bto: Und sie sind damit angesichts der Kreditwürdigkeit der Staaten immer noch viel zu tief.
  • “The credit markets tend to smell fear long before equities wake up to the risk. This has been the pattern in each spasm of financial stress over recent years, but these early-warning indicators can be hard to read and right now they are sending mixed signals.”
  • “The small business optimism index (NIFB) in the US dropped to 94.1 in September, a very weak outlook. Although growth of nominal GDP rebounded from 1.2pc to 2.8pc in the third quarter, this was distorted by inventory effects and by a one-off jump in soybean exports. The underlying trend in ‚NGDP‘ is near stall speed, and suggests stagflation.”bto: In der Tat ist es nicht sicher, dass die US-Wirtschaft so gut dasteht, wie von vielen behauptet.
  • “Bond bulls remain defiant. They insist that the spike in yields will inevitably do so much damage that the process must short-circuit by slowing the global economy, halting the rally in commodity prices, and killing off talk of an inflation cycle.” bto: Das wäre auch meine These. Allerdings könnte es sein, dass es die Wirtschaft mit Notenbanken final in die Krise stürzt, die als handlungsunfähig angesehen werden. Wäre dies der Fall, könnte alles drei passieren: steigende Zinsen, kollabierende Finanzmärkte und kollabierende Realwirtschaft.

 AEP endet mit einem Zitat von Nomura: “More QE by the Fed is at least as likely as the Fed hiking by 100 basis points between now and Christmas 2018. Buy the bond bubble.”

bto: Ja, so recht weiß es eben niemand. Klar ist, dass weder Wirtschaft noch Finanzmärkte höhere Zinsen verkraften. Klar ist aber auch, dass die Zinsen viel zu tief sind und zudem billiges Geld die Krise eher verlängert (Zombies!) und nicht überwinden kann.

The Telegraph: “Economic stress as world runs out of dollars”, 30. Oktober 2016

Kommentare (12) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Axel
    Axel sagte:

    Naja. Man könnte jetzt auch Verschwörungsverschwurbelt argumentieren, daß im Falle eines Trump Wahlsieges (der ja bekanntlich als Wallstreet feindlich eingestuft wird) über Kapitalabzug der großen Player oder eine Leitzinserhöhung das System zum Absturz gebracht und das Volk somit gegen den neuen Präsidenten aufgebracht werden soll, um wieder eine Wallstreet wohlgesonnene Regierung an die Macht zu puschen…Aber da sich damit die Big Playerl ins eigene Fleisch schneiden dürften, ist dies ein wohl eher unrealistisches Scenario.
    Denn die Finanzindustrie handelt, so lange es noch etwas zu abzusahnen gibt, nicht nach finanztheoretischen Erwägungen, sondern getreu dem Motto: Willst Du Recht haben, oder willst Du Geld verdienen…?

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  2. Dietmar Tischer
    Dietmar Tischer sagte:

    @ Michael Stöcker

    Ich hatte nicht von Renten gesprochen und meine Darlegungen beziehen sich nicht speziell darauf. Hatte den Link nicht geöffnet, geht also auf meine Kappe.

    Richtig, private Altersvorsorge, d. h. SICHERUNG des Konsums im Alter, ist vorab nicht möglich. Klar, Mackenroth.

    Aber:

    Man kann einen ANSPRUCH auf das zukünftige BIP erwerben – monetär durch erzwungenes und/oder freiwilliges Geldsparen (Konsumverzicht), was im Aggregat keine fixierte Größe ist bei gegebenen Volkseinkommen oder durch Erwerb von Eigentum, z. B. durch Immobilien- oder Aktienkauf.

    Und klar auch, dass wir uns einig sind:

    Die Ansprüche zu erhöhen bringt nichts, wenn das BIP, auf das sie zugreifen, nicht groß genug ist. Groß genug ist es nie, aber größer wird es mit einer längeren Lebensarbeitszeit sehr wohl.

    Schwierig zu vermitteln, wenn die allermeisten glauben, dass sie es spätestens mit der Regelaltersgrenze, am besten jedoch früher geschafft haben müssen.

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  3. Anna
    Anna sagte:

    Mich hat der Begriff margin call gleich wieder irritiert. Warum wohl kann ich mir nicht merken, was er bedeutet? Ich habe ihn also gegoogelt. Dann habe ich gut fortgebildet weitergelesen und dann fiel mir ein, mal zu gucken, wann und wie oft dann der Begriff eigentlich von Google gefunden wird. Habe der Genauigkeit halber noch „-stream -movie -film“ drangehängt und dann mal los. 2010 habe ich angefangen und bin dann Jahre weise weitergegangen. Die Jahre schwanken etwas, aber im Jahr 2016 gibt es eine sichtbare Häufung. Also habe ich mir das Jahr 2016 noch mal monatsweise vorgenommen. Und siehe, es ist genau der November 2016, der den absoluten Ausreißer nach oben liefert. Ihr könnt gern drüber lachen, aber ich hatte die Idee und fand es irgendwie spannend und wollte euch teilhaben lassen.

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    • SMS
      SMS sagte:

      In der Tat sehr interessant! Und ich denke, dass der Trend, den Sie dabei beobachtet haben, durchaus plausibel ist, wenn man sich die Entwicklungen der letzten Zeit einmal ansieht…

      Schöne Grüße
      SMS

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  4. Ralph Klages
    Ralph Klages sagte:

    Wenn ich die Geschehnisse der letzten Tage und Wochen einordne, dann ist es lediglich die FED, die die Zinsen gern erhöht haben will. Die Auswirkungen wären eigentlich klassisch-klar: Aufwertung des Dollars, Verbilligung aller anderen Hauptwährungen, damit Kostendruck auf amerikanische Exportprodukte, (was zugegebenermaßen auch zu niedrigeren Importpreisen für Rohstoffe führt), die zuallererst die Niedriglöhne(r) betrifft, damit insb. die Unqualifizierten und von ihnen Zugeständnisse abverlangt. Trump ist das völlig egal, auch wenn er genau da seine Wähler findet. Clinton dagegen muss sorgfältig abwägen – und wird sich wahrscheinlich für ein merkelsches “weiter so” entscheiden. Und abwarten. So wie wir.

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    • Dietmar Tischer
      Dietmar Tischer sagte:

      Korrumpiert – endlich die Schuldigen gefunden.

      Das sind Kindergartenspiele.

      Richtig ist vielmehr:

      Die Politik war seit langem unter Druck, weil große Teile der Erwerbsbevölkerung durch die Globalisierung und anderes nicht die Einkommensentwicklung erwarten konnten, die in der Vergangenheit Zukunftsperspektiven geboten hatte.

      Es war vollkommen rational, ihnen über günstigere Finanzierung Entlastung auf der Ausgabenseite zu verschaffen und dem einen oder anderen auch die Vermögensbildung durch Immobilienerwerb zu ermöglichen.

      Deshalb die Deregulierung des Finanzsektors, in USA z. B. den Banken zu erlauben, staatenübergreifend Finanzprodukt anzubieten, was bis in die 90er Jahre nicht möglich war. Mehr Wettbewerb würde die Finanzierungen verbilligen. Es war nicht zu sehen und auch theoretisch-konzeptionell nicht zu erkennen, warum die generelle ERFAHRUNG mit mehr Wettbewerb für den Finanzsektor nicht gelten sollte – auch für Deutschland nicht gelten sollte.

      Ob da Einflüsterer am Werk waren, seriöse Berater das vorgeschlagen haben oder sonst jemand auf diese Idee kam, ist zweitrangig bis unerheblich, weil der Ansatz grundsätzlich RICHTIG ist.

      Falsch gelaufen ist hingegen

      a) dass die Aufsichtsbehörden weggeschaut haben (vor allem was die deutschen Landesbanken betraf)

      und

      b) dass man nicht genügend Akteure, vor allem Banken, hat pleitegehen lassen (können).

      Das ist die Basis der Geschichte.

      Darauf aufbauend, kann man über Ausprägungen und Umsetzungsmechanismen reden.

      Alles andere ist Käse.

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  5. Michael Stöcker
    Michael Stöcker sagte:

    “Klar ist aber auch, dass die Zinsen viel zu tief sind…”

    Ist dies wirklich so klar? Sie wären nur dann zu tief, wenn wir Staatsinsolvenzen zuließen. So dumm werden souveräne Staaten mit souveräner Währung nicht sein (Japan, USA, GB). Höhere Zinsen sprächen für eine Insolvenzvermutung oder deutlich höhere Inflationserwartungen. Man kann eben nicht beides gleichzeitig haben: Hohe Zinsen aufgrund des hohen Risikos, dieses Risiko dann aber nicht tragen wollen.

    Vor dem Hintergrund von Draghis berühmten drei Worten gibt es keinen Grund für höhere Zinsen. Fordert der Markt dennoch ein höheres Niveau am langen Ende, dann ist dies ein Zeichen für die Einpreisung von politischen Zerfallsrisiken. Dafür müsste der Anstieg aber viel deutlicher ausfallen angesichts der dann drohenden Währungsturbulenzen. Der große Mythos Zins ist einfach nicht aus der Welt zu schaffen. Mythen und Märchen sind einfach wirkmächtiger als der Verstand: https://zinsfehler.com/2013/08/21/zinsmythen/

    LG Michael Stöcker

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    • Dietmar Tischer
      Dietmar Tischer sagte:

      >Sie wären nur dann zu tief, wenn wir Staatsinsolvenzen zuließen.>

      Wenn wir Staatsinsolvenzen zuließen, wären sie nicht zu tief, weil das Insolvenzrisiko eingepreist sein würde.

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  6. Johannes
    Johannes sagte:

    “The Libor rate is one of few instruments left that still moves freely and is priced by market forces.”

    So ganz frei aber wohl nicht, wenn ich das hier richtig verstehe:

    “Eine Reform am Markt für US-Geldmarktfonds sorgt dafür, dass die Interbankenzinsen ohne Leitzinserhöhung steigen. Damit könnte eine Zinserhöhung seitens der Fed dieses Jahr vom Tisch sein. Trotzdem geraten Finanzinstitute unter Druck. Dafür verantwortlich sind Umschichtungen von Großanlegern.”

    https://www.institutional-money.com/news/uebersicht/headline/geldmarktfondsreform-loest-stress-aus-zinsen-steigen-banken-leiden-51790/newsseite/3/

    Antworten
  7. Dietmar Tischer
    Dietmar Tischer sagte:

    Angesichts steigender Inflation in USA ist die Anhebung des Zinses durch die Fed auf der Agenda.

    Auch wenn sie sich windet, qualifiziert und immer weiter abwartend reagieren sollte, bleibt das Thema auf dem Tisch.

    Damit steigt die Volatilität in den Finanzmärkten und das Risiko, dass der Margin Call eintritt, wächst.

    Es muss nur ein großer oder nicht so großer Spieler die Nerven verlieren.

    Ob und wann das der Fall ist, hat keine Notenbank im Griff.

    Wenn Clinton die Wahl gewinnt, gibt es aber erst einmal eine „Weiter so-Rallye“.

    Mit 100% Cash auf der Tribüne sitzen und beim abstoßenden Schauspiel erschaudern.

    Die beste Alternative in Situation, die keine wirklich guten aufweist.

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