Kommt es trotz Deglobali­sierung nicht zur Inflation?

Ich gehöre zu jenen, die aus der sich abzeichnenden Deglobalisierung den Schluss ziehen, dass die Inflation anziehen wird – natürlich nicht nur wegen der De-Globalisierung, sondern auch wegen der Demografie, der Geldpolitik, dem Klimathema.

Es kann aber sein, dass es Faktoren gibt, die das überkompensieren. So argumentiert Dalia Marin, Professorin für Internationale Wirtschaft an der Fakultät für Betriebswirtschaft der Technischen Universität München, in einem Beitrag für die FINANZ und WIRTSCHAFT:

  • “Seit der globalen Finanzkrise 2008 findet eine Deglobalisierung statt. Doch die Coronaviruspandemie hat diesen Trend erheblich beschleunigt. Anhand von Daten aus der Finanzkrise sagen Kemal Kilic und ich voraus, dass der Covid-19-Schock wahrscheinlich zu einem Rückgang der grenzüberschreitenden Wertschöpfungsketten um 35% führen wird – des Hauptfaktors der Globalisierung in den vergangenen drei Jahrzehnten. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage des Münchner Ifo-Instituts stützt diese Schlussfolgerung. Sie hat ergeben, dass etwa 19% der deutschen Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes planen, ihre Produktion wieder nach Deutschland zu verlagern, 12% davon haben vor, Vorleistungen von deutschen Zulieferern zu beziehen, und 7%, selbst produzieren.” – bto: Das sind a) schlechte Nachrichten für die Armen der Welt, b) nur vordergründig gute für den Standort, weil viel dafür spricht, dass es auch zu einer anderen Bewegung kommt aufgrund der Klimapolitik.
  • Steigende Transportkosten werden die Abkehr von globalen Wertschöpfungsketten wahrscheinlich noch beschleunigen. (…) was den Anreiz für die Unternehmen schwächt, ihre Aktivitäten an weit entfernten Standorten zu halten. Darüber hinaus verringert Onshoring (oder ‘Near-Shoring’) ihre Anfälligkeit für globale Schocks.” – bto: Das gilt auch für die Nähe zu Absatzmärkten.
  • “Charles Goodhart und Manoj Pradhan zufolge ist der daraus resultierende Rückzug aus der Globalisierung verbunden mit der Alterung der Bevölkerung in China und den fortgeschrittenen Volkswirtschaften ein Rezept für Inflation. Ihrer Ansicht nach hat die Globalisierung die Preise drei Jahrzehnte lang niedrig gehalten: Als die Produktion in Niedriglohnländer verlagert wurde, wurden die Löhne überall gedrückt. Da es immer schwieriger wird, billige Arbeitskräfte zu finden, sowohl im Inland als auch im Ausland, wird die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer in Ländern mit hohem Einkommen zunehmen, was den Inflationsdruck verstärkt.” – bto: Das ist die bekannte und auch in einem meiner Podcasts diskutierte Position.
  • “Wenn die Unternehmen jedoch ihre Aktivitäten wieder ins Inland verlagern, werden die Auswirkungen der höheren Transportkosten deutlich abgeschwächt. Ausserdem dürfte das Argument, dass der Lohndruck die Inflation anheizen wird, nicht sehr stichhaltig sein. Schliesslich können Unternehmen in Ländern mit hohem Einkommen in vielen Fällen verstärkt Roboter einsetzen, statt teurere lokale Arbeitskräfte einzustellen. In der Tat deuten unsere Untersuchungen darauf hin, dass die Verlagerung von Lieferketten den Einsatz von Robotern in Ländern mit hohem Einkommen fördert.” – bto: Das ist auch positiv zu sehen – gerade in alternden Gesellschaften.
  • “Wie Daron Acemoglu und Pascual Restrepo gezeigt haben, haben Länder, in denen die Bevölkerung schneller altert, auch schneller Roboter eingeführt. In Deutschland, einer der am schnellsten alternden Gesellschaften der Welt, ist die Zahl der Roboter pro tausend Arbeitnehmer von unter zwei Mitte 1990 auf vier im Jahr 2019 gestiegen.” – bto: Da muss man aber auf die Industrien blicken. Nicht alles, was verlagert wird, lohnt die Automatisierung. Japan geht den richtigen Weg, Roboter auch in der Pflege einzusetzen.
  • “Die Robotisierung wird den Arbeitskräftemangel nicht nur mildern, sie könnte ihn sogar ausgleichen und zu einem Arbeitskräfteüberschuss führen. Wie Acemoglu und Restrepo hervorgehoben haben, hat die Automatisierung in den vergangenen drei Jahrzehnten weit mehr Arbeitnehmer verdrängt als neue Arbeitsplätze geschaffen. Dies birgt zwar sicherlich Risiken für die Arbeitnehmer, besonders für diejenigen, die in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften mit steigenden Preisen konfrontiert sind, aber es deutet auch darauf hin, dass die Deglobalisierung in absehbarer Zeit nicht zu einem Inflationsanstieg führen wird.” bto: Man hat zwar steigende Preise, aber keine Inflation? O. k., abgesehen von dieser Inkonsistenz muss man doch sagen: Es gibt Konsens, dass es inflationären Druck gibt und die Vermutung, Automatisierung könnte hier entlastend wirken. Mag sein, aber ob es genügt?

fuw.ch: „Deglobalisierung muss Inflation nicht zwingend anheizen”, 11. November 2021