Glauben wir wirklich, dass der Kauf be­stimmter Wert­papiere die rela­tiven Preise verändert?

Dieser Artikel von Braunberger in der F.A.Z. wurde auf Twitter von den einschlägigen Ökonomen und Journalisten kritisiert:

Quelle: Twitter

Was für eine Motivation für mich, ihn hier zu besprechen:

  • “William Nordhaus ein Träger des Alfred-Nobel-Gedächtnispreises für Wirtschaftswissenschaften (hat folgende) drei wichtigsten Thesen zum Klimawandel lauteten: Erstens ist im Weltmaßstab ein deutlicher Rückgang der Kohlendioxidemissionen nicht beobachtbar. Zweitens besteht die nachhaltigste Möglichkeit, die Emissionen zu verringern, in einer deutlichen Erhöhung ihres Preises. Dies ist eine Aufgabe von Regierungen, wobei Nordhaus sowohl die Ausgabe von Emissionszertifikaten wie die Einführung einer CO2-Steuer für ein praktikables Verfahren hält. Drittens funktioniert diese Politik im Weltmaßstab nicht gut, weil Länder, die sich nicht an einer Reduzierung der Emissionen beteiligen, keine Nachteile fürchten müssen. Ökonomen bezeichnen so eine Situation als Schwarzfahrerproblem.” – bto: Das Schwarzfahrerproblem wird umso größer, je erheblicher die Kosten für den Klimaschutz sind.
  • “(…) der Klimawandel könne für die Geldpolitik ein Thema sein, weil er die langfristige wirtschaftliche Entwicklung beeinflussen mag – ebenso wie Pandemien, die Demographie sowie die Verbreitung von Robotern und Künstlicher Intelligenz. Die Bekämpfung des Klimawandels sei aber die Aufgabe von Regierungen. Das unterstreicht Bundesbankpräsident Jens Weidmann: ‘Klimapolitik ist Sache von gewählten Regierungen und Parlamenten. Sie verfügen über die geeigneten Instrumente wie Steuern auf den Ausstoß von Kohlendioxid oder einen Emissionshandel.’” – bto: Bekanntlich sehe ich das genauso. Die ganze Diskussion zur Rolle der EZB findet nur deshalb statt, um einen Vorwand zur direkten Staatsfinanzierung zu liefern.
  • Das reicht EZB-Präsidentin Christine Lagarde nicht. (….) In ihren einleitenden Bemerkungen zur EZB-Konferenz betonte Lagarde, der Klimawandel sei ‘eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft’; schon deswegen könne die Geldpolitik nicht ausgespart bleiben. So könnten Wetterereignisse wie Überflutungen, Wirbelstürme und Brände die wirtschaftliche Unsicherheit vergrößern und schwer vorhersehbare kurzfristige Veränderungen der Wirtschaftsleistung wie der Inflationsrate erzeugen. Und damit, so Lagarde, werde der Klimawandel auch zu einem wichtigen Thema für die Geldpolitik.” – bto: Es wird zum entscheidenden Grund, um die Geldschleusen zu öffnen und die “grünen” Bonds der EU zu kaufen. Oh, man.
  • “Die Unabhängigkeit von Zentralbanken beruht auf der auch empirisch gestützten Überzeugung, dass eine stabile Währung wirtschaftlich vorteilhaft für ein Gemeinwesen ist, diese Stabilität aber eher durch eine unabhängige Institution gewährleistet werden kann als durch an ihrer Wiederwahl interessierte Politiker.” – bto: Das ist der entscheidende Punkt gegen die MMT, da diese zwar korrekt beschreibt, wie es technisch geht, die politischen Implikationen aber übersieht.
  • “Daraus leitet sich noch keine aktive Rolle der Geldpolitik in der Bekämpfung des Klimawandels ab. Befürworter einer solchen Politik verweisen auf die gesetzliche Grundlage der EZB. Demnach ist die Zentralbank verpflichtet, die ‘allgemeine Wirtschaftspolitik’ in der Europäischen Union zu unterstützen, solange dies nicht im Widerspruch zu ihrem vorrangigen Ziel, der Sicherheit der Preisstabilität, steht. Die Befürworter einer ‘grünen Geldpolitik’ betonen, dass der ‘Umweltschutz und die Verbesserung der Umweltqualität’ im Vertrag ausdrücklich als Ziel genannt wird. Das stimmt, aber neben dem Umweltschutz werden dort unter anderem auch die Förderung des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts, die Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung und Diskriminierung, die Gleichstellung von Mann und Frau, die Solidarität zwischen den Generationen und der Schutz der Rechte des Kindes angeführt.” – bto: Und was bedeutet denn unterstützen? Finanzieren? So wird das sicherlich von den Südländern interpretiert, weshalb es brillant war von Macron, Christine Lagarde durchzusetzen (und zugleich mit von der Leyen das typisch deutsche Gegenstück. Letztere für eine Politik der EU zuerst und Deutschland zuletzt).
  • “Argumente für eine aktive ‘grüne Geldpolitik’, die auch eine Bevorzugung sogenannter ‘grüner Anleihen’ in Kaufprogrammen vorsieht, sind in unterschiedlicher Güte vorhanden. Am extremsten kommt eine pseudo-religiös verpackte Beschwörung der Apokalypse daher. Nach dieser Vorstellung droht der Menschheit durch den Klimawandel der Untergang, was drastische Maßnahmen rechtfertigt, deren gesetzliche Grundlage allenfalls von Kleingeistern hinterfragt wird. Die Frage, ob eine ‘grüne Geldpolitik’ mit dem Auftrag der EZB vereinbar ist, stellt sich dann nicht, weil es nach dieser Lesart Aufgabe der EZB ist, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um den Untergang der Menschheit zu verhindern. Sinnvoll diskutieren lässt sich mit Vertretern einer solchen Auffassung in aller Regel nicht.” – bto: Dazu dürften hierzulande aber gut 25 Prozent der Bevölkerung zählen, bei der Jugend über 50. Folge einer jahrelangen Dauerkampagne, gekoppelt mit geringem technischen und nicht existentem wirtschaftlichen Verständnis.
  • “Lagarde benutzt das Bild permanent drohender Risiken für Wirtschaft und Geldwertstabilität, um eine sehr aktive Geldpolitik zu befürworten. (…) Aber wie Nobelpreisträger Nordhaus zurecht bemerkt, droht nicht nur der Klimawandel das wirtschaftliche Umfeld zu verändern, sondern zum Beispiel auch der demographische Wandel und die Ausbreitung Künstlicher Intelligenz. Und erst recht folgt aus der vorausschauenden Analyse künftiger, aber schwer kalkulierbarer wirtschaftlicher Risiken nicht die Notwendigkeit, schon heute mit konkreter Politik zu reagieren.” – bto: keineswegs und schon gar nicht mit dem Ziel, die bestehende Wirtschaftsordnung zu unterminieren.
  • “Wer so argumentiert, der müsste wie erwähnt eigentlich neben eigens auf den Klimawandel gerichteten Anleihekaufprogrammen auch solche Programme befürworten, die speziell auf den demographischen Wandel oder auf die Ankunft Künstlicher Intelligenz zugeschneidert sind. Das tut aber niemand. Die auffällige Betonung der Bedeutung des Klimawandels für den Geldwert durch EZB-Präsidentin Lagarde und das EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel ist ein wenig zu dick aufgetragen.” – bto: Braunberger wird ja Polemik vorgeworfen. Also ich finde das hier noch sehr zurückhaltend formuliert. In Wahrheit ist es ein Märchen.
  • Manche Befürworter ‘grüner Geldpolitik’ sagen, sie sei etwas Besonderes und dringend Notwendiges, weil sie das Versagen von Regierungen ausbügeln müsse. Wer Nordhaus zuhört, wird diesem Befund nicht widersprechen wollen. Die Verteuerung durch Emissionszertifikate oder CO2-Steuern, die einen Rückgang der Emissionen beschleunigen könnte, kommt nicht recht voran, weil einzelne Staaten zwar etwas unternehmen, viele andere aber nicht. Aber folgt aus dem Versagen von Regierungen automatisch die Effizienz einer ‘grünen Geldpolitik’?” – bto: natürlich nicht. Wie auch? Sie kann ohnehin nur wirken, wenn sie Staaten finanziert.
  • “Die Förderung (vermeintlich) ökologisch wertvoller Anleihen durch Zentralbanken wird mit einer Lenkungswirkung begründet: Mit solchen Anleihekäufen verbesserten sich die Finanzierungsbedingungen für die Emittenten ‘grüner Anleihen’.” – bto: Und wer gibt die demnächst in Billionenhöhe aus? Genau …
  • “Nicht nur der Frankfurter Finanzprofessor Jan Krahnen hat Zweifel an einem solch vereinfachten Denken. ‘Glauben wir wirklich, dass an einem global integrierten Kapitalmarkt der Kauf bestimmter Wertpapiere die relativen Preise verändert? Das erscheint mir mehr ‘wishful thinking’ als ökonomisches Denken’, schreibt Krahnen auf Twitter. Zudem: Welche Anreize haben Regierungen, Klimapolitik zu betreiben, wenn sich Zentralbanken nun auch noch für diese Disziplin als zuständig erklären?” – bto: Würde Braunberger mir auf Twitter oder diesem Blog folgen, hätte er ähnliche Argumente gelesen und gehört.
  • “Aber auch mit dieser Argumentation lassen sich die Befürworter ‘grüner Geldpolitik’ nicht entmutigen. Sie halten entgegen: Selbst wenn Regierungen eine aktivere Rolle in der Klimapolitik spielten, müssten die Zentralbanken aktiv werden, weil die Marktpreise für Anleihen die segensreichen Wirkungen ‘grüner Anleihen’ für die Menschheit nicht korrekt widerspiegelten. Daher müssten die Zentralbanken durch Käufe ‘grüner Anleihen’ die ‘richtigen’ Preise herbeiführen. Hinter solchen Vorstellungen verbirgt sich eine durch nichts gerechtfertigte Anmaßung von Wissen. Wie bestimmen sich die angeblich ‘richtigen’ Preise für solche Anleihen?” – bto: Es ist ein weiteres Beispiel für das planwirtschaftliche Denken, das immer mehr um sich greift. Und was geschieht, wenn Krahnen recht behält und Käufe ‘grüner Anleihen’ durch die EZB nicht ausreichen, um die Preise im gewünschten Umfang zu verändern? Muss die EZB dann mit weiteren Käufen nachlegen, um die beabsichtigte Lenkungswirkung ihrer Interventionen zu erreichen?
  • “(…) Naivität geziemt sich nicht. Aus guten Absichten folgt nicht zwingend gute Politik, und hinter guten Absichten mögen sich hinterfragbare Gedanken verbergen. Die Zentralbanken, und das gilt bei weitem nicht nur für die EZB, befinden sich in einer Ära, in der sie ihre Mandate zunehmend ausgreifend interpretieren und in der geldpolitische Instrumente, die ehemals nur für Sonderfälle vorgesehen waren, zum Standard zu werden drohen. (…) die meisten Ökonomen werden sie aus gutem Grund nur als ein vorübergehendes Instrument in Krisen ansehen, dessen Wirksamkeit nicht überschätzt werden sollte.” – bto: Wenn man aber ein übergeordnetes Ziel – die Rettung der Welt – vorbringen kann, was sollte noch ernsthaft dagegen sprechen?
  • “Geldpolitik darf sich aber nicht abhängig machen von den Partikularinteressen einzelner Gruppen – seien es Regierungen, seien es (teils in der Öffentlichkeit aggressiv auftretende) Finanzanalysten und Fondsmanager oder seien es Emittenten ‘grüner Anleihen’. Man sollte Lagarde und Schnabel nicht die Ernsthaftigkeit absprechen, mit der sie ihr grünes Anliegen vortragen. Aber eine Zentralbank ist keine Regierung.” – bto: eine, wie ich finde, in Summe sehr zurückhaltende Einordnung. Wer das als polemisch ansieht, fühlt sich wohl eher ertappt.

faz.net (Anmeldung erforderlich): „Wie Lagarde mit „grüner Geldpolitik“ das Klima retten will“, 25. Oktober 2020