Greece’s brutal creditors have demolished the eurozone project

Ich schätze die Analysen von Wolfgang Münchau sehr. Aber nicht immer seine politische Position. Sowohl in seinem Beitrag für SPIEGEL ONLINE wie auch in der FT unterstellt er der deutschen Politik Umsturzpläne für Griechenland und den Wunsch, Europa zu dominieren. Wörtlich:

  • „Die Bundesregierung hat an einem einzigen Wochenende siebzig Jahre Nachkriegsdiplomatie zunichte gemacht. Der Vorschlag eines vorübergehenden Austritts von Griechenland als Druckmittel während des Marathongipfels vom Wochenende war am Ende der Hebel für eine Kapitulation Griechenlands. Wolfgang Schäubles Taktik hatte einen großen Sieg errungen – ganz im Sinne von Carl von Clausewitz, der die Diplomatie als die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln verstand. Was am Wochenende in Brüssel passierte, war die Rückkehr Europas zurück zu Machtgefügen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, in denen der Stärkere dem Schwächeren seinen Willen aufzwang.“ – bto: Das finde ich ziemlich starken Tobak und halte es für Quatsch. Es war eine harte Verhandlungsposition, die nur so a) die gute Verhandlungsposition der Griechen kompensierte, b) innenpolitisch verkauft werden kann.
  • „Deutschland stellt mit seiner Diplomatie sicher, dass das jetzt beschlossene Griechenland-Programm keinesfalls funktionieren wird. Der von den Franzosen in den vergangenen Wochen ausgehandelte Kompromiss hätte den entscheidenden Vorteil gehabt, dass die Syriza-Regierung die inhaltliche Obhut übernommen hätte. Es war schließlich ihr Programm.“ – bto: Das ausgehandelte Programm hätte genauso in eine dauerhafte Transferunion geführt. Die nutzt – siehe die italienische Währungsunion zwischen Nord- und Süditalien – beiden Seiten nichts. Zudem löst es die Überschuldungssituation nicht.
  • „Es war nebenbei auch der Anfang vom Ende der Währungsunion. Sie ist zu einem festen System mit gemeinsamem Zahlungsmittel und ohne gemeinsamer Politik degradiert.“ – bto: Das sehe ich auch so.

In der FT ist er dann fundierter und technisch präziser. Auch hier kommt die allgemeine Kritik an Deutschland, die ich bedauere, weil es eben nicht so einfach stimmt, dass Deutschland der „Eurogewinner“ ist. Wie oft betont.

  • Ohne politische Ambition – die jetzt nach Münchau weggefallen ist – wird die Existenz der Eurozone auf ein rein ökonomisches Projekt beschränkt. Die Länder und Völker werden sich fragen, ob es sich für sie lohnt. – bto: Und die Antwort wird immer mehr „nein“ sein, weil wir jetzt die Kosten für die Party bezahlen müssen, die der Euro in den ersten sieben Jahren ermöglicht hat.
  • Der Euro hat laut Münchau nur für Deutschland, Holland und Österreich funktioniert.
  • Für Italien war es ein Desaster, das zu einer langen Phase der ökonomischen Stagnation geführt hat. Für Finnland geht es auch nicht mehr, seit mit dem Niedergang von Nokia das ganze Land leidet. Portugal und Spanien sind ebenfalls Wackelkandidaten. Frankreich ging es anfangs noch gut, doch jetzt mehren sich auch die Probleme.

Nur eine Frage der Zeit, bis irgendjemand austreten will. – bto: stimmt.

Ambrose Evans-Pritchard vom Telegraph stößt wenig überraschend in das gleiche Horn. Ein Leser hat mich mal gefragt, weshalb ausgerechnet die Angelsachsen fordern, dass wir bezahlen. Denke ein wesentlicher Grund ist, dass sie nicht zahlen müssen. Dennoch kommt AEP mit einer interessanten Beobachtung. Eigentlich hätte Schäuble am ehesten als ein Europäer gehandelt und den Griechen eine echte Alternative zur Depression auf Dauer geboten: “In an odd way, the only European politician who was really offering Greece a way out of the impasse was Wolfgang Schauble, the German finance minister, even if his offer was made in a graceless fashion, almost in the form of diktat. His plan for a five-year velvet withdrawal from EMU – a euphemism, since he really meant Grexit – with Paris Club debt relief, humanitarian help, and a package of growth measures, might allow Greece to regain competitiveness under the drachma in an orderly way. Such a formula would imply intervention by the ECB to stabilise the drachma, preventing an overshoot and dangerous downward spiral. It would certainly have been better than the atrocious document that Mr Tsipras must now take back to Athens.” Das stimmt.

SPIEGEL ONLINE: Schäubles Griechenland-Diplomatie: Europas Rückfall, 13. Juli 2015

→ FT (Anmeldung erforderlich): Greece’s brutal creditors have demolished the eurozone project, 13. Juli 2015

→ The Telegraph: Greece is being treated like a hostile occupied state, 13. Juli 2015