Inflation als Folge nega­tiver Realzinsen?

Inflation wird oft mit der stark gestiegenen Geldmenge und der Staatsverschuldung erklärt. Ein weiterer Ansatz findet Gehör: Die Flucht aus dem Geld war ein Treiber der Inflation in den 1970er-Jahren, z. B. in der FINANZ und WIRTSCHAFT:

  • “Schuld an der Geldentwertung (der 1970er-Jahre) waren nicht nur die Ölpreisschocks, sondern eine verfehlte Finanz- und Geldpolitik, (…) so werden die Ereignisse bisher seit Jahrzehnten erzählt: Mitte der 1960er-Jahren beginnt die mit Defiziten finanzierte Konjunkturpolitik an Wirksamkeit zu verlieren. Inflation ist nicht mehr, wie es die Schule der Keynesianer vorhersagt, ein positiver Nebeneffekt, mit dem die Wirtschaft stimuliert wird und Arbeitsplätze geschaffen werden. Vielmehr gerät sie ausser Kontrolle, sie blockiert die Konjunktur und lässt die Arbeitslosigkeit steigen. Das Schlimmste hätte verhindert werden können, wenn die US-Notenbank die Geldpolitik gestrafft hätte. Aber das tut sie nicht ausreichend. Dadurch verliert sie an Glaubwürdigkeit und trägt dazu bei, dass die Öffentlichkeit noch höhere Inflationsraten erwartet, was die Lohn-Preis-Spirale am Laufen hält.” – bto: Das ist zunächst eine einleuchtende Erzählung.
  • “Philipp Schnabl von der Stern Business School an der Universität von New York bezweifelt, dass diese Sicht der Dinge ausreicht, um die Inflationsära zu erklären. Zusammen mit zwei Kollegen weist er nach, dass das damalige Inflationsproblem eine andere Ursache hatte: ein Zinsdeckel auf Bankeinlagen, die sogenannte Regulation Q. (…) 1965 änderte (sich) die (…) Regulation Q (und die Zinsen) wurden unter den Marktzinsen und dem Notenbankleitzins Fed Funds Rate gehalten, die zu steigen begannen.” – bto: Ein Zinsdeckel neben einem Mietendeckel, das ist doch mal was. Die staatlich offizielle Enteignung der Sparer. ” (…) der reale Einkommensverlust wurde immer grösser: 1964 betrug der Deckel für Sparkonten real 2 % (nominal 4 % minus 2 % Inflation), bis 1979 fiel er auf -8 %, und das während der Fed-Leitzins real etwa 0 % betrug.”
  • “Damit wurde es für Amerikaner immer weniger attraktiv, ihr Geld auf dem Sparkonto zu halten. Sie gaben es stattdessen aus, worauf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage anzog, was die Preise steigen liess. Dieser Effekt war enorm. Denn Sparguthaben waren seinerzeit die wichtigste Form der Ersparnis. (…) Je höher die Inflation ausfiel, desto tiefer sank der reale Maximalzins und umso mehr Ersparnisse wurden aufgelöst und ausgegeben, was die Inflation anheizte. Darüber hinaus schwächte der massive Abzug von Guthaben die Finanzkraft der Banken. Sie hielten sich daraufhin bei der Kreditvergabe an Unternehmen zurück, was wiederum die Konjunktur bremste und in letzter Konsequenz die Arbeitslosigkeit steigen liess.” – bto: Also verstärkte dies eine Verknappung des Angebots, während zugleich die Nachfrage angeheizt wurde.
  • “Ab 1978/79 wurden neue deregulierte Sparprodukte eingeführt. Die Regulation Q wurde de facto aufgehoben. Der Zins auf Sparguthaben schoss rasch auf 7 %. Amerikanische Privathaushalte verschoben einen Gegenwert von 16 % des BIP in die Sparprodukte. Der Aufwärtsdruck auf die Preise liess nach. Schnabel und seine Ko-Autoren unterstreichen, dass diese Wende rund ein Jahr vor der geldpolitischen Umkehr des neuen Notenbankchefs Paul Volcker einsetzte, die heute als Beginn des Endes der Grossen Inflation gefeiert wird.” – bto: Es leuchtet ein, dass diese Flucht in Konsum endete und damit auch das Vertrauen in Geld wieder wuchs.
  • “Als die Störung beseitigt wurde, kehrte die Teuerung auf das langjährige Niveau zurück. Das erkläre auch, weswegen gegenwärtig keine anhaltende hohe Inflation drohe, trotz steigender Energiepreise und nach oben angepasster Inflationsziele der Notenbanken in den USA und dem Euroraum. Vorausgesetzt, die geldpolitischen Signale werden nicht gestört.” – bto: Allerdings sind wir genau in diese Richtung unterwegs, setzt doch die EZB das Signal von Dauernull.

fuw.ch: “Muss die Geschichte der Inflation neu geschrieben werden?”, 24. September 2021

Und hier zur Studie:

Itamar Drechsler, Alexi Savov und Philipp Schnabl: “The Financial Origins of the Rise and Fall of American Inflation”, 2021 (PDF)

Kommentare (16) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. markus
    markus sagte:

    Schlussfolgerung: Wir müssen die Finanzprodukte nur deregulieren, dann wird alles besser ?.

    Und, dass mit steigender Inflation, langsam das Vertrauen in die Währung geschwächt wird und die Menschen lieber Reales in den Händen halten, das ist irgendwie unerwartet… Komischer Artikel.

    Zu den Bemerkungen:
    “Mietendeckel” als “Enteignung der Sparer”: Etwas unpassend oder? Der Anteil an Normalo-Sparern, die selber vermieten oder in größeren Beträgen bei Wohnbaugesellschaften involviert sind, dürfte ziemlich gering sein.

    Was nicht heißt, dass der Mietendeckel eine sinnvolle Massnahme gegen übermäßigen Mietenanstieg wäre: Baulandausweisungen und aufholender sozialer Wohnungsbau, der die in den letzten zwei Jahrzehnten aus der Bindung fallenden Wohnungen wieder aufbaut, wäre wirksam – entgegen dem Mietendeckel.

    Antworten
  2. Hannes Forster
    Hannes Forster sagte:

    Man sollte die „Inflation“ der Vermögenspreise in die Berechnungsgrundlage und Aussage aufnehmen. Schön und gut wenn die Biotomate nicht viel teurer wird, eine Eigentumswohnung oder gar ein Einfamilienhaus (oh nein, das ist doch ein Klimakiller) ist unerschwinglich teuer geworden.

    Antworten
  3. Gnomae
    Gnomae sagte:

    Wenn die These stimmt, dass die derzeitige Inflation ursächlich auf eine hohe Nachfrage nach Verbrauchsgütern zurückzuführen ist, weil während Covid-19 weniger konsumiert wurde, wäre die Inflation tatsächlich nur vorübergehender Natur, vielleicht bis Ende 2022.

    Dann dürfte die “Störung” wieder beseitigt sein.

    Das erklärt jedoch nicht, warum die EZB Negativzinsen verlangen kann und darf. Statt “Fridays for Future” sollten die Bürger lieber “Fridays for Interest-Rates” ausrufen.

    Antworten
  4. Richard Ott
    Richard Ott sagte:

    “Als die Störung beseitigt wurde, kehrte die Teuerung auf das langjährige Niveau zurück. Das erkläre auch, weswegen gegenwärtig keine anhaltende hohe Inflation drohe, trotz steigender Energiepreise und nach oben angepasster Inflationsziele der Notenbanken in den USA und dem Euroraum. Vorausgesetzt, die geldpolitischen Signale werden nicht gestört.”

    Wieso soll das ein Argument dafür sein, dass aktuell keine anhaltend hohe Inflation droht?

    Wir haben derzeit auch massiv negative Realzinsen, und sogar für immer mehr Sparguthaben negative Nominalzinsen – und anders als in den 1970er Jahren hat wegen der Nullzinspolitik und dem QE der Zentralbanken auch keine Bank irgendein Interesse daran, attraktive Zinsen zu bieten um zur Refinanzierung ihrer eigenen Geschäfte Spareinlagen einzuwerben.

    Die Nominalzinsen für US-Anleihen hatten übrigens erst im Herbst 1981 ihren Höchststand, also 3 Jahre nach Einführung der neuen und angeblich so wichtigen Sparprodukte:

    https://fred.stlouisfed.org/series/IRLTLT01USM156N

    Damals gab es für 10-jährige US-Anleihen 15% Zinsen pro Jahr, heute vollkommen unvorstellbar. Da müssten die USA über 4000 Milliarden Dollar pro Jahr für Zinsen aufwenden – und die Summe aller Einnahmen der US-Regierung im Jahr 2020 war nur 3400 Milliarden Dollar. ;)

    Antworten
    • Seuchenvogel
      Seuchenvogel sagte:

      Herr Ott,

      das mit den 4000 Milliarden USD Zinsaufwand p.a der USA kann nicht stimmen…Da müsste die Staatsverschuldung ja schon fast 27.000 Milliarden USD betragen haben… Oder?

      Antworten
      • Gnomae
        Gnomae sagte:

        Die US- Bundesverschuldung zum 31.12.2020

        “27.747.797.947.667 Dollar und 77 Cent”

        + ca. 3.000 Milliarden auf Länderebene ergibt zusammen 30.747 Milliarden USD.

        Soweit die Staatsverschuldung fest finanziert ist, wird sich die Zinslast nicht unmittelbar ändern.

        Realistisch bedeutet das: Immer weiter steigende Staatsverschuldung der USA.

        Man beachte den Schulden-Turbolader: Green-New-Deal.

        Mein Gefühl: Die Leute begreifen das überhaupt nicht, bei geschätzten 150.000 Milliarden USD Gesamtinvestitionen, die benötigt werden. 1,5 x 10 exp. 14.

      • Seuchenvogel
        Seuchenvogel sagte:

        Herr Ott,

        Sorry ich hatte mich verlesen. Ich hatte gelesen, die USA mussten 4000 Milliarden Zinsen zahlen, als die Zinsen bei 15% waren.

      • Richard Ott
        Richard Ott sagte:

        @Seuchenvogel

        Es ist wirklich so.

        Hier DIE Quelle für die US-Bundesverwaltung (also ohne US-“Länderebene”), falls Sie es ganz genau wissen wollen: https://treasurydirect.gov/govt/reports/pd/debttothepenny.htm

        Stand 12. Oktober 2021:
        $6,285,473,674,466.66 Intragovernmental Holdings
        + $22,143,378,621,203.66 Public Debt
        = $28,428,852,295,670.32 Total Debt

        28428 Milliarden US-Dollar.

        Gnomae hat natürlich recht, die jeweilige Restlaufzeit der Schulden muss man auch beachten, aber wenn die USA heute für ihre ganzen Schulden tatsächlich 15% Zinsen bezahlen müssten, dann wären sie sofort zahlungsunfähig.

        @Gnomae

        “Mein Gefühl: Die Leute begreifen das überhaupt nicht, bei geschätzten 150.000 Milliarden USD Gesamtinvestitionen, die benötigt werden. 1,5 x 10 exp. 14.”

        Die meisten Leute schalten bei großen Zahlen sofort geistig ab und haben nicht einmal eine Vorstellung davon, ob die Größenordnung plausibel ist oder ob da Million/Milliarde/Billion/Trillion verwechselt wurde, was ja beim Hin- und Herüberstzen öfters mal passiert.

        150000 Milliarden Investitionsbedarf für den Green-New-Deal finde ich schon eher großzügig angesetzt, oder ist das die Kostenschätzung für die Woke-Luxusversion mit energetischer Komplettsanierung des kompletten amerikanischen Gebäudebestands in den nächsten 10 Jahren, so wie es AOC und ihre linksidentitäre Feministinnen-“Squad” ernsthaft gefordert hatten?

      • Richard Ott
        Richard Ott sagte:

        @Seuchenvogel

        “Sorry ich hatte mich verlesen. Ich hatte gelesen, die USA mussten 4000 Milliarden Zinsen zahlen, als die Zinsen bei 15% waren.”

        Nein, nein, damals war die Staatsschuldenquote der USA ungefähr bei 30%. Da waren 15% Zinsen auch schon unangenehm, aber immer noch beherrschbar.

        https://fred.stlouisfed.org/series/GFDEGDQ188S

      • jobi
        jobi sagte:

        @ Seuchenvogel, Gnomae, Ott

        Entscheidend ist, dass bereits heute trotz rekordtiefer Zinsen, die verpflichtenden Ausgaben des Staates 15% über den Einnahmen liegen.

        Ein strukturelles Problem, das bei sinkendem Output und steigenden Sozialausgaben eine jährlich steigende Neuverschuldung erfordert.

        Drunken Uncle Sam bleibt nur eine Wahl: devalue or default.

    • Jacques
      Jacques sagte:

      Also erst wird über den Realzins diskutiert und dann über die Nominalzinsen der Treasuries?
      Damals hatte die USA zweistellige Inflationsraten, insofern scheinen Zinsen von 15% zwar hoch, aber bei einer Inflation von 13% ist das eben gerade mal +2% Realzins.

      Wir hatten hier doch schon mehrmals diskutiert, dass die Zinslast in den Staatshaushalten seit 20 Jahren sukzessive abgenommen hat und das trotz der immens gestiegenen Staatsverschuldung. Mindestens 30% der Euroländerschulden liegen bei der EZB und sind damit real nicht existent. Man zahlt die Zinsen an die nationale Zentralbank, welche den Gewinn wieder an die Regierung ausschüttet. Frankreich hat also keine Verschuldung von 120%, sondern 84%. Nach Jahren des Nullzins ist der Großteil der Schulden wrs langfristig mit Niedrigzins refinanziert.

      Die EZB wird wohl oder übel umsteuern müssen wenn die Inflation nicht “transitory” ist.
      Ich denke die Banken werden lobbymäßig den größten Druck ausüben. Denn eine kaputte europäische Bankenlandschaft kann die EZB nicht tolerieren und gegen den Kapitalmarkt kommt auch die EZB langfristig nicht an.

      Antworten
  5. weico
    weico sagte:

    “Das erkläre auch, weswegen gegenwärtig keine anhaltende hohe Inflation drohe, trotz steigender Energiepreise und nach oben angepasster Inflationsziele der Notenbanken in den USA und dem Euroraum.”

    Ob die Inflation anhalten wird, zeigt die Zukunft.

    Zurzeit sieht es, in Deutschland, so aus:
    “Die Inflationsrate steigt auf 4,1 Prozent und ist damit die höchste seit 28 Jahren. Preise für Energie, Lebensmittel und Dienstleistungen schießen in die Höhe. Vor allem im Energiesektor wird es für Verbraucher teurer.”

    https://www.welt.de/wirtschaft/article234379942/Inflation-in-Deutschland-Preise-fuer-Energie-Lebensmittel-und-Dienstleistung-steigen-an.html

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