Kein Grund zur Panik beim Klima­wandel

In dieser Woche geht es in meinem Podcast unter anderem um die Energiewende. Deshalb fand ich es sehr interessant, in der Online-Zeitschrift ipg-journal der Friedrich Ebert Stiftung, einer Debattenplattform für Fragen internationaler und europäischer Politik, ein Interview mit dem Umweltaktivisten Michael Shellenberger zu lesen, der die erwarteten Folgen des Klimawandels für übertrieben hält. Die Highlights:

  • “Seit über dreißig Jahren bin ich Umweltaktivist. Ich würde lieber weniger Klimawandel sehen als mehr. Sicherlich werden die Gefahren des Klimawandels mit steigenden Temperaturen höher. Allerdings sind die Aussagen, die in den letzten Jahren über den Klimawandel gemacht wurden, massiv übertrieben.” – bto: Wer will nicht weniger Klimawandel sehen?
  • Eine der Sorgen ist, dass der Klimawandel zu mehr Naturkatastrophen führt. (…) Ein Hurrikan, der niemandem schadet, ist keine Katastrophe. Also wurden Naturkatastrophen insofern, dass die durch sie verursachten Todesfälle in den letzten hundert Jahren um 90 Prozent zurückgegangen sind, nicht schlimmer, sondern besser. Die Menschen wurden ihnen gegenüber sehr viel widerstandsfähiger, was teilweise an einfachen technologischen Lösungen wie Wettervorhersagen, Windschutz und besserer Infrastruktur – beispielsweise in Südasien – liegt.” – bto: Und diese Lösungen könnten viel günstiger sein, als die Investitionen, um Naturkatastrophen zu vermeiden.
  • “Das zweite ist, dass wir uns mitten in einer Erdgasrevolution befinden, (…), das nur halb so viel Kohlenstoff emittiert wie Kohle. Daher ist es unwahrscheinlich, dass unsere Temperaturen um mehr als drei Grad Celsius ansteigen. Bei der Vorhersage zukünftiger Temperaturen herrscht eine große Unsicherheit. Grundsätzlich gilt, wenn man die atmosphärische Konzentration von CO2 von 280 Teilen pro Million auf 560 verdoppelt, erhöhen sich die Temperaturen dadurch um einen Wert, der zwischen zwei und 4,5 Grad liegt.” – bto: Das bedeutet, dass die Maßnahmen abgewogen sein müssen.
  • “Ich habe die meisten der IPCC-Berichte über den Klimawandel gelesen. Keiner von ihnen sagt Tote voraus. Dies bedeutet nicht, dass der Klimawandel keine Folgen haben wird, aber es ist schwer vorstellbar, dass sich der langfristige Rückgang der Todesfälle durch Naturkatastrophen umkehren wird.” – bto: Die Welt wird weiter besser werden.
  • “Die einzige Gefahr massiver Todesopfer könnte durch einen Rückgang der Nahrungsmittelproduktion entstehen, allerdings konnten wir unsere Nahrungsmittelüberschüsse in den letzten 200 Jahren dank der Industrialisierung der Landwirtschaft dramatisch steigern. Dafür, dass dies weiterhin passiert, ist es besonders wichtig, dass die armen Länder Zugang zu Bewässerung, Dünger, Traktoren und Ausrüstung bekommen. Eine gewisse Erhöhung der globalen Temperaturen wird die Vorteile von Modernisierung der Landwirtschaft in den armen Ländern nicht aufheben. Dass sich die langfristigen Trends hin zu längerer Lebenserwartung, weniger Toten durch Naturkatastrophen und größeren Nahrungsmittelüberschüssen umkehren, ist kaum zu erwarten.” – bto: Das heißt, andere Hebel müssen bewegt werden, um in den Ländern mit explosiv wachsender Bevölkerung für die Menschen ein auskömmliches Leben zu ermöglichen.
  • “(…) wir (sind) solchen Katastrophen nicht passiv ausgeliefert. Wir können uns auf mehr Niederschläge, längere Waldbrandzeiten und intensivere Hurrikane vorbereiten. Auch wenn sie vielleicht nicht häufiger werden, dann womöglich doch intensiver. Wir können uns auf diese Dinge jedoch vorbereiten.” – bto: Das  bedeutet eine deutlich bessere Verwendung der Ressourcen.
  • “Die Menschen in armen Ländern werden bei uns oft als Grund angegeben, etwas gegen den Klimawandel zu tun. (…) Die Menschen und ihre Ernte sind den natürlichen Elementen dort bereits jetzt sehr stark ausgeliefert. Entscheidend dafür, ob es im Kongo Nahrungsmittelüberschüsse gibt oder nicht, ist, ob die Menschen dort Bewässerung, Traktoren oder Dünger verwenden und Zugang zu Straßen und all den anderen Dingen haben, die man für eine moderne Landwirtschaft benötigt.” – bto: Eine richtige Sichtweise, finde ich. Wir müssen dazu beitragen, dass diese Länder eine eigene Chance auf Entwicklung bekommen.
  • “Es gibt keine Wissenschaft, die die Idee vertritt, der Klimawandel werde zu massenhaften Hungersnöten führen. Ob arme Länder über Nahrungsmittelüberschuss verfügen oder nicht, ob sie unter erheblichen Überschwemmungen leiden oder nicht und ob Menschen an Hitzewellen sterben oder nicht, hängt vor allem davon ab, ob sie sich wirtschaftlich entwickeln, und dafür brauchen sie billige Energie.” – bto: Ja, denn Energie ist der Schlüssel zu allem.
  • Frage IPG: “Sie kritisieren den Ansatz der ‘nachhaltigen Entwicklung’ der Industrieländer in Entwicklungsländern. Beispielsweise wird die Europäische Investitionsbank (EIB) bis 2021 keine Kredite mehr für fossile Energieprojekte vergeben. Warum sollte dies schlecht sein?” – Antwort: “Sie fragen, warum es schlecht sein sollte, dass reiche Länder armen Ländern die Grundlage für ihren Wohlstand wegnehmen? (…) Deutschland, Frankreich und alle anderen von uns hängen von fossilen Energieträgern und modernen Energien ab. Jetzt sagt die EIB, dass sie in armen Ländern wie Mosambik und Kongo keine Stromerzeugung aus Erdgas mehr finanziert. Deutschland selbst setzt massiv auf Erdgas und Kohle.” – bto: Und wir geben auch den Unternehmen, die in diese Energien investieren wollen,  keine Mittel mehr …
  • “Institutionen wie die Weltbank leiten jetzt im Grunde all das Geld, das wir früher für Entwicklung – Straßen, Stromversorgung, Überschwemmungsschutz, Staudämme – ausgegeben haben, in Dinge wie Demokratieseminare, biologische Landwirtschaft, Solarzellen auf Hütten und Speicherbatterien um, die nicht genug Energie liefern, um damit produzieren zu können. Will man arme Länder arm lassen, muss man nur die momentane Politik der europäischen Entwicklungsdienste fortführen. Dies finde ich unethisch und ganz klar scheinheilig.” – bto: Ich finde es ideologisch verblendet.
  • “Alle reichen Länder wurden dadurch reich, dass sie ihr Land entwaldeten, um Landwirtschaft zu betreiben und fossile Energien zu nutzen. Jetzt, wo wir dies getan haben, treten wir den anderen die Leiter weg. Wir sagen ihnen, so reich zu werden wie wir ist unmoralisch. (…) Ich finde das abstoßend, und ich glaube, es spiegelt eine Art religiösen Eifer der Menschen wider.” – bto: Das ist auch mein Eindruck, wenn ich das Thema anspreche und auf die Reaktionen blicke.
  • Die Erneuerbaren waren der Treibstoff der vorindustriellen Völker. Europa konnte von der Holzverbrennung nur dadurch wegkommen, dass es fossile Energien in Form von Kohle verwendete. Ohne Kohle hätte es keine industrielle Revolution gegeben. Das Problem mit den modernen Erneuerbaren ist das gleiche wie mit den primitiven: Die Energiedichte der Träger, in diesem Fall Sonne und Wind, ist zu gering. Um dieselbe Menge Strom aus einer Solarfarm zu gewinnen wie aus einem Gas- oder Kernkraftwerk, ist letztlich über 400-mal so viel Land erforderlich. Industrielle Windkraftanlagen sind aus einem anderen Grund schädlich: Ihre Rotoren töten Insekten, Fledermäuse und Vögel, was erhebliche ökologische Probleme verursacht. Wenn uns etwas an der natürlichen Umwelt liegt, müssen wir unsere Energieerzeugung und Landwirtschaft verdichten und dürfen sie nicht auf immer größere Flächen ausdehnen.” – bto: Auch das klingt einfach logisch.
  • Der Wunsch nach erneuerbaren Energien stammt aus einem romantischen Naturverständnis. Es wird angenommen, Solarparks und industrielle Windkraftwerke seien natürlicher als Erdgas oder Kernkraftwerke. Dies ist offensichtlich Blödsinn, da Solarzellen und Windgeneratoren genauso künstlich und unnatürlich sind. Diese industriellen Erneuerbaren wurden im Namen des Naturschutzes gefördert, hatten aber in Wirklichkeit einen zerstörerischen Einfluss auf die Landschaft und die Tierwelt.” – bto: Hier spricht ein engagierter Umweltschützer!
  • Frage IPG: “In Ihrem Buch kritisieren Sie den Weg, den Deutschland gegangen ist. Das Land wird bis 2022 seine Kernkraftwerke und spätestens bis 2038 seine Kohlekraftwerke abschaffen. Letztes Jahr hat erstmals der Anteil der Erneuerbaren an der Nettostromerzeugung den Anteil der fossilen Energieträger übertroffen, und es gab immer noch einen Exportüberschuss an Elektrizität. Die Wirtschaft wuchs trotzdem um 0,6 Prozent. Ich sehe in diesem Ansatz kein Problem. Sehen Sie eins?” – Antwort: “Aber ja. Betrachten wir Frankreich und Deutschland, die man gut vergleichen kann. Der deutsche Strom ist zehnmal so kohlenstoffintensiv wie der französische. Die Deutschen geben 1,7-mal mehr für ihren Strom aus als die Franzosen. Offensichtlich ist Frankreich größtenteils nuklear aufgestellt, während Deutschland die Kernkraft abschafft und die Erneuerbaren fördert. Kein Land in der Welt hat so stark auf erneuerbare Energien gesetzt wie Deutschland. Allerdings ist die Stromrechnung der Deutschen in dieser Zeit um 50 Prozent gestiegen. Es wird erwartet, dass das Land bis 2025 über 500 Milliarden Euro für erneuerbare Energien und ihre Infrastruktur ausgibt.” bto: Nicht “das Land”, sondern unsere Politiker geben unser Geld dafür aus. Die 500 Milliarden sind ja nicht weg, sondern bei den Betreibern der Anlagen.
  • Wäre dieser Betrag in die Kernkraft geflossen, hätte er die fossilen Brennstoffe im Strommix völlig ersetzt und könnte für das gesamte Transportwesen emissionsfreien Strom liefern.” – bto: Das ist das große Tabu bei uns. In Japan wird weiter auf Atomkraft gesetzt.
  • “Vaclav Smil, der als einer der weltgrößten Energieexperten gilt, hat ausgerechnet, dass der Übergang hin zu hundert Prozent erneuerbarer Energie bedeuten würde, die Fläche, die wir in den reichen Ländern zur Energieerzeugung verwenden, von etwa einem halben Prozent auf 25 oder gar 50 Prozent zu erhöhen. Dafür, was Erneuerbare leisten können, gibt es also inhärente physische Grenzen.” – bto: Sicherlich werden wir irgendwann mal die Technologien haben, aber heute eben noch nicht.
  • “Wenn jemand überhaupt hundert Prozent Erneuerbare verwirklichen kann, dann die Deutschen, und sie haben es nicht geschafft, weil Wind und Sonne so unverlässlich sind. Man braucht diese riesigen Überlandleitungen und erhebliche Back-up-Kapazitäten. Die neue Mode ist jetzt Wasserstoff, aber jedes Mal, wenn man Energie umwandelt, also Strom in Wasserstoff und zurück, muss man erhebliche Verluste in Kauf nehmen. (…) Ich glaube, Deutschland ist der Beweis dafür, dass eine moderne Industriegesellschaft nicht mit erneuerbaren Energien betrieben werden kann.” – bto: Und es wird dennoch versucht, wohl mit der Idee, auf diese Art und Weise die hiesige Deindustrialisierung zu beschleunigen.
  • Frage IPG: “Die meisten Menschen – insbesondere in Deutschland – betrachten Kernkraft als Gefahr für die öffentliche Sicherheit. (…) Verstehen Sie angesichts der Katastrophen in Tschernobyl und Fukushima vor weniger als zehn Jahren in einem Industriestaat nicht, dass die Leute Angst haben? Antwort: “(…) es scheint, dass an der Katastrophe in Tschernobyl über etwa 80 Jahre hinweg etwa 200 Menschen sterben werden – weniger als 50 an dem Unfall direkt, und der Rest an Schilddrüsenkrebs, der zwar normal tödlich ist, aber auch leicht behandelt werden kann. Normalerweise sterben die Menschen daran in hohem Alter. (…) Bei der Kernenergie sieht man ein interessantes Paradox: Obwohl es eine viel mächtigere Energieform ist als die Verbrennung petrochemischer Energieträger, hat sie tatsächlich geringere Auswirkungen auf das menschliche Leben. Berücksichtigt man, dass Nuklearenergie ein Ersatz für fossile Brennstoffe ist, die über die Verschmutzung der Luft das Leben der Menschen verkürzen, hat sie letztlich bereits über zwei Millionen Leben gerettet, indem sie diese Verschmutzung verhindert hat. Einer ihrer Vorteile ist, dass wir mit ihr die ökologischen Folgeschäden der Energieerzeugung beinahe auf null reduzieren können.” – bto: Und wir wissen, dass der nächste Schritt die Kernfusion ist. Schon in den kommenden Jahrzehnten dürfte sie Realität werden.

→ ipg-journal.de: “Kein Grund zur Panik”, 4. August 2020