In der Falle billigen Geldes und hoher Schulden

Adair Turner, ehemaliger Chef der britischen Finanzmarktaufsicht und Vorsitzender der Denkfabrik Institute for New Economic Thinking, hat wohl am besten erkannt, in was für einer Krise wir uns befinden und auch die einzig mögliche Lösung in die Diskussion gebracht: die Monetarisierung über die Notenbankbilanz. Seither präsentiert er diese Lösung auf allen Kanälen. Hier in einem sehr interessanten Interview mit der NZZ:

  • „Die Finanzbranche hat sich in zwei Punkten verbessert. Die tiefer liegenden Probleme des Kapitalismus sind hingegen nicht gelöst. Erstens sind die gesellschaftlich nutzlosen Aktivitäten geringer geworden. (…) Zweitens,: das Finanzsystem insgesamt ist widerstandsfähiger geworden. Wir haben jetzt viel höhere Kapitalanforderungen für die Banken und bei Handelsaktivitäten. Der Derivatehandel läuft über zentrale Gegenparteien. Wir haben die Wahrscheinlichkeit einer grossen Krise im Finanzsystem verringert. Es kann natürlich erneut in 20 Jahren passieren, wenn wir all die Lehren wieder vergessen haben.“ – bto: Das würde ich anders sehen, weil der Leverage insgesamt deutlich zugenommen hat.
  • „Ich würde höhere Kapitalanforderungen für die Banken einführen. Eine Kapitalquote von 20% würde gut funktionieren. Ich würde auch verstärkt makroprudenzielle Instrumente einsetzen, um Kreditbooms, vor allem im Immobilienbereich, zu dämpfen. Es reicht nicht aus, sich auf die Veränderung von Leitzinsen zu verlassen. Der Schutz vor den makroökonomischen Folgen von Kreditzyklen müsste im Vordergrund stehen und nicht der Schutz der Finanzstabilität.“ – bto: Das sehe ich ebenfalls so. Es bedarf einer weiteren Krise, bis so etwas umgesetzt wird.
  • „Ein Bankensystem kann die Stabilität auf zwei verschiedene Arten lädieren: Erstens, es geht bankrott, und der Steuerzahler muss einschreiten. Zweitens kann auch das Problem auftauchen, dass das Kreditvolumen und die Preise von Vermögenswerten stark zulegen. Dies kann zu einem Crash führen und in der Folge zu einer Rezession. Selbst wenn keine Bank bankrottgeht, besteht die Möglichkeit einer Überschuldung in einer Gesellschaft.“ – bto: Und genau in einer solchen Lage befinden sich immer noch zu große Teile der Weltwirtschaft.
  • „Man muss misstrauisch gegenüber der Meinung sein, dass die nächste Finanzkrise wie die vorangegangene aussehen wird. Man kann aber sagen, dass die Vergangenheit uns lehrt, woher die grössten Probleme für ein Finanzsystem kommen. Grob gesagt: Steigende Immobilienkredite und -preise sind nicht nur Teil der Geschichte, sondern 90 % der Geschichte von Finanzkrisen. Es ist aus diesem Grund vernünftig, zu sagen, dass die nächsten Probleme wieder im Immobilienbereich auftauchen könnten. Deshalb sind makroprudenzielle Instrumente eine gute Sache.“ – bto: Ich könnte mir aber denken, dass es nicht nur die Immobilienmärkte Münchens, Torontos und Sydneys sind, die in eine Krise stürzen. Dazu ist der Leverage im System zu hoch.
  • Zur Bilanzrezession die bekannte Erkenntnis nochmals: „Wenn wir eine Entschuldung in einem Bereich schaffen, erhöht sich die Verschuldung anderswo. In manchen Industriestaaten wurden die privaten Schulden abgebaut, was zu einer geringeren Gesamtnachfrage führte, die von staatlichen Ausgaben wieder stimuliert wurde. Dadurch erhöhten sich die öffentlichen Schulden. Die Entschuldung im Privatsektor in den Vereinigten Staaten im Jahr 2009 liess die chinesischen Behörden sagen, dass dies eine Bedrohung für das exportgetriebene Wirtschaftsmodell sei. Um die Wirtschaft am Laufen zu halten, wurde in China ein Kreditboom entfacht. Das Verhältnis Schulden zu Wirtschaftsaktivität auf internationaler Ebene blieb aber insgesamt nicht gleich über die Jahre, sondern verschlechterte sich.“ – bto: die globale Schuldenparty.
  • „Die deutsche Wirtschaft ist abhängig von Schulden, aber von Schulden im Ausland für ihre Exporte. Wenn man für längere Zeit einen grossen Leistungsbilanzüberschuss hat, muss man sich fragen, wie nachhaltig die Nachfrage in den Importländern ist. Dazu muss man sich auch die finanzielle Situation anschauen. Ohne diesen enormen chinesischen Kreditboom hätte es kein deutsches Exportwunder gegeben.“ – bto: Hinzu kommt noch, dass wir unser Geld den schlechten Schuldnern leihen.
  • „Wir befinden uns in einer Art Falle. Wir brauchen niedrige Zinsen wegen des Schuldenüberhangs, die niedrigen Zinsen führen aber auch dazu, dass sich die Leute mehr verschulden. Das ist ein fundamentales Problem.“ – bto: Der Beton soll das Fundament des Schuldenturmes stabilisieren, gleichzeitig bauen wir oben noch neue Stockwerke dazu. Das ist der Wahnsinn.
  • „Ich habe den für manche Leute schockierenden Vorschlag gemacht, Haushaltsdefizite von den Zentralbanken finanzieren zu lassen, um genügend Nachfrage zu stimulieren. Ob man dies mag oder nicht, es ist genau das, was die Japaner machen. Die japanische Zentralbank kauft weiterhin japanische Staatsanleihen. Der Staat hat hohe Haushaltsdefizite. In 20 Jahren werden wir sagen, das war eine permanente monetäre Finanzierung.“ – bto: Das sagen wir doch schon heute. Wobei Japan damit nicht aus der Krise gekommen ist.
  • „Es ist aber meine Überzeugung, dass es im Jahr 2009 besser gewesen wäre, eine monetär finanzierte Fiskalpolitik zu betreiben; besser als die Politik des Aufkaufs von Anleihen («quantitative easing») durch die Notenbanken, was vor allem die Preise der Vermögenswerte steigen liess. Dies ist gut für die bereits Wohlhabenden, die dann vielleicht mehr ausgeben.“ – bto: und schafft damit erhebliche soziale Spannungen.
  • „Eine permanente monetäre Finanzierung ist aber wohl aufgrund der politischen Ökonomie innerhalb der Euro-Zone unmöglich. Vor allem die Verteilungsfrage – welches Land gewinnt, und welches Land verliert – ist hinderlich. In diesem Umfeld wäre die Kunst des Möglichen gefragt. Man könnte in die Nähe einer Monetarisierung rücken, ohne das deutsche Bundesverfassungsgericht auf den Plan zu rufen. Dies wäre eine Art Juncker-Plan für Infrastrukturausgaben, finanziert von der Europäischen Investitionsbank (EIB). Die Europäische Zentralbank kauft dann diese Anleihen der EIB. Das könnte etwas sein, was nicht eine Millionen Meilen von einer Monetarisierung entfernt ist. In 3 bis 4 Jahren könnte über solche Optionen wieder diskutiert werden.“ – bto: Und ich denke, dass es schon früher so weit ist; sobald die nächste Rezession da ist.
  • „Was in den letzten 30 Jahren passiert ist, ist vor allem ein signifikanter Anstieg der Ungleichheit. (…) Bis vor 5 bis 10 Jahren war eine Arroganz der globalen Elite Es hiess, dass Globalisierung, Migration, freier Kapitalverkehr und technischer Fortschritt für alle gut sei. Langfristig würden alle profitieren. Aber die lange Frist kann sehr lange sein. Wir haben nicht genug berücksichtigt, dass es in diesem Prozess Gewinner und Verlierer gibt.“ – bto: wozu natürlich das Geldsystem und die Notenbanken einen erheblichen Beitrag geleistet haben.
  • „Wir werden aber wohl in Zukunft mehr Einkommen aus Bodenrenten Aber auch aus Renten, die durch den Besitz von Netzwerkeffekten wie bei Google oder Facebook erzielt werden. In diesem Umfeld müssen wir darauf schauen, nicht nur den Faktor Arbeit zu besteuern. Bin ich der Überzeugung, dass das Problem hoher Immobilienpreise in London mit einer Bodenwertsteuer gelöst werden soll, damit die Preise fallen? Nein. Dies würde wieder die Steuerbasis verringern. Aber könnte die Steuerbelastung für Boden in Grossbritannien progressiver ausgestaltet werden? Ja. Für manche ist eine radikale Lösung für eine perfekte Welt reizvoll. Man sollte aber die Imperfektionen erkennen und schrittweise in die richtige Richtung gehen.“ – bto: Da haben wir sie wieder, die Immobiliensteuer. Dabei ist klar, dass ein Kollaps der Vermögenspreise in Folge der Steuer zu einer echten Krise führen kann.

Turner hat in diesem Interview die Monetarisierung erneut als eine Möglichkeit der eleganten Lösung für das Problem der Überschuldung positioniert. Ich sehe das bekanntlich genauso. Alle Alternativen sind verglichen damit noch verheerender.

NZZ: “Wir befinden uns in einer Falle billigen Geldes und hoher Schulden‘”, 17. November 2017

Kommentare (19) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Dietmar Tischer
    Dietmar Tischer sagte:

    Adair Turner vertritt einen hohen Anspruch als Vorsitzender des Institute for New Economic Thinking.

    Er muss sich daran messen lassen (Referenz ist für mich das verlinkte Interview in der NZZ)

    Das bezieht sich auf

    a) Die URSACHE/N der Krise

    > … Es wurde besser (durch Regulierung) … Die tiefer liegenden Probleme des Kapitalismus sind hingegen nicht gelöst … Die grundlegenden Probleme, die geholfen haben, dass die Kreditrisiken zunehmen, sind noch nicht angegangen worden …>

    Heißt:

    An permanent zunehmender Verschuldung hat sich nichts geändert, wenn auch durch Regulierung die Krisenanfälligkeit verringert wurde.

    … Ich bin der Überzeugung, im Gegensatz zu vielen anderen, dass eine hohe Einwanderung erhebliche Auswirkungen auf die Löhne im Zielland haben kann. Besonders in den Vereinigten Staaten hatte auch die Öffnung für chinesische Importe grosse Effekte.>

    Heißt:

    Globalisierung ist ein wichtiger und daher mitentscheidender Faktor durch Auswirkungen auf die Löhne in den Zielländern mit entwickelten Volkswirtschaften.

    >Die grösste Veränderung ist aber Technologie. Moderne Technologien haben ein grosses Potenzial an negativen Verteilungswirkungen…. Es ist ein Auseinandergehen zwischen den Möglichkeiten für Leute mit niedrigen und mittleren Einkommen sowie jenen für die Bezieher von höheren Einkommen. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass dies der wichtigste Faktor ist.>

    Heißt (in meiner Zuspitzung):

    Die durch Technologie im Kapitalismus erreichte hohe Produktivität sorgt dafür, dass die Einkommenserzielung zum PROBLEM wird. Denn ein solcher Kapitalismus braucht nicht mehr alle Menschen für die hinreichende Güterproduktion (und möglicherweise zukünftig auch für die Bereitstellung von Dienstleistungen), was – von Turner übersprungen – Arbeitslosigkeit bedeutet; und bei denen, die er noch braucht, bewirkt dieser Kapitalismus eine Einkommensdifferenzierung.

    Zu beachten:

    Nach dieser Problembestimmung ist die Einkommensdifferenzierung URSÄCHLICH technologisch bedingt und NICHT auf der Vermögensverteilung beruhend. Dass diese auch eine Rolle spielt, ist für Turner keine Frage wie er am Beispiel steigender Bodenpreise in den Metropolen darlegt (Technologieparadoxon). Die Vermögensverteilung ist für ihn ein AKZEPTANZPROBLEM im jetzigen Kapitalismus.

    Fazit (in meiner Auslegung):

    Der Kapitalismus hat sich seine Probleme durch hohe EFFIZIENZ, d. h. durch sein technologisch getriebenes Leistungsvermögen, und durch hohe EFFEKTIVITÄT, d. h. durch seine im globalen Kontext marktwirtschaftlich betriebene Ressourcenallokation mit der Folge hoher Einkommensdifferenzierung selbst geschaffen, d. h. die Probleme sind tiefliegend SYSTEMIMMANENT.

    Die Folgen ist der ENTZUG von Partizipationsmöglichkeiten für Nicht- bzw. Geringverdiener und der Gefahr sozialer Destabilisierung.

    Deshalb KOMPENSATION durch den Mechanismus der Geldschöpfung im zweistufigen Bankensystem mit dem ERGEBNIS zunehmender GESAMTVERSCHULDUNG.

    b) LÖSUNGEN nach Turner

    >Es ist aber nicht klar, ob dieser Schuldenüberhang tragbar ist, wenn wir zu einem «normalen» Zinsniveau gehen. Wir befinden uns in einer Art Falle. Wir brauchen niedrige Zinsen wegen des Schuldenüberhangs, die niedrigen Zinsen führen aber auch dazu, dass sich die Leute mehr verschulden. Das ist ein fundamentales Problem….

    Die BISHER betriebene Lösung dieses Problems:
    >Wenn wir eine Entschuldung in einem Bereich schaffen, erhöht sich die Verschuldung anderswo. In manchen Industriestaaten wurden die privaten Schulden abgebaut, was zu einer geringeren Gesamtnachfrage führte, die von staatlichen Ausgaben wieder stimuliert wurde. Dadurch erhöhten sich die öffentlichen Schulden.>

    Das ist – im Prinzip jedenfalls – ein Nullsummenspiel.

    Es ist damit aber keine Systemstatik verbunden, sondern:

    >Das Verhältnis Schulden zu Wirtschaftsaktivität auf internationaler Ebene blieb aber insgesamt nicht gleich über die Jahre, sondern verschlechterte sich.>

    Was tun?

    Turner:

    >Ich habe den für manche Leute schockierenden Vorschlag gemacht, Haushaltsdefizite von den Zentralbanken finanzieren zu lassen, um genügend Nachfrage zu stimulieren.>

    Fazit:

    Damit wird BEIDES erreicht, nämlich sowohl die Verhinderung von Staatsbankrott wegen Überschuldung wie auch Nachfrage generiert, um durch Beschäftigungseffekte und Einkommenserzielung die Partizipationsmöglichkeiten vieler Menschen zu erhöhen.

    Zu fragen ist:

    a) Warum beschränkt Turner den „schockierenden Vorschlag“ der Finanzierung von Haushaltsdefiziten auf den Staat, wenn das Verschuldungsproblem auch die Privathaushalte betrifft? Die Advokaten eines Bürgergelds, wie hier M. Stöcker, sind das KONSEQUENTER als Turner, der natürlich die grundsätzlichen Probleme sieht:

    >Das grosse Argument gegen die monetäre Finanzierung ist, dass die Politiker es immer machen werden, und nicht nur zu einer angemessenen Zeit in einem angemessenen Umfang.>

    Es ist nicht nur ein Argument, sondern in der Tat ein GROSSES, d. h. eines, dass niemand vom Tisch wischen kann.

    b) hat Turner mit seiner oder einer durch Bürgergeld erweiterten Finanzierung der Nachfrage durch die Zentralbanken damit das seiner Meinung nach TIEFER liegende Problem UNGEBREMST eingesetzter Technologie im Kapitalismus gelöst?

    Das hat er nicht.

    Wenn man sich damit auseinandersetzt, werden die Vorschläge möglicherweise noch SCHOCKIERENDER.

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  2. MFK
    MFK sagte:

    Koo, den man wohl als Vordenker der Monetarisierung der japanischen Staatsschulden bezeichnen kann, hat bsw in seinem Buch The Holy Grail of Macro Economics unter der Stichwort Balance Sheet Rezession sehr gut die japanische Situation beschrieben. Das Platzen der Asset Blase hat dazu geführt, dass sowohl Private als auch Unternehmen ihre Verbindlichkeiten abbauen mussten. Dies konnte nur der Staat durch Mehrausgaben kompensieren da ansonsten zwangsläufig eine Abwärtsspirale der Wirtschaft einsetzt. Koo schreibt weiter, dass dieses Trauma der japanischen Manager so tief sitzt, dass diese sogar noch nach weitgehendem Abbau der Verschuldung sehr vorsichtig mit neuer Verschuldung umgehen. Koo sieht eine vergleichbare Situation in Spanien. So einfach ist das Ganze allerdings auch nicht, ansonsten wäre Zimbabwe oder Venezuela florierende Länder. Es muss eine leistungsfähige Wirtschaft vorhanden sein, die Private und Unternehmen in die Lage versetzt, Verbindlichkeiten abzubauen. Der Staat darf zudem nicht so stark verschuldet sein, dass das Vertrauen in die Währung verloren geht. Und nein, die Notenbank braucht nicht auf Linie gebracht werden, weil es keine unabhängigen Notenbanken gibt. Mal sehen, was in Japan passiert, wenn Chinas Wachstum erlahmt und die japanische Wirtschaft unter Druck gerät.

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    • 123
      123 sagte:

      Herr Koo (Taiwanese) sagt auch, daß der Staat als Nachfrager einspringen muß, wenn Privat und Gewerbe infolge Schuldenabbaus dazu nicht in der Lage sind.

      So geht es nun in Japan schon seit über 25 Jahren, neue Wirtschaftsmächte, an die man damals noch gar nicht dachte (China, zukünftig Indien) sind neu aufgestiegen, aber daß nun Privat und Gewerbe beginnen, den inzwischen latent überschuldeten Staat zu entschulden ist nicht absehbar.

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  3. Markus
    Markus sagte:

    “Bin ich der Überzeugung, dass das Problem hoher Immobilienpreise in London mit einer Bodenwertsteuer gelöst werden soll, damit die Preise fallen?”

    Lustig… laut dem Autor dieser (britischen) Seite (und der Kommentatoren, die sich dort tummeln), ist das Fallen der Immobilienpreise sehr sehr wahrscheinlich politisch _nicht_ gewollt (sondern eher das Gegenteil).

    https://notayesmanseconomics.wordpress.com/

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  4. 失われた20年
    失われた20年 sagte:

    Null- und Niedrigzinspolitik ist eine politisch- monetäre Machttechnik zur Erhaltung der Sozialstruktur der Gesellschaft und Erfüllung aller sozialen Verpflichtungen (Rente, Krankenversicherung) trotz effektivem wirtschaftlichen Nullwachstums (Teuerungsrate = Inflationsrate) durch steigende Verschuldung, die vorläufig durch Nullzinsen finanzierbar bleibt.

    Der Preis dafür ist ein Abrutschen in die wirtschaftliche Mittelmäßigkeit bzw. Bedeutungslosigkeit, so wie es aktuell an einzelnen europäischen Staaten sichtbar wird.

    Beispielsweise gab es früher italienische Unternehmen von Weltgeltung, Fiat, Olivetti, Pirelli etc., einen italienischen Film und Popmusik mit internationalem Erfolg, italienische (Schuh-)Mode etc.

    Heute bewerben sich 10.000 junge Italiener für 100 ausgeschriebene Arbeitsplätze bei der Polizei.

    Wie man sich letztlich mit seinen Anlagen aufstellen muß, um trotzdem zu den Gewinnern zu zählen kann man an der japanischen Kapitalmarktgeschichte der vergangenen 25 Jahre studieren.

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    • Wolfgang Selig
      Wolfgang Selig sagte:

      Tja, woran liegt es denn in Italien nach Ihrer Meinung? An der Demographie? Der Politik? Den Unternehmern? Den asiatischen Wettbewerbern? Oder doch an der Geldpolitik? Aber die ist erst nach dem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit unseriös geworden.

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      • 失われた20年
        失われた20年 sagte:

        M. E. liegen die wirtschaftlichen Probleme in Europa heute vor allen Dingen an der unüberlegt eingeführten Einheitswährung Euro.

        Den Scheinwohlstand im Rahmen der Euro – Konvergenzphantasie ab 1995 sowie nach der Euro – Einführung bis 2007 muß heute und noch lange in Zukunft bitter bezahlt werden. Es ist bereits eine verlorene junge Generation entstanden und viele sind aus den wirtschaftsschwachen Regionen abgewandert, was die Probleme dort zusätzlich verschärfen wird.

        Die Einheitswährung Euro entspringt der Gedankenwelt der 80er Jahre, als man so etwas wie die “Vereinigten Staaten von Europa” den damals wirtschaftlich führenden Nationen USA und Japan entgegenstellen wollte.

        Das ist heute – nun ist China zweitgrößte Wirtschaftsnation und wird in absehbarer Zeit die USA übertreffen – völlig überholt.

        Eine schwache Währung mit entsprechend hohen Zinsen ist auch so etwas wie ein Schutz für eine einfachere nationale Wirtschaft. Letztlich ist der Euro heute nur Politikergeld, weil diese die Staatsverschuldung damit bedeutend ausweiten können ohne den Leuten reinen Wein einzuschenken.

    • Dietmar Tischer
      Dietmar Tischer sagte:

      @ 失われた20年

      >M. E. liegen die wirtschaftlichen Probleme in Europa heute vor allen Dingen an der unüberlegt eingeführten Einheitswährung Euro.>

      Es sind ZUSÄTZLICHE Probleme, die sich sehr lähmend für einzelne Staaten auswirken.

      Die Probleme, die Länder schon vor der Bildung der Eurozone hatten, würden m. A. n. im Wesentlichen auch ohne Eurozone weiterbestanden haben.

      Anpassung mit der Abwertung einer eigenen Währung ist zwar sozialverträglicher als interne Anpassung ohne Abwertung, macht jedoch die betreffende Wirtschaft nicht per se wettbewerbsfähiger.

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    • Wolfgang Selig
      Wolfgang Selig sagte:

      Am Vorwurf gegenüber dem Euro ist m.E. schon etwas dran. Aber ich denke, Sie verwechseln Ursache und Wirkung. Der Scheinboom beruht wirklich auf dem Euro, aber genau deswegen wurde er m.E. doch von den meisten Politikern eingeführt. Der große Neidfaktor bei den Europäern, v.a. in Frankreich, war immer der Petrodollar. Grüne Scheine drucken und damit für das eigene Wahlvolk Waren importieren, die man aus eigener Wirtschaftskraft in dem Umfang nicht zahlen könnte. Das hat schon was. Das Problem ist nur, dass dem Euro die wichtigste Eigenschaft des Petrodollar fehlt: der abschreckende große Militärapparat und die Bereitschaft, diesen gegen Petrodollarflüchtlinge sofort einzusetzen. Beispiele muss ich wohl in diesem Kreis nicht nennen.

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  5. Enka Latineg
    Enka Latineg sagte:

    Was hat das nun für Immobiliebesitzer zu bedeuten?
    Froh sein und auf dem Mietshaus sitzenbleiben, zuschauen, wie es immer mehr wert wird, oder jetzt die Notbremse ziehen und in andere Sachwerte umschichten, bevor das (Preis-)Gebäude kollabiert?

    Antworten
    • Contracta
      Contracta sagte:

      Vorläufig war Teil des gesuchten Wirtschaftswachstums Zinsanleger ins Betongold zu treiben. Wohin das mittelfristig führen wird, läßt sich an den Immobilienmärkten Südeuropas studieren.

      Bedauerlich dabei ist dieses Mal, daß es gerade die wirtschaftsstarken Länder Europas sind, in denen aktuell die größten Immobilienpreisblasen herrschen teilweise mit Vollfinanzierung und entsprechendem Risiko für das jeweilige nationale Bankensystem. Die Absenkung des allgemeinen Zinsniveaus nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 war sozusagen der letzte Joker, um einen letzten Scheinwohlstand durch Aufwertungsgewinne über gestiegene Kapitalisierungsfaktoren quasi “aus dem Nichts” zu schaffen.

      Siehe dazu die einst zu Baugeldzinsen von 5% und mehr finanzierten Immobilien in Südeuropa, die heute zu Baugeldzinsen um 1% und für einen Bruchteil der einstigen Anschaffungskosten keinen Käufer finden.

      Das in diesem Zusammenhang oft vorgebrachte Argument, daß Immobilien in Städten sicher sind muß man im Rückblick zur Lage 30 bis 40 Jahre zuvor mit hoher Arbeitslosigkeit sehen (z. B. New York), die sich zukünftig auch wieder einstellen kann.

      Die einstigen Steuersparimmobilien in Ostdeutschland erreichen heute, nach über 20 Jahren und allmählich sanierungsbedürftig gerade ihren früheren Kaufpreis – nun in wertloserem Geld – wieder als Wert.

      Antworten
      • Wolfgang Selig
        Wolfgang Selig sagte:

        Zustimmung. Deswegen habe ich auch von einer guten Lage gesprochen. Und das durchaus das Logistikzentrum am Rand von Halle sein, das bessere Perspektiven aufzeigt als die vom Onlineversand bedrohte textile Einzelhandelsfläche in der Mitte von Hamburg.

    • Wolfgang Selig
      Wolfgang Selig sagte:

      @Enka Latineg: ich würde aktuell als Immobilieneigentümer den Portfolioanteil der Immobilien mit der Empfehlung von Herrn Dr. Stelter abgleichen. Wenn Sie 25 % oder weniger Prozente des freien Vermögens in Immobilien in guter Lage investiert haben, würde ich sie behalten. Wenn es mehr ist, würde ich jetzt schon die Quote bis auf rd. 25 % abbauen. Die Immobilienpreise sind durch die Zinssenkungen gesunken; die Zeiten weiterer Zinssenkungen sind wohl erst mal vorbei. Dabei würde ich allerdings das selbstgenutzte Wohneigentum anders behandeln und nicht in die Quote einrechnen.

      Antworten
      • MFK
        MFK sagte:

        Ein Klumpenrisiko ist meistens schlecht, allerdings, wenn man nur ein Mietshaus hat, dürfte es schwer fallen, den Immobilienanteil des Portfolios auf 25% abzubauen. Das ginge nur über Umwandlung in ETWs und Verkauf eines Teils. Dies ist aber aufwändig und rechtlich nicht ganz unproblematisch. Das Problem dürfte sein, in welche assets, die noch nicht überbewertet sind, man den Erlös umschichtet. Cash zu halten ist auch nicht unproblematisch.

      • Wolfgang Selig
        Wolfgang Selig sagte:

        Ich sehe kein Problem, den Anteil bei einem Mietshaus abzubauen. Teilungserklärung durchziehen und ausreichend neu geschaffene Eigentumswohnungen einzeln verkaufen. Natürlich ist es besser, wenn man über ein üppiges Immobilienportfolio mit einer drei- oder gar vierstelligen Zahl von Objekten hat, aber das Problem dürften wenigstens Blogger hier haben… Ich zumindest habe es nicht.^^

  6. foxxly
    foxxly sagte:

    mittlerweile sollte jeden klar sein, dass wir systembetdingt niemals aus den schulden rauskommen. weil das geld den banken gehört, ist jeder erfolg und zuwachs automatisch mehr schulden. deshalb kann es nur eine lösung geben, indem das geld Allen gehört und niemals einer institution. das schuldgeldsystem ist ein gewollter systemfehler. die banken dürfen keine geschäfte machen, weil sie das geld dazu selbst drucken.

    Antworten
  7. Johannes
    Johannes sagte:

    Aus dem verlinkten Artikel. Die Umsetzung der Monetarisierung bedarf nach Turner einer Art von Täuschung:

    “Der japanische Fall ist interessant, weil man etwas macht, ohne der Welt zu sagen, dass man es macht. Das ist vielleicht ein Weg, um dieses «Moral hazard»-Problem zu umgehen, das Sie ansprechen. Das grosse Argument gegen die monetäre Finanzierung ist, dass die Politiker es immer machen werden, und nicht nur zu einer angemessenen Zeit in einem angemessenen Umfang. Vielleicht braucht es eine Art Täuschung.”

    Diesen Überlegungen zur “Vorraussetzung” einer “erfolgreichen” Monetarisierung kann ich nicht viel abgewinnen. Klar, Japan macht es aktuell und kommt mit durch. Und wir werden womöglich die Monetatisierung in Japan erleben Aber auch dies setzt ein “auf Linie bringen” der Notenbank voraus. Abe hat dies wohl geschaffft:

    “Der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe hat die japanische Notenbank jetzt ganz auf seinen Kurs der extremen geldpolitischen Expansion gebracht. Im geldpolitischen Rat sind Kritiker bei Abgängen jeweils durch linientreue Mitglieder ersetzt worden.”

    https://www.nzz.ch/wirtschaft/geldpolitik-abe-bringt-die-bank-von-japan-komplett-auf-kurs-ld.1287577

    Aber alle relevanten Notenbanken zugleich und/oder zeitlich gestaffelt? Und alles soll unter dem Radar bleiben? Und wie sähe das “Auf Linie bringen” in Europa aus?

    Ich sehe viele Unwägbarkeiten bei dem Vorhaben der Monetarisieung. Abgesehen von dem Risiko der Dauermonetarisierung… Wirtschaft und Politik werden sich vermutlich schnell an diese Form der “Rettung” gewöhnen.

    Antworten
    • asisi1
      asisi1 sagte:

      japan ist mit uns absolut nicht vergleichbar.
      japan hat keine Millionen von zudringlingen und keine ausländischen Verbrecherbanden, so wie bei uns. außerdem hat japan nicht die Diktatur von Brüssel, wo viel geld für unsinnige Verordnungen draufgehen. die kommenden jahre werden uns noch Abermillionen Flüchtlinge beglücken, die nie für uns etwas produktives leisten werden.

      Antworten
      • Johannes
        Johannes sagte:

        “japan ist mit uns absolut nicht vergleichbar.”

        Stimmt – einen Vergleich mit Japan habe ich aber auch nicht vorgenommen ;-)

        Anhand des BEISPIELS von Japan habe ich verschiedene Fragen aufgeworfen.

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