Klimaneutrales Deutsch­land soll „Wirtschafts­wunder“ aus­lösen

Ein Hörer meines Podcasts hat mich auf eine Studie hingewiesen, die beweisen würde, dass das mit der Klimaneutralität gar kein Problem sei. Im Gegenteil: Es wäre die Grundlage für ein neues Wirtschaftswunder. Gut, dass wir das machen.

Nun, mit Blick auf die Vernichtung vorhandenen Vermögens kann man das wohl sagen. Anders als im Krieg, glücklicherweise ohne die menschlichen Verluste. Aber kann man aus der Tatsache, dass man vorhandene Vermögenswerte vernichtet, direkt auf einen neuen Boom schließen? Ich denke, nein.

Ein paar Aussagen aus der Studie, bevor ich meine Bewertung darlege:

  • „Der Weg zur Klimaneutralität 2050, wie er in dieser Studie beschrieben wird, stellt einen aus Kosten­sicht und unter Berücksichtigung der Umsetzbarkeit optimierten Weg dar. Hauptkriterien bei der Aus­wahl der Maßnahmen waren Wirtschaftlichkeit und die Wahrung der Investitionszyklen.“ – bto: Das ist eine interessante Behauptung – gleich am Anfang der Studie. In der Studie tauchen zwar viele Zahlen auf, aber nur eine mit einem Euro-Zeichen dahinter. Und die Zahl ist nicht mal berechnet, sondern von der BCG-Studie für den BDI abgeschrieben! Ansonsten tauchen die Kosten mit keinem Wort, geschweige denn mit einer Zahl in der Jubelstudie auf.
  • „Die Minderung um 65 Prozent bis 2030 ergibt sich dabei aus drei Handlungssträngen: Erstens ist die schnelle Dekar­bonisierung des Stromsektors durch Kohleausstieg und Erneuerbare­ Energien­ Ausbau zentral für die weiteren Schritte in den anderen Sektoren, da diese CO2­armen Strom für ihre Klimaschutzanstrengun­gen benötigen. Zweitens stehen in der Industrie zwischen 2020 und 2030 erhebliche Reinvestitionen an, die direkt in Richtung Klimaneutralität erfolgen müssen, um Stranded Assets in den 2030er­ und 2040er­Jahren zu vermeiden. Und drittens bedeutet eine Erhöhung des EU­Klimaziels 2030 natürlich, dass die Emissionen auch im größten EU­Mitglieds­staat Deutschland bis 2030 stärker sinken müssen als bisher vorgesehen.“ – bto: Es stehen Re-Investitionen an. Doch wo steht geschrieben, dass man diese in einem Land mit schrumpfender Bevölkerung, verfallender Infrastruktur, verkümmertem Bildungswesen, hoher Abgabenlast und teurer sowie unsicherer Energieversorgung tätigen muss? Global agierende Unternehmen haben andere Optionen und müssen diese auch nutzen.
  • „Im zweiten Schritt werden die Emissionen nach 2030 gegenüber dem Basisjahr 1990 um 95 Prozent auf ein Minimum reduziert. Dabei werden in Energie, Verkehr, Gebäude und Industrie nur noch klimaneut­rale Technologien eingesetzt, sodass schlussendlich vollständig auf die fossilen Energieträger Kohle, Erdöl und Erdgas verzichtet wird. Entscheidend für diese Phase der Transformation ist es, dass die Marktan­teile für viele traditionelle Technologien (wie Ver­brennungsmotoren, fossile Heizungssysteme, erdgasbasierte Chemieanlagen) im Zeitraum 2020 bis 2030 konstant sinken und ihr Geschäftsmodell nach 2030 vollständig der Vergangenheit angehört. Sich auf diese – globalen – Entwicklungstrends einzustel­len ist sowohl für die Industrie­ und Wirtschaftspoli­tik als auch für die beteiligten Unternehmen eine der zentralen Aufgaben in den 2020er­Jahre.“ – bto: Da ist die Rede von „globalen“ Trends. Obwohl China beispielsweise noch bis 2030 den CO2-Ausstoß steigern darf und auch wenn Donald Trump nicht mehr Präsident ist, wäre es gut möglich, dass bereits in vier Jahren wieder eine Kehrtwende vollzogen wird.
  • „Der dritte Schritt neutralisiert die gar nicht zu vermeidenden Restemissionen weitgehend durch CO2 ­Abscheidung und Lagerung (englisch: Carbon Capture and Storage, CCS). Die Restemissionen stammen, bedingt durch die Tierhaltung, vor allem aus der Landwirtschaft. Hintergrund ist hier, dass die Studie keine drastischen Änderungen der Ernährungsgewohnheiten voraussetzt, sondern lediglich aktuelle gesellschaftliche Trends fortgeschrieben wurden. Zudem sind in der Zementindustrie trotz des Einsatzes neuer Technologien Restemissionen zu erwarten. Der Ausgleich dieser verbleibenden etwa 60 Millionen Tonnen CO2e findet in Industrie und Energiewirtschaft statt, die CO2 aus Biomasseanlagen und aus der Luft abscheiden. Die CO2 ­Ablagerung könnte dann in leeren Gasfeldern oder tiefen geologi­schen Formationen unter der Nordsee stattfinden.“ – bto: Die deutsche Politik lehnt diese Technologien rundweg ab. Insofern wird hier etwas angenommen, was nicht gewünscht ist.
  • „Der Weg in die Klimaneutralität ist ein umfassendes Investitionsprogramm, vergleichbar mit dem Wirtschaftswunder in den 1950er-/60er- Jahren. Kernelemente sind dabei eine Energiewirtschaft auf Basis Erneuerbarer Energien, die weitgehende Elektrifizierung von Verkehr- und Wärme, eine smarte und effiziente Modernisierung des Gebäudebestands sowie der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft für die Industrie. Dies steigert zugleich die Lebensqualität durch weniger Lärm und Luftschadstoffe.“ – bto: Das ist doch eine Aussage! Völlig ohne jeglichen Beweis. Einfach behauptet. Dabei fragt man sich, wie eine deutlich kleinere Automobilindustrie, sinkende Massenkaufkraft und Verwenden von Investitionsmitteln für unproduktive Zwecke, einer alternden Gesellschaft mit schwindenden Produktivitätsfortschritten und schrumpfender Erwerbsbevölkerung und Billionen Euro an ungedeckten staatlichen Verpflichtungen ein neues „Wirtschaftswunder“ bescheren soll. Es ist ein Verarmungs- und De-Industrialisierungsprogramm.
  • „Das Gutach­ten basiert auf dem Kerngedanken, Deutschland durch öffentliche und private Investitionen zu modernisieren. Der Investitionsstau der letzten Jahre wird aufgelöst. Dabei werden Infrastrukturen wie das Energie­ und das Verkehrssystem grundlegend erneuert und gleichzeitig langlebige Kapitalstöcke wie Gebäude und Industrieanlagen auf den moderns­ten Stand gebracht.“ – bto: Diese simple Simulationsrechnung mit vielen „Ein Wunder geschieht“-Annahmen als „Gutachten“ zu bezeichnen, unterstreicht das gesunkene Niveau der Diskussion zu diesem Thema.  
  • „Diese Studie hat kein Business-as-usual­ Szenario erarbeitet, gegenüber dem man die Mehrinvestitio­nen beziffern könnte, die durch die Entscheidung für Klimaneutralität nötig werden – schließlich ist ein „Weiter so“ angesichts des globalen Handlungsdrucks beim Klima keine realistische Option mehr. Die BDI­ Studie Klimapfade für Deutschland, die von Boston Consulting und Prognos 2018 veröffentlicht wurde, hat dies noch getan und beziffert die Mehrin­vestitionen im 95­ Prozent­ Szenario auf 70 Milliar­den Euro pro Jahr bis 2050. Nimmt man diese Summe an (auch wenn sie angesichts der konservativen Annahmen zum technologischen Fortschritt tenden­ziell zu hoch geschätzt sein dürfte), entspricht sie knapp 10 Prozent der aktuellen Bruttoinvestitions­summe Deutschlands – eine Investitionssteigerung, die angesichts der aktuellen Niedrigzinsphase machbar erscheint.“ – bto: a) Die Frage der Wirtschaftlichkeit muss man sich nicht stellen, weil es keine Rolle spielt. Es ist ja alternativlos. b) Die 70 Milliarden sind „zu hoch“, – als wäre BCG nicht in der Lage, den technischen Fortschritt zu beurteilen und im Zweifel besser als diese Truppe. c) Was sind schon 70 Milliarden? Sind ja nur zehn Prozent der „Bruttoinvestitionen“. Da andere Investitionen dringend auch erforderlich sind, muss es zulasten des Konsums gehen.
  • „Die Schlüsseltechnologien für Klimaneutralität sind bekannt: Es geht um den Aufbau eines komplett auf Erneuerbaren Energien basierenden Stromsystems, das 2050 mindestens 50 Prozent mehr Strom produziert als heute. Beim Straßenverkehr und in der Wärmeversorgung werden voraussichtlich stromba­sierte Lösungen, das heißt Elektromobilität und Wärmepumpen, aufgrund ihrer hohen Effizienzvor­teile global die Leittechnologien. Die effiziente Sanierung des Gebäudebestands und der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft für Industrie, Energie­wirtschaft, Schiffs­ und Flugverkehr sind weitere Kernbestandteile einer solchen Strategie. Als Resultat hat Deutschland 2050 eine erneuerte Strom­ und Verkehrsinfrastruktur, eine zukunftsfähige Wasser­stoffindustrie, einen modernen Gebäudebestand sowie eine Industrie, die in den Zukunftstechnolo­gien im globalen Wettbewerb vorne mitspielt. Diese Investitionen anzustoßen und durch Skaleneffekte Größenvorteile zu erlangen ist Aufgabe der Politik der nächsten Jahre.“ – bto: Wir wissen aber, dass wir uns der physikalischen Effizienzgrenze nähern und neue Technologien brauchen. Sagt Fraunhofer.
  • „Neben der beschleunigten Energiewende können durch einen beherzten Einstieg in die Wasserstoff­ wirtschaft im Industriesektor weitere 17 Millionen Tonnen CO2 gegenüber dem aktuellen Sektorziel eingespart werden. Da ohnehin etwa die Hälfte der zentralen Industrieanlagen der deutschen Grund­stoffindustrie in den nächsten zehn Jahren zur Reinvestition anstehen, gehen hier Klimaschutz und Modernisierung Hand in Hand. Vorreiter könnte die Stahlindustrie sein, in der ans Ende ihrer Lebenszeit kommende Hochöfen durch Direktreduktionsanla­gen ersetzt werden. Voraussetzung hierfür ist eine Politik, die den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft strategisch vorantreibt.“ – bto: Wer ist der Hauptkunde der Stahlindustrie? Ja, die Automobilindustrie, die ja nur noch halb so viele und kleine Autos herstellen soll. Warum sollte ein Stahlunternehmen in Deutschland reinvestieren??
  • „Viele Studien zeigen: Der Weg in Richtung Klimaneutralität schafft Wirtschaftskraft und Arbeitsplätze – aber es wird Verschiebungen zwischen Branchen und Regionen geben. Es ist Aufgabe von Politik, Wirt­schaft und Gesellschaft, vor diesem Strukturwandel nicht die Augen zu verschließen oder zu versuchen, ihn zu verlangsamen. Vielmehr geht es darum, die anstehenden wirtschaftlichen Veränderungen aktiv anzugehen, in den betroffenen Regionen neue Geschäftsmodelle und Arbeitsplätze der Zukunft anzusiedeln, und so allen Betroffenen neue Chancen zu eröffnen.“ – bto: Ja, wer kann besser Arbeitsplätze schaffen als die Politik? Ich wüsste keinen.
  • „Die Studie setzt explizit nicht auf Verzicht als not­wendige Voraussetzung für Klimaneutralität: die Pro­Kopf­Wohnfläche steigt weiter und die Mobilität bleibt vollumfänglich erhalten. (…) Der Indust­riestandort Deutschland erhält sein hohes Produktionsniveau. In der Studie wurde ein mittleres Wirt­schaftswachstum von 1,3 Prozent pro Jahr angenommen.“ – bto: Zum Thema Mobilität gleich noch was die unter „vollumfänglich erhalten“ verstehen. Der Industriestandort bleibt voll erhalten trotz der enormen Belastung? Ja, wir nehmen das einfach mal an! 1,3 Prozent Wachstum bei einer deutlich schrumpfenden Erwerbsbevölkerung? Schon mal nach Japan geblickt? Ein Land, das das BIP pro Kopf deutlich steigert, was uns nur bedingt gelingt? Klar, ich nehme auch an, morgen ist alles toll. „Gutachten“, dass ich nicht lache!
  • Die ökonomischen Effekte der Klima­schutzmaßnahmen wurden nicht explizit untersucht. Studien (z.B. BDI 2018) zeigen jedoch, dass mit internationaler Kooperation ambitionierter Klima­schutz ohne gesamtökonomische Einbußen umsetz­bar sind. Es wurde angenommen, dass temporäre Wettbewerbsnachteile für Unternehmen beim Übergang zu einer klimaneutralen Produktion vermieden oder kompensiert werden.“ – bto: aber die Aussage treffen, es gäbe ein neues Wirtschaftswunder! Das ist Propaganda.
  • „Im Verkehr findet eine Trendwende statt. Die persön­liche Mobilität bleibt vollständig erhalten, aber sie verändert sich. Die Menschen fahren deutlich mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln sowie dem Rad und gehen zu Fuß.“ – bto: Ich gehe gern zu Fuß,  fahre auch Fahrrad. Aber mir jetzt vorzuschreiben, dies mehr zu tun, kein eigenes Auto mehr zu haben, sondern das zu teilen, keine Reisen mehr durch andere Länder im Auto zu machen und dann darüber zu schreiben, „die persön­liche Mobilität bleibt vollständig erhalten“, ist dem Orwellschen Wahrheitsministerium schon sehr nahe.

Fazit:

  • Viele Zahlen: nur eine einzige mit einem Euro-Zeichen und diese auch noch von anderen übernommen.
  • Viele Behauptungen: individuelle Mobilität unverändert, solange man ÖPNV nutzt oder zu Fuß geht.
  • „Neues Wirtschaftswunder“ versprechen, aber die wirtschaftlichen Folgen nicht beachten.
  • Carbon Capture Technologien propagieren, die politisch aber rundweg abgelehnt werden.
  • Der Umbau der Wirtschaft verursacht CO2. Wenn wir neue Gebäude, Bahnlinien, Windkraftanlagen etc. bauen, verursacht das CO2 und das wird völlig ausgeblendet. Also nicht nur die Kosten werden vernachlässigt, sondern auch die Klimafolgen des Umbaus.

→ stiftung-klima.de: Klimaneutrales Deutschland, Oktober 2020