„Italy’s economic recovery is not what it seems“ – na und?

„Italy’s economic recovery is not what it seems“ betitelt Wolfgang Münchau seinen Beitrag in der FT vom Montag. Am Freitag schon hat er bei SPIEGEL ONLINE daran erinnert, dass die Eurokrise die eigentliche Krise sei und nicht das alles dominierende Thema „Flüchtlinge“. Die Ereignisse vom Freitagabend in Paris haben dann beide Themen überlagert. Und nicht nur das. Sie haben den Startschuss gegeben, um das einzuleiten, was Münchau schon lange fordert: eine Abkehr von der Politik des Sparens. Wobei ich an dieser Stelle nicht umhin komme, daran zu erinnern, dass

  • außer Griechenland ohnehin kein Land ernsthaft gespart hat;
  • man sich aus der Pleite ohnehin nicht heraus sparen kann;
  • auch die Medizin von Münchau letztlich nicht heilt, sondern nur weiter Zeit kauft, indem die Schuldenberge wachsen.

Wie groß der Anpassungsbedarf der Staatsfinanzen eigentlich wäre, hat McKinsey schon vor Monaten vorgerechnet:

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An dieser Einschätzung hat sich seither wenig geändert. Hier und da mag die Wachstumsrate jetzt etwas höher liegen – dafür aber auch die laufenden Defizite. Man blicke auf Frankreich. Schon vor dem Krieg eine Lücke von 2,5 Prozent vom BIP. Wer glaubt denn da wirklich, dass der französische Staat seine Schulden je in den Griff bekommt. Gut aus Sicht der deutschen Regierung: Nun, da wir es mit einem äußeren Feind zu tun haben, kann man auch der Inflationierung zustimmen. Dumm nur, dass wir selber (relativ) gespart haben. Wenn alle Gas geben, ist der der spart wirklich der Dumme!

Doch nun zu Münchau. Mit Blick auf den Euro hält er Folgendes fest:

  • „Der Euro war im Nachhinein ein Fehler. Das ist an sich nicht originell. Sie gingen sogar noch einen entscheidenden Schritt weiter: Am besten sprengt man ihn auseinander. Denn mit Deutschland ist eine Währungsunion für viele Ländern langfristig weder optimal noch nachhaltig.“ – bto: Das stimmt. Es wäre auch leichter, wenn wir austreten würden.
  • „Noch ist der ökonomische Effekt des Euros auf seine Mitgliedstaaten im Durchschnitt neutral – was natürlich nicht bedeutet, dass es für jeden so ist. Aber wenn irgendwann der ökonomische Effekt so negativ ist, dass sich ein Land mit einem Austritt aus dem Euroraum saniert, dann ändert sich die Balance des Argumentes.“ – bto: Und das kommt sicher.
  • „Die Flüchtlingskrise ist politisch wichtig, aber nicht wirklich ökonomisch. Sie wirkt kurzfristig wie ein leichtes Konjunkturprogramm und wird langfristig die deutsche Demographie etwas verbessern. Ich halte den Effekt für positiv, aber viel mehr ist dazu nicht zu sagen.“ – bto: Da bin ich – bekanntlich – deutlich skeptischer.
  • „Die Eurokrise hingegen ist weder ausgestanden noch bewältigt. Sie wirkt weiter, jeden Tag. Sie wirkt ökonomisch auf Europa wie die Flüchtlingskrise politisch. Jeden Tag wird es schlimmer, weil man nicht das Problem löst, sondern weil man damit beschäftigt ist, irgendwelche Feuer zu löschen, die man durch die eigene Inkompetenz entfacht hat.“ – bto: Das ist auch richtig. Allerdings dürfte das jetzige Konjunkturprogramm erstmal wieder Luft verschaffen.
  • „Wenn ich von Eurokrise rede, dann meine ich Italien, Spanien und Frankreich. Und ich meine auch Deutschland damit.“ – bto: ja, wobei – wie hier mehrfach erklärt – auch in Deutschland nur eine Gruppe profitiert.
  • „Besser wäre schon eine Nord-Süd-Trennung anstatt einer kompletten Auflösung oder einer chaotischen Abspaltung. Letzteres Szenario ist aber aus politischen Gründen wahrscheinlicher. Für mich liegen die beiden Sollbruchstellen in Frankreich und Italien.“ – bto: Deshalb lasst uns austreten, bevor Italien es tut!
  • Frankreich ist für den europäischen Rettungsschirm zu groß. Und in Italien hat Matteo Renzi die effektiv letzte Chance, eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung zu generieren. Das Land hat seit Eintritt in die Währungsunion kein Produktivitätswachstum mehr erzeugt. Scheitert Renzi, dann kommen die Euroskeptiker auch dort an die Regierung.“ – bto: beides absehbar.

Womit wir zu Münchaus Sicht auf Italien kommen:

  • Italien ist entgegen der Auffassung der Berater der Regierung nicht immun gegen einen Abschwung in China und den Schwellenländern.
  • Wachstum ist für Italien besonders wichtig, um die Schulden unter Kontrolle zu halten, der Jugend eine Perspektive zu geben und den sozialen Frieden zu sichern. (Wie wichtig zeigt auch die McKinsey Analyse.)
  • Seit der Euroeinführung stagniert das italienische BIP, es liegt immer noch neun Prozentpunkte unter dem Vorkrisenstand.
  • Sollte Italien wieder in die Rezession fallen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis das Land aus dem Euro aussteigt. Zu groß sind die offensichtlichen Vorteile eines Euroaustritts für das Land.
  • Drei Gründe für Sorge führt er an: a) das schwache Wachstum im letzten Quartal, b) der sehr hohe Bestand an faulen Krediten bei italienischen Banken von immer noch zehn Prozent (weshalb Italien eine Bankenunion will und wir sie nicht eingehen sollten!), c) die Fiskalpolitik, die weiter nach dem Motto verfährt, möglichst viele glücklich zu machen, statt die Verwaltung wirklich grundlegend zu reformieren.
  • Kommt es zu Rezession und Bankenkrise, wird das Budgetdefizit so deutlich steigen, dass der Staat auf die Bremse gehen muss. Das dürfte der Wirtschaft den Stoß versetzen.

Alles richtig bis zum letzten Freitag. Was nun kommt, wird ein Helikopter-Geld-Programm für die Eurozone sein, das die Wirtschaft beleben und höhere Defizite akzeptabel machen. Ich denke, die Eurokrise ist vorüber, denn der Weg ist ab jetzt klar. Die EZB monetarisiert. Zwar kauft sie damit auch nur Zeit, aber ein paar nette Jahre könnten es werden.

→ FT (Anmeldung erforderlich): „Italy’s economic recovery is not what it seems, says IMF, 15. November 2015