Inflation – das Thema der 2020er?

Vergeblich hatte ich darum gebeten, die Inflationsaussage nicht zur Schlagzeile zu machen:

→ FOCUS: “EZB: Erst kommt die Inflation, dann eine neue Geldordnung – was das für Sparer heißt”

Vermutlich sind in Deutschland mit nichts so viele Leser bei Wirtschaftsthemen zu begeistern wie mit dem Thema Inflation: der Ur-Angst der Deutschen, das vermutliche Grundübel für den Niedergang der Gesellschaft in den 1920er-Jahren und mehr noch als die folgende Depression, ein wichtiger Treiber für den Aufstieg Adolf Hitlers.

Deshalb nochmals meine Sicht:

  • Wir befinden uns seit Jahren in einem deflationären Umfeld. Ursachen unter anderem: Überschuldung, Zombifizierung, Geldpolitik, einsetzende Alterung.
  • Bis jetzt sind die Notenbanken gescheitert, diesen deflationären Druck zu überwinden. Im Gegenteil, ihre Politik dürfte die Deflation verstärken.
  • Dieser deflationsverstärkende Kampf hat zu immer größeren Blasen an den Vermögensmärkten geführt. Das erhöht die Instabilität und macht weitere und größere Interventionen erforderlich.
  • Schon vor Corona wurde deshalb über neue Maßnahmen nachgedacht, vor allem die direkte Finanzierung der Staaten.
  • Corona ist nun die Mutter aller Schocks. Massiv deflationär, weshalb die Notenbanken massiv intervenieren.
  • Damit bekommen wir schneller das, was ohnehin gekommen wäre. Und das muss auch zunächst nicht inflationär wirken. Denn die anderen Faktoren, die deflationär wirken, sind ja weiterhin vorhanden. Zum Teil verstärken sie sich noch.
  • Andererseits gibt es neue Entwicklungen wie die Störungen auf der Angebotsseite: Wertschöpfungsketten, Re-Regionalisierung, politische Einflussnahme, perspektivisch Lohndruck. Hinzu kommt bewusste Entwertung vorhandener Assets: Ölheizungen, Verbrennermotoren, etc. im Kampf gegen den Klimawandel. Dem steht entgegen viel neues Geld der Notenbanken, das nun über Staatsausgaben den Weg in die Wirtschaft als echte Nachfrage findet.
  • Deshalb ist es denkbar, dass nach dem deflationären Schock die Rückkehr der Inflation steht.

Nun zu Artikeln zum Thema. Heute der sehr geschätzte Thomas Mayer:

  • “Staaten legen wegen der Corona-Pandemie Hilfsprogramme von noch nie dagewesenem Umfang auf und Zentralbanken finanzieren einen großen Teil davon mit neu geschaffenem Geld. Dennoch erwarten die meisten Finanzmarktakteure und Ökonomen keine Inflation.” – bto: zum einen, weil es der Erfahrung nach der Finanzkrise entspricht, zum anderen, weil wir zunächst vor einem deflationären Schock stehen.
  • “Für den Kauf der Wertpapiere schaffen die Notenbanken Zentralbankgeld, welches die Geschäftsbanken in Giralgeld verwandeln. Aufgrund der Wertpapierkäufe der Notenbanken und der durch Niedrigzinsen und staatliche Kreditgarantien angestachelten Kreditvergabe der Banken ist in den USA die liquide Geldmenge MZM („money with zero maturity“) seit Jahresbeginn um 23 Prozent gestiegen und liegt gegenwärtig um 30 Prozent über ihrem Vorjahreswert.” – bto: was auch die Börsenentwicklung bis letzte Woche erklärt.
  • “In der Euro-Zone stieg die das Bargeld und die Sichteinlagen umfassende Geldmenge M1 seit Jahresbeginn um sechs Prozent und liegt nun um zwölf Prozent über ihrem Vorjahreswert. Dagegen dürfte das Bruttoinlandsprodukt in beiden Regionen in dieser Zeit stark gefallen sein.” – bto: Damit haben wir viel Liquidität, die sich nicht in der Realwirtschaft niederschlägt.
  • “Die gewaltige Geldvermehrung würde verpuffen, wenn das neue Geld gehortet würde. Da aber auch längerfristige Bankeinlagen so gut wie keine Zinsen abwerfen, besteht dafür kein Anlass. Die Menschen werden das neue Geld also für irgendetwas ausgeben. Einige haben es genutzt, um Vermögenswerte zu kaufen und dadurch die Vermögenspreise befeuert.” – bto: Allerdings wissen wir auch, dass die Umlaufgeschwindigkeit seit Jahren sinkt, es gibt also einen gewissen “Hortungseffekt”.
  • “Die Ökonomen setzen darauf, dass Ausgaben für Güter und Dienstleistungen den Käufen von Vermögenswerten folgen. Dabei hilft, dass das neu geschaffene Geld nicht weg ist. Es hat nur die Hände gewechselt: Vom Käufer der Vermögenswerte zum Verkäufer, der es wieder ausgeben kann. Und es hilft noch mehr, dass die Geldmaschinen der Zentralbanken auch weiterhin auf Hochtouren laufen, also noch mehr Geld in Umlauf kommt.” – bto: Und das werden sie. Allerdings bleibt abzuwarten, ob die Geldbesitzer es wirklich ausgeben, denn das hätte man auch in den letzten zehn Jahren vermuten dürfen.
  • “(…) Statt die Konsumentenpreise zu erhöhen, soll das neue Geld die Produktion ankurbeln und im Lockdown freigesetzte Arbeitskräfte wieder in Lohn und Brot bringen. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass die Geldausstattung der Wirtschaft nach der Krise deutlich größer sein wird als vorher. Außerdem könnte es sein, dass sich die Struktur der Nachfrage verschiebt, dass zum Beispiel weniger Flugreisen und Hotelübernachtungen, dafür aber mehr Computerausrüstungen nachgefragt werden.” – bto: Und dann hängt es von den Kapazitäten in diesen Sektoren ab.
  • “Der neue Handelsprotektionismus und die Verkürzung von Lieferketten dürften die globale Produktion dämpfen und das lokale Angebot verringern. Trifft die größere Geldausstattung auf ein geringeres Angebot als vor der Krise, und werden manche Güter nun mehr nachgefragt als andere, dann dürften steigende Preise das gesamte Preisniveau stärker beeinflussen als fallende.” – bto: noch verschärft, wenn die Politik bestimmte Investitionen/Ausgaben “erzwingt”.
  • “Die Zentralbanker behaupten, dass sie die Kreditnachfrage durch Zinserhöhungen bremsen könnten, wenn die Konsumentenpreisinflation bedrohlich steigen würde. (…)  Doch, wenn die Zinsen steigen, würden viele Schuldner, die auf dauerhaft niedrige Zinsen gesetzt haben, bankrottgehen. Eine neue Schuldenkrise würde drohen. Die Zentralbanker müssten schnell zurückrudern.” – bto: Mir leuchtet das ein. Außerdem bezweifle ich, dass die Notenbanker es wirklich wollen.

→ welt.de: “Der Irrtum vom Ende der Inflation”, 10. Juni 2020