Jedes Jahr dieselbe Leier

Es ist wieder die Zeit des World Economic Forums (WEF) gekommen – und damit der Zeitpunkt der Wiederholungen. Wie jedes Jahr, verkündet Oxfam pünktlich zum WEF, dass es der Welt immer schlechter (er)geht. Die Tagesschau macht groß auf:

  • „Erstmals seit einem Vierteljahrhundert nehmen laut Oxfam extreme Armut und extremer Reichtum zugleich zu. Konzerne und deren Eigentümer profitierten zudem von unterschiedlichen Krisen, heißt es im Bericht ‚Survival of the Richest‘, den die Hilfsorganisation heute anlässlich des Weltwirtschaftsforums im schweizerischen Davos vorstellt. So seien während der Corona-Pandemie, also seit dem Jahr 2020, insgesamt 26 Billionen US-Dollar an das reichste Prozent der Menschheit gefallen – und 16 Billionen US-Dollar an die restlichen 99 Prozent. Im vergangenen Jahr sei der Reichtum von Milliardärinnen und Milliardären erneut ‚sprunghaft angestiegen‘, insbesondere durch ‚rasante Gewinne der Lebensmittel- und Energiekonzerne‘. Von diesen hätten 95 Unternehmen ihre Gewinne im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt.“ – bto: Das finde ich interessant. Denn die Milliardäre sind nicht die Eigentümer von Nestlé, sondern jene von Tesla, Louis Vuitton und den Internetgrößen. Da fragt man sich: Wo kommt denn dieser Zusammenhang her? Zugleich war 2022 eines der schlechtesten Jahre für Vermögenswerte – von Anleihen über Aktien bis Immobilien – sind doch die Zinsen gestiegen. Es kann also gar nicht sein, dass die Reichen so viel reicher geworden sind.

Was schreibt Oxfam selbst dazu?

  • „Billionaires have seen extraordinary increases in their wealth. During the pandemic and cost-of-living crisis years since 2020, $26 trillion (63 percent) of all new wealth was captured by the richest 1 percent, while $16 trillion (37 percent) went to the rest of the world put together. A billionaire gained roughly $1.7 million for every $1 of new global wealth earned by a person in the bottom 90 percent. Billionaire fortunes have increased by $2.7 billion a day. This comes on top of a decade of historic gains —the number and wealth of billionaires having doubled over the last ten years.“ – bto: Oxfam nimmt die Zahlen seit 2020, also den sehr starken Anstieg im Jahr 2021, mit in die Betrachtung. Hätten sie 2022 genommen, wären die Werte gefallen.
  • Und zu den Lebensmittelfirmen und Energiekonzernen? „The report shows that 95 food and energy corporations have more than doubled their profits in 2022. They made $306 billion in windfall profits, and paid out $257 billion (84 percent) of that to rich shareholders.“ – bto: Die Eigentümer sind nicht immer nur wenige Reiche, es sind auch Pensionsfonds etc. Also ist es hier verfälschend.
  • Wobei es natürlich Ausnahmen gibt: „The Walton dynasty, which owns half of Walmart, received $8.5 billion over the last year. Indian billionaire Gautam Adani, owner of major energy corporations, has seen this wealth soar by $42 billion (46 percent) in 2022 alone.“ – bto: So what? Das gilt dann auch für die Albrechts und Herrn Schwarz. Es ändert aber wenig am Schicksal der Ärmsten, ob diese nun ein paar Milliarden mehr oder weniger haben.

Im Kern bleibt meine Kritik jene der Vergangenheit: Die Autoren vergessen oder unterschlagen die Wirkung unserer Geldordnung, der steigenden Verschuldung und der Zinspolitik der Notenbanken.

→ Piketty, Credit Suisse und nun Oxfam: Symptome statt Ursache

Es langweilt mich und die Leser von bto, die das alle mindestens so gut wissen, wie ich. Deshalb verweise ich erneut auf den Beitrag einer Professorin meiner Alma Mater, den ich schon vor einigen Jahren hier zitiert habe. Zwar vergisst auch sie die meines Erachtens entscheidende Bedeutung von Leverage zur Erklärung der unerfreulichen Phänomene, dafür nimmt sie die Geschichten der Ungleichheit aus anderer Sicht auseinander. Der Beitrag in Cicero ist frei zugänglich. Hier die Highlights aus meiner Sicht:

  • Pünktlich zum Weltwirtschaftsforum hat die Entwicklungsorganisation Oxfam auch 2019 eindrückliche Zahlen zur globalen Ungleichheit der Vermögen veröffentlicht. Dass die 1892 Milliardäre (meist Männer) mehr als viermal mehr Vermögen besitzen als die ärmere Hälfte der Menschheit (mehrheitlich Frauen) stößt auf Unverständnis. Zu Recht: Armut und eine grosse Kluft zwischen Arm und Reich verletzen nicht nur das Gerechtigkeitsempfinden, sondern gefährden die Entwicklung oder die politische Stabilität eines Landes.“ – bto: Egal, dass es viel weniger arme Menschen auf der Welt gibt als noch vor zehn Jahren. Egal, dass man aus dem höheren Anteil der Frauen, der durch die Entwicklungsländer als auch kulturell bedingt ist, keine Schlüsse auf die Industrieländer ziehen darf.
  • „Auf dem Papier – und somit als Basis von Statistiken wie derjenigen von Oxfam – war ich mit einem Nettovermögen von je ein paar Tausend Franken bis vor wenigen Jahren nicht nur vermögensärmer als meine Söhne – sondern auch als fast alle Bauern in Afrika: Weil die Schulden auf dem Haus die Bewertung der Immobilie überstiegen. Daneben bleiben meine künftigen Rentenleistungen, teils selbst angespart, teils aus Ansprüchen der öffentlichen Rentenversicherung, unberücksichtigt im Vermögen.“ – bto: Da würde ich nun sagen, dass die Schulden natürlich normalerweise nicht den Wert des Hauses übersteigen sollten. Abgesehen davon verhelfen gerade die Schulden zu einem deutlichen Zuwachs der Vermögen aufgrund des bereits diskutierten Leverage-Effektes. Aber was hier gezeigt wird, bestätigt nur, was immer gilt: Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.
  • „Als der kürzlich verstorbene IKEA-Gründer aus der Schweiz nach Schweden zurückwanderte, sank auf einen Schlag die Vermögensungleichheit in der Schweiz – und stieg in Schweden. Den Schweden ging es nach der Vergrößerung der Vermögensungleichheit allerdings nicht schlechter. Wenn überhaupt, dann eher etwas besser, sorgte doch der zugezogene IKEA-Patron für höhere Steuererträge.“ – bto: Köstlich!
  • „Die Verteilung der Vermögen wäre dann aussagekräftig, wenn sie die Verteilung des Wohlstandes widerspiegelte. Tut sie aber nicht, und dies selbst innerhalb eines Landes nicht. Ein paar Fakten: Zu den Ländern mit der größten Ungleichheit im Vermögen zählen nicht nur Russland und Indien – sondern auch Schweden und Dänemark. Deutsche Haushalte haben im Durchschnitt nur rund halb so viel Vermögen wie griechische Haushalte und weniger als ein Drittel italienischer Haushalte. Gemessen an der Vermögensverteilung ist Griechenland gerechter als Deutschland und beide Länder viel gerechter als Schweden.“ – bto: Wir wissen, dass dies auch mit der Art der Vermögensanlage zu tun hat. Mehr Immobilienbesitz erklärt es und der wiederum profitiert vom Leverage.
  • „Das Vermögen einer Familie kann aus zwei Gründen gering sein. Erstens, weil nach Steuern, Krankenversicherung und den üblichen notwendigen Ausgaben schlicht zu wenig zum Sparen bleibt. Hier geht es den ärmeren Haushalten in den reicheren Ländern nicht anders als der Mehrheit in den ärmeren Gegenden der Welt, auf einem viel höheren Lebensstandard natürlich.“ – bto: Das ist gerade in Deutschland ein Problem, weil den Menschen zu wenig Geld in der Tasche bleibt und der Staat den Bürgern zu viel wegnimmt.
  • „Zweitens sind die Vermögen dann geringer, wenn größere Ersparnisse angesichts der guten institutionellen Rahmenbedingungen und der sozialen Absicherung gar nicht mehr so nötig sind. Abgesehen von den Superreichen ist Vermögen kaum Selbstzweck, sondern vor allem Vorsorge. Im Sozialstaat ist die Ausbildung der Kinder jedoch kostenlos, und die Bewohner sind gegen die meisten Lebensrisiken wie Arbeitslosigkeit, Alter oder Tod gut versichert. Müssten wir ohne diese Versicherungen auskommen, wären wir gezwungen, nur schon für den Invaliditätsfall mehrere Jahreslöhne als Puffer auf die hohe Kante zu legen.“ – bto: Das leuchtet ein, erklärt aber nur unterschiedliche Sparquoten. Da beispielsweise Italien und Deutschland auf demselben Niveau liegen, erklärt das die Unterschiede im Vermögen nicht.
  • „Ein funktionierender Kapitalmarkt, der ebenfalls von staatlichen Rahmenbedingungen abhängt, sorgt zudem für den Zugang zu Krediten für eine breite Schicht der Bevölkerung. Er erlaubt den Kauf eines Hauses ohne viel Eigenkapital – vor allem aber unternehmerische Aktivitäten, die für den Wohlstand so zentral sind.“ – bto: Und bekanntlich treibt es vor allem die Vermögenspreise. Die Frage bleibt trotzdem, ob in Deutschland der Kapitalmarkt so schlecht ist bzw. schlechter als in Italien. Da bin ich nicht so sicher.
  • „Griechische Haushalte sind deshalb ‘reicher’ als deutsche und schwedische, weil sie sparen mussten. Als Absicherung gegen Schicksalsschläge, für die Zukunft der Kinder.“ – bto: Sie haben aber auch mehr Immobilien.
  • „Erstaunlich bleibt die große Vermögensungleichheit in Ländern mit moderater Einkommensungleichheit dennoch. Auf das Bild des Vermögens als geronnenes Einkommen will sie nicht passen. Es gibt noch einen weiteren Grund dafür, dass die Einkommensverteilung so stark von der Vermögensverteilung abweicht: Individuelle Entscheidungen prägen die Vermögen viel stärker als die Einkommen.“ – bto: … eben die Frage nach Sparleistung und der Anlage der Ersparnisse.
  • „Messbarkeit, Institutionen, unterschiedliche Entscheidungen: Sie alle tragen dazu bei, dass Vermögen ein viel schlechterer Indikator für Ungleichheit ist als Einkommen. Vermögen faszinieren die Menschen aber mehr. Die Bewertung sehr reicher Menschen geht von bewundernd (Stars in Musik und Sport) bis ablehnend (Wirtschaftsführer und Investoren). Dabei fallen auch die Millionen Roger Federers nicht vom Himmel, sondern werden letztlich aus den Eintrittsgeldern und TV Gebühren der kleinen Leute bezahlt. Und der Anteil an den Superreichen, die bereits in eine superreiche Familie geboren wurden, ist deutlich tiefer als noch vor 20 Jahren.“ – bto: … auch, weil es immer schwerer wird, das Vermögen zu erhalten.
  • „Die Welt ist in den letzten Jahren deutlich besser geworden: Die globale Ungleichheit der Einkommen ist gesunken, die Kindersterblichkeit ist stark zurückgegangen, die Lebenserwartung und die Schulbildung sind gestiegen. Ist also alles gut? Nein natürlich nicht. Die Ungleichheit in den Einkommen ist innerhalb der Länder gestiegen (…).“ – bto: Das ist wiederum auch nicht überraschend. Der Lohndruck der Globalisierung trifft überproportional die unteren Einkommensgruppen. Hier wäre der Staat gefordert, gegenzusteuern. Aber nicht in erster Linie mit mehr Transfers (die ohnehin mangels Masse bei den „Reichen“ wieder die Mittelschicht zahlen muss), sondern mit Investitionen in Bildung. Bekannt, aber anstrengend. Und unser Freund Marcel F. wird dennoch weiter über die Ungleichheit klagend durch die Lande ziehen.

tagesschau.de: „Kluft zwischen Arm und Reich wächst rasant“, 16. Januar 2023

cicero.de: „Vermögen ist ein schlechter Indikator für Ungleichheit“, 24. Januar 2019