Italien und Spanien haben eine Kultur der Abhängigkeit

Der Italiener Fabrizio Zilibotti ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Yale. Davor war er Professor am University College London, der Universität von Zürich, und am Institute for International Economic Studies in Stockholm. Er war Mit-Herausgeber der Econometrica und Herausgeber des Journal of the European Economic Association. 2016 war Zilibotti Präsident der European Economic Association. Klartext: er ist wirklich ein Top-Ökonom.

Und er kennt Italien. Deshalb höre ich lieber auf ihn, statt auf die hiesigen (politisch überzeugten) Ökonomen, die nur in Transfers die heilbringende Lösung sehen. Hier ist seine Sicht:

  • “Die Argumentation für eine rasche Erholung lautet, die Gesundheitskrise habe die Wirtschaft nicht fundamental erschüttert. Die technologische Entwicklung ist nicht unterbrochen, die Wirtschaftsaktivität hat wegen des Social Distancing bloss vorübergehend nachgelassen. Solange der Staat die am schwersten betroffenen Haushalte unterstützt und es den Unternehmen ermöglicht, den Sturm zu überstehen, wird danach schnell Normalität einkehren. Die Unterstützungsmassnahmen bringen eine höhere Staatsverschuldung mit sich, was aber dank dem bald einsetzenden Wirtschaftswachstum kein gravierendes Problem ist.” – bto: überflüssig zu betonen, dass ich diese optimistische Sicht nicht teile.
  • “In vielen Branchen – im Transportwesen etwa oder im Tourismus – wird die Erholung sehr schleppend verlaufen. Als Reaktion auf die Unsicherheit und die eingetrübten Aussichten könnten die Haushalte ihren Konsum zurückfahren und die Unternehmen ihre Investitionspläne stutzen. Die Krise könnte viele gute Unternehmen in den Untergang treiben, was wiederum die Arbeitslosenrate hochschnellen lässt. Deswegen fordern manche Ökonomen eine sehr proaktive Fiskal- und Geldpolitik bis hin zu Helikoptergeld – das bisher zwar eher für schlechte bzw. unverantwortliche Geldpolitik stand, heute aber zahlreiche Anhänger findet. Gemäss den Befürwortern braucht man sich um ein Wiederaufflammen der Inflation nicht zu sorgen.” – bto: so ist es und angesichts der hohen Schulden wird es auch keinen anderen Weg geben..
  • “Besonders in Italien ist die Lage kritisch. Schon vor Beginn der Krise belief sich seine Verschuldung auf 135% des BIP. Im Laufe des Jahres dürfte dieser Wert auf 155 bis 160% klettern, weil zum einen das BIP sinkt und zum anderen die Ausgaben steigen. Die Ratingagentur Fitch hat Italiens Rating bereits auf nur noch eine Stufe über Ramschniveau herabgesetzt. Aus Italien wie auch Spanien ist ein massiver Kapitalabfluss im Gang. Paradoxerweise machen die Risiken die Politiker erst recht selbstsicher und zuversichtlich, dass die EU ihren Forderungen nachgeben wird. Das Argument lautet, wieder einmal, too big to fail: Eine weitere Herabstufung Italiens könnte eine Finanzkrise auslösen, die den Bestand der EU selbst gefährden würde.” – bto: der Kapitalabfluss zeigt sich dann in den bei uns wachsenden TARGET-2-Forderungen. Und dass die Erpressung funktioniert, konnten wir in den letzten Tagen beobachten.
  • “Was würde ein Bail-out für die Empfängerländer bedeuten? Sollte er tatsächlich einen Wiederaufschwung auslösen, wäre er die Kosten wohl wert. Leider ist nicht ersichtlich, dass es eine Strategie gibt, die darüber hinausgeht, bloss so viel Geld wie möglich zu erheischen. Über einzelne Interventionen wird nicht diskutiert. So hat die italienische Regierung zum Beispiel bereits angekündigt, im Juni die volle Kontrolle über die Fluggesellschaft Alitalia zu übernehmen, um sie vor dem Bankrott zu bewahren. Allerdings leidet Alitalia, anders als andere Airlines, nicht erst seit der Coronakrise. Sie schreibt schon seit zwanzig Jahren Verlust. Die für den Steuerzahler daraus resultierende Belastung schätzte Mediobanca im Jahr 2015 auf 7,4 Mrd. €. Seither hat sich der Geldabfluss fortgesetzt.” – bto: und es wird weiter so gehen.
  • “Absehbar ist, dass der grösste Teil der Staatsausgaben in Transfers für Haushalte fliessen wird. Unterstützung für die Bedürftigen ist in der kurzen Frist eine Notwendigkeit. Wie aber geht es weiter, wenn die Wirtschaft wieder anzieht? Italien wie auch Spanien haben keinen besonders guten Track Record, was eine Kultur der Abhängigkeit anbelangt. Grosse Teile ihrer Bevölkerung, besonders in den ärmsten Regionen im Süden, neigen dazu, ihr Verhalten an einen niedrigen wirtschaftlichen Standard mit staatlichen Unterstützungsleistungen und gelegentlicher Beschäftigung im informellen Sektor anzupassen.” – bto: das bedeutet im Klartext nichts anderes als dass wir es mit einem Dauertransfer zu tun haben!
  • Der Verfall sozialer Normen könnte eine Hysterese der Arbeitslosigkeit ankurbeln, wie früher bereits geschehen (das heisst, die Wirkung dauert an, auch nachdem die Ursache weggefallen ist). Deshalb sollte das Ziel sein, die Leute im Arbeitsmarkt zu halten, etwa mit Steuererleichterungen und Freibeträgen für Angestellte mit niedrigem Lohn. Doch diese Aspekte tauchen im gegenwärtigen politischen Diskurs nicht auf, und jegliche Erwähnung riefe Missbilligung und Kritik hervor. Die Regierungen finden es einfacher und populärer, den Menschen, die zu Hause bleiben, Schecks auszustellen. So kann es sein, dass mit den EU-Transfers (bzw. den subventionierten Krediten) schlecht ausgestaltete Wohlfahrtsprogramme finanziert werden, die zum Fortdauern der Krise beitragen.” – bto: so wird es sein!

Und genau deshalb ist es vorsichtig formuliert naiv – eher leichtfertig und unverantwortlich – in dieser Situation in eine Transferunion einzusteigen.

→ FINANZ und WIRTSCHAFT: “V-Erholung oder Dauermisere?”, 25. Mai 2020