Je sozialer wir werden, desto un­gleicher werden wir

Zunächst die letzten Zahlen der EZB:

Diese Abbildung zeigt:

  • Unser Medianvermögen liegt deutlich unter dem Schnitt der Eurozone.
  • Unsere „Reichen“, die Top-10-Prozent, stehen mit 861.500 Euro gut da, aber keineswegs überragend gut im Vergleich zu denen anderer Länder – etwas vor Spanien, Frankreich und Italien und hinter Belgien, Irland und Luxemburg.
  • Die anderen 90 Prozent  stehen deutlich schlechter da. Beispiel: In der Gruppe 20 bis 40 Prozent haben die Deutschen ein Vermögen von 11.900 Euro,  die Italiener 44.400 Euro, die Franzosen 23.700 und die Spanier 51.900 Euro.

Leser dieses Blogs wissen, dass die Schlussfolgerung einfach ist: Selbst wenn wir alle Vermögen in Deutschland umverteilen würden und jeder Bundesbürger gleich viel Vermögen besäße, wären wir immer noch deutlich ärmer als unsere großen Nachbarn. Überschlägig fehlen uns zwischen 1,2-mal bis 2,0-mal BIP an Vermögen, um zu Frankreich und Italien aufzuschließen. Das wären also rund 4000 bis 6900 Milliarden Euro an zusätzlichem Privatvermögen – pro Kopf beeindruckende 48.000 bis 84.000 Euro. Dies unterstreicht die dringende Notwendigkeit, entsprechend mehr dafür zu tun, um den Wohlstand im Lande zu erhöhen.

Eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) geht den Zahlen nach:

  • Im Zeitraum von 2002 bis 2017 ist das durchschnittliche individuelle Nettovermögen von rund 80.500 Euro auf 102.900 Euro gestiegen. Es handelt sich hierbei um nominale Größen, inflationäre Tendenzen durch die Vermögenspreisentwicklung sind nicht herausgerechnet. Angesichts der besonders lockeren Geldpolitik durch die Europäische Zentralbank seit 2015 dürften Bewertungsgewinne aufgrund steigender Vermögenspreise für diese Periode an Bedeutung gewonnen haben, was sich durch den beschleunigten Anstieg der nominalen Durchschnittsvermögen zwischen 2012 und 2017 andeutet. Auch das mittlere Nettovermögen (Median) ist zwischen 2002 und 2017 nominal deutlich gestiegen. Während es zwischen 2002 und 2007 nominal von rund 15.000 Euro auf 14.500 Euro zunächst sank, stieg es danach jedoch an und erreichte im Jahr 2017 einen Wert von rund 20.000 Euro. Prozentual ist das nominale Nettovermögen damit im Durchschnitt zwischen 2002 und 2017 (ohne den Wert von Pkw und Studienkrediten) um rund 28 Prozent gewachsen, während der Median um 33 Prozent anstieg. Somit hat sich die Relation von Durchschnitts- und Medianwert von rund 5,4 auf 5,1 leicht verringert. Das deutet auf eine leichte Stauchung und damit eine geringere Ungleichheit der Nettovermögensverteilung hin.“ – bto: Gerade mit Blick auf die Entwicklung an den Immobilienmärkten ist das durchaus erstaunlich.
  • Die Feststellung einer zuletzt wieder gleicheren Verteilung deckt sich mit Ergebnissen der Deutschen Bundesbank, die seit 2010/2011 alle drei Jahre im Rahmen der Befragung ‘Private Haushalte und ihre Finanzen’ (PHF) Vermögensdaten erhebt. Diese Daten liegen allerdings nicht auf Individual- sondern nur auf Haushaltsebene vor, beschreiben also ein anderes Bild der Verteilung. Daraus resultiert eine etwas gleichmäßigere Nettovermögensverteilung, da individuell ungleich verteilte Ressourcen im Haushalt zusammengefasst werden und interpersonelle Unterschiede nivelliert werden. Aber auch wenn der Gini-Koeffizient dadurch auf niedrigerem Niveau liegt, ist er zwischen 2010/2011 und 2017 von 0,76 auf 0,74 ebenfalls nahezu unverändert geblieben beziehungsweise weist einen leicht abnehmenden Trend auf.“ – bto: Wir werden also gar nicht ungleicher, wie immer behauptet wird.

Quelle: IW

  • Deutschland rangiert mit einem Gini-Koeffizienten von rund 0,82 unter den Industrieländern Europas und Nordamerikas mit der höchsten gemessenen Nettovermögensungleichheit. Darunter befinden sich mit den USA und Russland zwei Nationen, die aufgrund ihrer gesellschaftlichen Verhältnisse auch ohne empirischen Nachweis in dieser Gruppe zu vermuten gewesen wären. Mit den skandinavischen Ländern (mit Ausnahme Finnlands) und den Niederlanden rangieren aber auch jene europäische Nachbarstaaten in der Spitzengruppe, die sich ähnlich wie Deutschland aufgrund ihrer Sozialstaatsmodelle deutlich von den USA und Russland unterscheiden und die als egalitäre Gesellschaften wahrgenommen werden. Statt dieses Ergebnis allein zum Anlass für eine Debatte über Verteilungsgerechtigkeit zu nehmen, wirft die Ähnlichkeit mit den europäischen Nachbarstaaten die weiterführende Frage nach möglichen Erklärungen für die ungleiche Vermögensverteilung auf.“ – bto: Das sollte man auch so diskutieren. In der Abbildung sieht man eigentlich die oben angesprochenen 4000+ Milliarden Euro, die uns fehlen. Sie tragen dazu bei, dass wir so ungleich sind, weil so viele dank staatlicher Politik so wenig haben.

Quelle: IW
  • Bereits in der Vergangenheit wurde in unterschiedlichen Studien wiederholt darauf hingewiesen, dass Industrieländer, die sich durch ähnlich hohe Sozialschutzausgaben bei vergleichbar hohem Lebensstandard wie Deutschland auszeichnen, auch eine ähnlich ausgeprägte Ungleichverteilung der Vermögen aufweisen. In Abbildung 6 wird dieser positive Zusammenhang für eine Reihe ausgewählter Industrieländer grafisch dargestellt, indem die Sozialschutzausgaben in Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus dem Jahr 2018 dem Gini-Koeffizienten der Nettovermögensverteilung aus dem Jahr 2019 gegenübergestellt wird.“ – bto: Diese Darstellung ist beeindruckend und auch nachvollziehbar. Der Sozialstaat führt zu weniger Vermögen in der breiten Masse und erhöht so die Ungleichheit. Wer dann darüber klagt, der klagt über den Erfolg des Sozialstaates.

Quelle: IW

  • Theoretische Überlegungen legen nahe, dass in diesen Staaten der Anreiz geringer ist, privates Vermögen aufzubauen. Denn je umfassender das Leistungsversprechen obligatorischer Sicherungssysteme ausfällt, desto weniger notwendig wird der Vermögensaufbau aus Vorsorgemotiven. Gleichzeitig reduzieren die für die Finanzierung erforderlichen Abgaben den Spielraum für Vermögensaufbau – insbesondere in steuer- oder umlagefinanzierten Sicherungssystemen und gerade bei jenen Bürgern mit geringeren Einkommen. Dieser Zusammenhang plausibilisiert, warum sich am anderen Ende des Spektrums Länder wie die Slowakei, Rumänien, Malta, Bulgarien, Bosnien und Herzegowina oder Montenegro wiederfinden, die bei einer relativ niedrigen Quote der So- zialschutzausgaben gleichzeitig eine vergleichsweise geringe Nettovermögensungleichheit aufweisen.“ – bto: Ergänzend würde ich fragen, wieso dann Belgien und Italien trotz so hohem Sozialbudget deutlich mehr Vermögen haben  als die Deutschen, was sich auch in geringerer Ungleichheit niederschlägt?
  • Womit wir auf die Wirkung der Rentenansprüche kommen: „Ohne Berücksichtigung der Vermögensäquivalente aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Rentenversicherung sowie den Ansprüchen aus der Beamtenversorgung lag das durchschnittliche Nettovermögen im Jahr 2012 in Deutschland bei rund 88.000 Euro. Mit Berücksichtigung der Vermögensäquivalente aus Altersvorsorge verdoppelt sich dieser Wert, sodass das durchschnittliche erweiterte Nettovermögen im Jahr 2012 rund 179.000 Euro betrug. Noch größer ist der Effekt mit Blick auf das mittlere Vermögen (Median). So erhöht sich das mittlere Vermögen von rund 18.700 Euro auf rund 108.000 Euro und ist damit beinahe 6-mal so hoch. Damit reduziert sich der relative Abstand zwischen Median und Mittelwert erheblich. Machte das arithmetische Mittel der konventionell ermittelten Nettovermögen in den Jahren 2012 das 4,7-Fache des Medians aus, wurde die Verteilung unter Einbeziehung der Vermögensäquivalente der Altersvor- sorge deutlich gestaucht; der Mittelwert machte nur noch knapp das 1,7-Fache aus. Dies ist nicht nur ein erstes Indiz dafür, dass Altersvorsorgevermögen breit in der Bevölkerung streuen und deshalb tendenziell die Nettovermögensungleichheit reduzieren, sondern sie stellen für die breite Mitte der Bevölkerung auch eine erhebliche, dem traditionellen Vermögensbegriff äquivalente Wohlstandssicherung dar, die in herkömmlichen Vermögensbetrachtungen und internationalen Vergleichen nicht abgebildet werden.“ – bto: Man baut also als Politiker die Altersversorgung mit Blick auf die „Ungleichheit“ aus und vergrößert damit das Problem. Brillant.
  • Insbesondere im unteren Vermögensbereich – hier für vier gleich große Nettovermögensgruppen dargestellt (Quartile) – ergeben sich bedeutende Veränderungen. Während das durchschnittliche individuelle Nettovermögen der unteren 25 Prozent im Jahr 2012 bei konventioneller Betrachtung rund -4.600 Euro betrug, also eine Nettoverschuldung anzeigt, erhöht sich dieser Wert durch die Berücksichtigung der Vermögensäquivalente aus Altersvorsorge auf durchschnittlich rund 43.700 Euro. Auch im 2. Quartil können ähnlich hohe (relative) Anstiege der durchschnittlichen Nettovermögen nach Erweiterung beobachtet werden: So steigt der Wert von rund 7.000 Euro auf 70.000 Euro.“ – bto: Auch dies muss man sich merken. Es hilft natürlich vor allem den unteren Einkommensgruppen.

Quelle: IW

  • Aus den bisher betrachteten Veränderungen im Zuge der erweiterten Vermögensberechnung ergeben sich zahlreiche Hinweise auf die veränderte Gesamtverteilung, beispielsweise durch die Reduzierung des Abstands von Median zu Durchschnittswert. Tatsächlich zeigt sich unter Verwendung des Gini-Koeffizienten, dass die Verteilung der Nettovermögen durch die Hinzuschätzung der Altersvorsorgevermögen erheblich gleichmäßiger aus- fällt.“ – bto: Klar, das muss so sein, wenn vor allem im unteren Bereich massive Verbesserungen der Vermögensposition durch die korrekte Berücksichtigung der Rentenansprüche hinzukommen.

Quelle: IW

Fazit

Die Politik muss die Alterssicherungssysteme reformieren und nicht einfach nur die Einnahmen erhöhen, da sie damit die Vermögensbildung noch mehr erschwert. Dazu gehört auch, mehr in das Wachstumspotenzial des Landes zu investieren. Parallel dazu gilt es, die private Vermögensbildung zu fördern, statt zu behindern.

iwkoeln.de: “Gerechtes Deutschland – Die Rolle der Vermögen | Gutachten für den vbw”, 29. Juni 2021