Globalisierung und Migration trifft die untere Mittelschicht

Ich betrachte Migration bei bto konsequent aus dem ökonomischen Blickwinkel. Stimmt es, dass Migration einen wirtschaftlichen Gewinn bedeutet? Sind die Migranten ausreichend qualifiziert? Kann die aufnehmende Gesellschaft im Falle von Migration in das Sozialsystem die Lasten stemmen. Das ist hier der Fokus. Andere Punkte, wie beispielsweise die humanitären Ziele bleiben außen vor. Lediglich die Frage nach Aufwand/Nutzen-Relation ist für meine Betrachtung im Fokus.

Deshalb bringe ich an dieser Stelle auch das Interview mit Branko Milanovic aus der NZZ. Er wirft die durchaus berechtigte Frage auf, ob die Globalisierung ein Gewinn ist und für wen. Eng damit verbunden ist auch die Frage nach den Folgen von Migration:

  • “Es gibt viele Gründe, weshalb Ungleichheit manchmal – nicht immer – zum Problem wird. So zeigt sich immer deutlicher, dass hohe Ungleichheit schlecht ist für das Wachstum. Sie mindert die soziale Kohäsion. Das führt zu Instabilität, Kriminalität und anderen sozialen Problemen. Ein grosser Teil der Einwohner des Landes können nicht mehr teilhaben am Wachstum, etwa weil sie nicht zur Schule gehen. Das senkt das Wachstum pro Kopf.” – bto: Das ist dann aber schon das Problem extremer Ungleichheit, weit schlimmer als bei uns beispielsweise.
  • “In Ländern mit sehr tiefer Ungleichheit – etwa in sozialistischen Staaten – ist es offenkundig, dass aus Anreizgründen mehr Ungleichheit nötig ist. Das gilt auch für China, wo früher im Prinzip alle Menschen gleich waren, also gleich arm. Ohne mehr Ungleichheit wäre Chinas radikale Transformation nie möglich gewesen. Nun stellt sich aber die Frage, ob nicht irgendwann ein Punkt erreicht ist, ab dem die Ungleichheit negativ wirkt. Ich denke an die USA, vielleicht auch Grossbritannien.” – bto: Auch das leuchtet natürlich ein. Wir brauchen einen Mittelweg und dieser Logik kann man sich nicht verschließen.
  • “Die meisten Leute erachten Chancengleichheit als erstrebenswert. Anders als beim Einkommen oder Vermögen kann man bei den Chancen argumentieren, dass jede Ungleichheit schlecht ist. Nun haben aber Länder mit sehr ungleicher Einkommens- oder Vermögensverteilung auch eine geringe Chancengleichheit. Die Ungleichheit wird dadurch von Generation zu Generation weitergereicht, von den Eltern zu den Kindern. Das untergräbt die wünschenswerten Eigenschaften einer guten Gesellschaft.” – bto: Bei uns wird es durch den Niedergang des Schulsystems verstärkt. Nichts ist ungerechter als der Verfall der öffentlichen Bildung. Vor allem der Niedergang der Leistung ist fatal.
  • “Untersuchungen etwa aus den USA, Deutschland und Frankreich zeigen, dass Reiche einen stärkeren Einfluss auf den politischen Prozess haben. Zum einen wählen sie öfter als arme Menschen. Zum anderen – und dies ist weit wichtiger – sind Reiche in der Lage, politische Parteien und Kandidaten zu finanzieren. Über die Finanzierung gewinnen sie überproportionalen Einfluss auf die Politik. Ich will nicht behaupten, dass auf diese Weise die Politiker ‘gekauft’ werden. Durchaus wahrscheinlich ist aber, dass Kandidaten ihre Meinung den Präferenzen der reichen Elite anpassen, um ihre Finanzierung sicherzustellen.” – bto: angesichts der wohlstandsvernichtenden Politik hierzulande und dem Aufschwung der Grünen fällt es mir schwer, diesen Punkt mit Blick auf Deutschland zu glauben.
  • Asiens Mittelschicht, vor allem jene in China und Indien (…) hat enorm profitiert von der jüngsten Globalisierung. In China kam es zu einem beispiellosen Wachstum um jährlich rund 8 % während vier Jahrzehnten. Weder China noch Indien verfolgten dabei den Pfad eines exportorientierten Wachstums, wie dies früher etwa in Südkorea zu beobachten gewesen war. Denn die technologische Entwicklung ermöglichte erstmals eine Entbündelung der physischen Produktion. (…) Entstanden ist eine neue globale Mittelklasse.” – bto: Und das ist doch unstrittig eine gute Nachricht!
  • Zwangsläufige Verlierer: “Die untere Mittelschicht westlicher Industrienationen, vor allem in den USA und Westeuropa. Deren Einkommen sind kaum vom Fleck gekommen.” – bto: Das muss so sein. Der Lohndruck musste besonders in dieser Personengruppe einsetzen.
  • “Weil die Produktion einfach verschoben werden kann, werden ausländische Arbeiter, die weit niedrigere Löhne erhalten, zu Substituten für Inländer. Zudem führt der technische Fortschritt dazu, dass heimische Routinearbeiten maschinell ausgeführt werden. Leute, die primär ihre Arbeitskraft anbieten, können also ersetzt werden entweder durch Maschinen oder durch arme Menschen, die zu einem tieferen Lohn arbeiten. Ein grosser Anteil der westlichen Bevölkerung wird in den kommenden fünfzig Jahren mit diesem Nachteil ringen.” – bto: weshalb man a) mehr soziale Spannungen bekommt und b) keine Zuwanderung haben sollte, die diesen Personenkreis vergrößert!
  • “(…) selbst wenn die Anpassung gelingt und die Leute entweder eine hochqualifizierte Stelle haben oder eine nichthandelbare Dienstleistung anbieten, führt dies zu einer Polarisierung der Gesellschaft. Die soziale Kohäsion ist in Gefahr. Das Malaise vieler Menschen im Westen ist nicht eingebildet, sondern ein Resultat der Globalisierung.” – bto: Und die Politik verdrängt das Problem, statt es zu lösen. Lieber diskutieren wir Gender-Themen.
  • “In einer globalisierten Welt mit freiem Verkehr von Arbeit und Kapital wird der Raum für Wirtschaftspolitik eng. Es droht die Impotenz heimischer Politik. (Die Politik) sollte die Politik (…) auf einen Kapitalismus mit gleichen Ausstattungen hinarbeiten (…) bei dem die persönliche Ausstattung bezüglich Ausbildung und Vermögen auf ähnlichem Niveau liegt. (…) Vermieden werden könnte aber eine grössere Umverteilung durch den Staat, weil das Ausbildungsniveau, die Kapitalausstattung und somit auch das Markteinkommen der Menschen ähnlich wären.” – bto: Das klingt in der Theorie vernünftig.
  • “Erstens müsste Chancengleichheit hergestellt werden, und zwar durch Erbschaftssteuern. Zweitens müsste der Zugang zu guter und öffentlicher Ausbildung für jedermann gewährleistet sein. Und drittens müsste es der Mittelklasse vereinfacht werden, zu Besitzern von Finanzkapital zu werden, etwa durch Mitarbeiteraktien. Namentlich was den Zugang zu guten Schulen angeht, ist es heute für Angehörige der amerikanischen Mittelklasse ja fast unmöglich, ihre Kinder an Top-Universitäten, die extrem teuer sind, zu schicken. Das Problem zeigt sich zusehends auch in Europa.” – bto: weil bei uns eine Politik der konsequenten Leistungsstandard-Senkung betrieben wird! In Hessen werden gerade die Schulnoten abgeschafft!
  • “Mit einer konsistent liberalen Position kann man den Verkehr von Kapital nicht anders behandeln als den Verkehr von Arbeit. Man kann nicht die Freizügigkeit des einen Produktionsfaktors begrüssen, nicht aber jene des anderen. (…) Eine kohärent liberale Position gerät in einer globalisierten Welt daher an Grenzen. Ich denke sogar, dass die liberale Position nicht für eine Zeit der Globalisierung durchdacht worden ist. Sie basiert – zumindest implizit – auf dem Nationalstaat. Und wenn man diesen Staat öffnet, kommt eine dritte Dimension hinzu, mit der sich die liberale Position schwertut.” – bto: Es kommt zu Wanderungsbewegungen von Menschen in die Regionen, in denen die großzügigsten Leistungen aus dem Umverteilungstopf locken. Banal aber richtig!
  • “Ich sehe die Gefahr zweier Extremlösungen: Die erste ist die ‘Festung Europa’ oder ‘Festung USA’, bei der die Staaten zum Schluss kommen, niemanden mehr aufnehmen zu können, und daher die Grenzen schliessen. Das wäre schlecht für alle. Die zweite ist die Idee völlig offener Grenzen, was politisch inakzeptabel ist. Ziel muss es nun sein, zwischen diesen zwei Extremen ein Optimum zu finden. Daher plädiere ich dafür, dass Migranten nur begrenzte Bürgerrechte erhalten, etwa befristete Aufenthaltsbewilligungen oder einen limitierten Zugang zu Sozialleistungen. (…) Ja, es ist eine Diskriminierung. Doch damit ist beiden Seiten gedient. Auch wenn ein Migrant zum Beispiel nur fünf Jahre in der Schweiz arbeiten dürfte, hätte er in dieser Zeit viel gelernt, viel Geld verdient und wäre letztlich besser dran.” – bto: Ich erinnere (ungern) an die unglaubliche Diskussion zum Thema Kindergeldzahlungen ins Ausland bei hartaberfair. Wer das gehört hat, kann nur feststellen, dass unsere Politiker in der Veruntreuung hiesiger Steuergelder ihre eigentliche Aufgabe sehen.

→ nzz.ch: “Migranten sollten nur begrenzte Bürgerrechte erhalten”, 31. Januar 2019