Interessante Gedanken von Pankaj Mishra: “Die Welt sitzt in der Falle”

Die NZZ festigt ihren Ruf als die (letzte?) verbliebene kritische Stimme im deutschsprachigen Raum mit einem sehr interessanten Interview mit dem indischen Schriftsteller und Essayist Pankaj Mishra, der für seine diversen sozial- und globalisierungskritischen Bücher bekannt ist. Die Highlights:

  • “(…) die Welt steht vor einem globalen Bürgerkrieg – das schreiben Sie in Ihrem Buch. Das klingt ziemlich alarmistisch. Was lässt Sie zu diesem Schluss kommen? – Ich meine damit nicht unbedingt physische Gewalt, sondern denke an den Zusammenbruch eines Systems, der manchenorts stattfindet und sich andernorts abzeichnet. In all den politischen Krisen und im Aufstieg von Demagogen und Extremen spiegelt sich ein fundamentaler Vertrauensverlust – nicht nur in die Eliten oder die Regierungen, nein, in eine Grunderzählung unserer Gesellschaft. Der Traum vom sozialen Aufstieg liegt zerstört am Boden, (…) Sie glauben nicht mehr an eine bessere Zukunft.” bto: Ich denke, es ist die Folge der Politik der letzten Jahre, die gerade bei uns in Europa auf die falschen Themen und Strategien gesetzt hat.
  • Wenn wir auf Fakten und Zahlen pochen, dann müssen wir die wütenden Leute für verrückt halten, tatsächlich. (…) Die Statistiken sagen nämlich nur, dass sich der Wohlstand vergrössert hat (…) Die Verteilung ist völlig ungerecht. Egal, ob in den USA und in Grossbritannien oder in Indien, Indonesien oder Nigeria, überall sehen wir massive Ungleichheit. Insofern haben sehr viele Leute sehr gute Gründe, sich zurückgesetzt zu fühlen.” bto: Hier habe ich bekanntlich eine andere Auffassung, weil die Ungleichheit weltweit abgenommen hat und zudem die Systemfrage eine andere ist: nämlich die Geldsystemfrage.
  • Im 19. Jahrhundert kam eine Kraft ins Spiel, mit der man in den Gesellschaftskonzeptionen des 18. Jahrhunderts noch nicht gerechnet hatte: der Industriekapitalismus. Diese Wirtschaftsform verlangt sofort wieder eine Hierarchie, sie akkumuliert Kapital in den Händen einer kleinen Minderheit und schafft nicht nur neue Ungleichheit, sondern bringt mit Entwurzelung und Umsiedlung auch alle Arten von traumatischen Transformationen mit sich. Die europäische Bevölkerung erlebte das im 19. Jahrhundert, heute sind die schmerzhaften Auswirkungen der Modernisierung auch in anderen Weltteilen zu sehen.”  bto: Was er hier schildert, ist der ganz normale Debitismus, den ich bekanntlich gut finde, solange man ihn sozial flankiert und zudem die Mechanik der Pleiten nicht ausschaltet.
  • Imperialismus, Ausbeutung und Sklaverei haben einen ebenso grossen Anteil am hiesigen Wohlstand wie die industrielle Innovation. Das zu ignorieren, ist gefährlich. Denn: Weder Indien noch irgendein anderes aufsteigendes Land kann heute noch Territorien und Ressourcen erobern. Das ist passé. Die Phantasie des Wohlstands aber, der für einige wenige Länder aus dieser spezifischen Phase resultierte, ist in allen Köpfen verankert. Die ganze Welt ist darin gefangen und sitzt in der Falle.” bto: Da widerspreche ich. Ich denke nicht, dass es die sozialistischen Begründungen sind, die zum Wohlstand geführt haben. Es ist Innovation und Produktivität. Dennoch stimmt es, dass, wenn es nicht weitergeht, die Unzufriedenheit zunimmt.
  • Wer die Weltkriege erlebt hatte, wusste, wie dramatisch und schnell jeder vermeintlich lineare Zivilisationsprozess scheitern kann. Die Post-1945-Generation hat dagegen nur Stabilität und dauerhaften Aufstieg gekannt. Sie hat eine absolute Ausnahmeperiode erlebt, in der es ja nur aufwärtsgehen konnte: Aus den Ruinen gab es keine andere Richtung. Von dieser extrem beschränkten Erfahrung aus in die Zukunft zu extrapolieren und anzunehmen, dass alles überall besser werden müsse, ist unglaublich dumm. Und doch wird es dauernd gemacht.” bto: Und diese Illusion wird zudem von den Politikern befeuert!
  • Ich sehe absolut keinen Fortschritt in Richtung liberale Demokratie. Nirgendwo. Und ich habe auch für die Zukunft keine Hoffnung. Liberale Demokratien sind sehr fragile Konstruktionen, die im Verlauf der Geschichte nur in wenigen Phasen und in ein paar einzelnen Ländern funktioniert haben.” bto: und die sich jetzt selbst zerlegen, weil sie den falschen Themen hinterherlaufen. Es geht nicht darum, das Sozialamt der Welt zu sein!
  • “(…) ein Land zu erobern und ihm die liberale Demokratie aufzuzwingen (ist falsch). (…)  Klüger wäre es, Arbeitsplätze zu schaffen, erst einmal eine Basis zu legen – anstatt irgendwo anzukommen und Wahlen zu veranstalten, die dann nur neue Demagogen an die Macht bringen und das System letztlich sogleich wieder destabilisieren. Ich kann es nur wiederholen: Liberale Demokratien sind sehr brüchig und genau wie der westliche Wohlstand eine Ausnahmeerscheinung, selbst in Europa.” bto: Das denke ich auch. Vor allem sollte man zunächst die Geburtenraten nach unten bringen, dann bekommt man natürlich weniger Konflikte und bessere Bildung.
  • “Man kann natürlich die Augen verschliessen vor allem, was hinter einem solchen Ergebnis steht (gemeint: Brexit, Trump), und sich zufriedengeben damit, dass die Abstimmung regelkonform durchgeführt worden ist und eine Mehrheit eine Entscheidung getroffen hat. (…)  Aber wir wissen doch genau, dass diese Resultate Ausdruck von enormer Unzufriedenheit sind, von Wut nicht nur auf die regierende Klasse, sondern auf eine tief empfundene Benachteiligung.” bto: und natürlich auf die falsche Politik und die zunehmend erbärmlich schlechten Politiker.

Wir befinden uns in einem tief greifenden Wandel und mit der nächsten wirtschaftlichen Krise (und damit Eurokrise etc.) dürfte es erst so richtig losgehen.

NZZ: “Pankaj Mishra: ‚Die Welt sitzt in der Falle‘”, 3. April 2018