Gerichtliche Klima-Apo­ka­lyptik?

In der vergangenen Woche habe ich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz kritisiert. Es zeichne ein verstörend statisches, vor allem technikfeindliches Bild unserer höchsten Richter und passe zu einem immer planwirtschaftlicheren Vorgehen der politischen Akteure.

Klimaschutz­gesetz: Wir brauchen Effizienz statt Plan­wirtschaft

Wie erwartet hat es auf meinem Blog aber auch bei LinkedIn heftige Diskussionen und natürlich Kritik gegeben. Ich hätte das Urteil nicht gelesen und würde nur Stimmung machen etc.

Deshalb heute der Hinweis auf einen Beitrag in der WELT, der zeitgleich erschien und viel besser, als ich das je vermocht hätte, den ganzen Irrsinn aufzeigt. Die Highlights:

  • “Die Greta-Bewegung verlangt (…) eine radikale Wissenschaftsorientierung der Politik. Mit Abstrichen war die Corona-Politik ein Vorgeschmack darauf, dass dieses Verständnis sicher geglaubte, verfassungsgeschützte Freiheiten rasch infrage stellen kann. In dieser Hinsicht war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Klimapolitik epochal. Das gilt auch auf der Sachebene, mehr aber noch aufgrund seiner semantischen und logischen Akzentsetzungen.” – bto: Es ist in der Tat jetzt so, dass das Klima Verfassungsrang hat.
  • “Wer jetzt von Freiheit spricht wie zuvor, könnte nach dem Urteil geradezu als verfassungsfern erscheinen. Die neue Klimabewegung sagt, in mehr oder minder scharfer Form, dass viele Lebensbereiche, die heute noch mehrheitlich als privat begriffen werden, im ‘Lichte der Wissenschaft’ politisch gedeckelt gehörten: Reisen, Heizen, Essen. Kohlenstoffintensive Lebensstile, mit anderen Worten. Und die ganze Industrie drum herum. Die Freiheit nicht nur der Mobilität, sondern auch des Eigentums, der Berufswahl, der kreativen Forschung steht zur Debatte.” – bto: Und dies ist, was es so bedenklich macht. Durch die Auflage, Einsparungen zu planen, legt das Gericht sich auf diesen Verzichtskurs fest, wie auch ich kritisiert habe.
  • “Diese Frage ist damit, ganz im Sinne von Fridays for Future und Extinction Rebellion, nicht mehr an Mehrheiten gebunden, nicht daran etwa, dass es zunehmend auch mehrheitsfähige konkrete Angebote für alternative Lebens- und Produktionsweisen gäbe. Sondern (genau) diese Frist ist nun deshalb als nötig festgemacht, weil die Erwärmungsprognosen der Klimawissenschaft die CO2-Notbremse sachzwangartig verlangten.” – bto: So ist es. Es ist eine höchstrichterliche Festlegung auf die Verzichtskultur und eine Abkehr von einer Innovationskultur.
  • “Das Gericht hebt zwei Verkürzungen der Klimadebatte auf eine höhere, nämlich die Verfassungsebene: Das ist, erstens, die angesichts technischer Innovation womöglich zu rigide Vorstellung vom CO2 als Umweltgift und, zweitens, die moralische Verdammung CO2 emittierender Verhaltensweisen (nicht also etwa von Steuerpolitiken, die das CO2 viel zu billig sein lassen).” – bto: Es ist damit – ich wiederhole mich – ein zutiefst innovationsskeptisches, um nicht zu sagen -feindliches Urteil.
  • “Der Anspruch des Bundesgerichtes, die Widersprüche von Klima- und Freiheitsschutz mit einem simplen definitorischen Trick zu lösen, indem es Klimaschutz und Freiheit zu einem gemeinsamen Problemfeld definiert, wirkt aus historischer Perspektive naiv, vielleicht sogar anmaßend. (…) Die eindeutige Argumentation liefert dann auch gleich die eindeutige Lösung mit: weg von den Emissionen. Das Gericht schreibt en passant auch das Zieldatum der deutschen Netto-Null (2050) als unumkehrbar notwendig fest (…) Damit entkoppelt es dieses Datum auch von Korrekturen. Was an der Argumentation darüber hinaus epochal aufregend ist, das ist ihre ganz eigenartige Apokalyptik: eine höchstrichterliche Apokalyptik der drohenden Endzeit der Freiheit. So verdoppelt sich der apokalyptisch stimulierte Handlungsdruck gewissermaßen, statt dass er auf zwei Säulen verlagert würde.” – bto: Und es ist auch völlig unverständlich, dass dies bei allen anderen intertemporalen Themen von Rente bis Eurorettung keine Rolle spielt.
  • “‘Künftig’, so sagt der erörternde Text aus Karlsruhe, ‘können selbst gravierende Freiheitseinbußen zum Schutz des Klimas verhältnismäßig und verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein’. Die Extinction Rebellion fordert genau dies, allerdings für sofort und weniger im Sinne der Freiheit, sondern der Umwelt. Der Panikmodus der Politik hat nicht nur eine Leitplanke verloren, stattdessen gibt es nun Rückenwind. Zur Abwehr der dystopischen Zukunft hilft demnach die wohltemperierte, aber unerbittliche Abgewöhnung umweltschädlicher Verhaltensweisen. Die nennt Karlsruhe nicht beim Namen, sondern spricht allgemein von ‘mit CO2-Emissionen verbundenen Lebensweise[n]’.” – bto: Es gibt also ein oberstes Ziel: keine CO2-Emissionen. Dabei gibt es andere technische Möglichkeiten und es ist klar, dass in diesen die Lösung liegen wird.
  • “Das Urteil begünstigt eine radikale Vereindeutigung wissenschaftlich wie politisch bislang streitbarer Konzepte wie desjenigen von festen nationalen CO2-Budgets. Als gäbe es einen Kuchen, der unabänderlich schrumpfe und nach eindeutigen Gerechtigkeitsüberlegungen zu verteilen sei. Das klingt im Juristinnendeutsch so: ‘Durch die in Paragraf 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit Anlage 2 geregelten Emissionsmengen würde das vom Sachverständigenrat für Umweltfragen auf der Grundlage der Schätzungen des IPCC ermittelte Restbudget bis zum Jahr 2030 weitgehend aufgebraucht.’” – bto: Dabei wissen wir – wie ich auch in meinem Beitrag ausgeführt habe – dass es viel effektiver und effizienter wäre, auf globaler Ebene den CO2-Ausstoß zu senken.
  • “Leider verschließt die logische Verknüpfung von CO2 und Schädlichkeit zumindest semantisch den Blick in eine überraschend andere Zukunft. Der Lösungsbeitrag staatlicher Budgetierung ist überbetont. Wer weiß, in welchen Sektoren Digitalisierung die Globalisierung des Warenhandels wie stark verändern wird? Und wie es gelingen wird, aus CO2 einen Rohstoff zu machen? In Israel sind genveränderte Bakterien erschaffen worden, die CO2 zu Biosprit oder Nahrung umwandeln können sollen. Wer weiß, ob dieser Ansatz im großen Stil ein ‘game changer’ wird. Oder andere. Aber wenn ja, könnte er die Klimabilanzen des Verkehrs- oder Ernährungssektors stark verändern. China, das bis 2060 auch CO2-neutral werden will, baut seine Kohlekraftanlagen mit angeschlossener industrieller CO2-Verwertung.” – bto: Und das sind nur einige Beispiele. Ich hatte schon welche bei bto diskutiert. Es ist in der Tat ein Drama, dass dies ausgeblendet wird.
  • “Die mit der Politik engmaschig verknotete NGO-Landschaft hat zu solchen technischen Lösungen in Europa bereits Nein gesagt. Und wenn Kraftstoffe aus dem CO2 der Luft oder der Industrieanlagen oder aus Plastikmüll gewonnen würden, wäre auch der Verbrennungsmotor wieder klimaneutral.” – bto: und zwar witzigerweise klimaneutraler als das Elektroauto.
  • “Das Plastik der Zukunft wird ebenfalls aus dem CO2 der Luft gemacht. In Leverkusen steht schon eine Pilotanlage. Solche Techniksprünge, in der Breite der Industrie angekommen, hätten gravierende Auswirkungen auf Sektorbilanzen. Vor allem aber bezogen auf die Moral des Reisens oder der Plastiktütennutzung, die das Bundesverfassungsgericht anscheinend für ewig gültig hält. Es gibt gute Gründe, an technischen Lösungen zu zweifeln. Bleiben sie ganz unerwähnt und gar nicht mitgedacht, werden aber auch sie immer mehr aus dem staatsbürgerlichen Diskurs verschwinden.” – bto: Das ist exakt meine Argumentation, schöner formuliert. Das höchste Gericht der noch viertgrößten Industrienation setzt ausschließlich auf Verzicht und staatliche Budgetierung und blendet die Technologie völlig aus!
  • “In vielen Formulierungen des Pressetextes verbergen sich zentrale metaphorische Konzepte der ‘grünen’ politischen Kräfte: das von der Kohlenstoffschuld, den planetaren Grenzen, der globalen CO2-Gerechtigkeit, nationalen CO2-Budgets. Jeder, der diese Konzepte in Parlamentsdebatten und Wissenschaft, in Social Media oder Interviews nicht umstandslos akzeptiert, wird sich künftig womöglich die Frage nach der Verfassungstreue stellen lassen müssen.” – bto: Das gilt dann schon mal für den Autor dieses Beitrages und mich …
  • “Der rigide CO2-Minderungs-Klimapfad ist durch das Urteil zur umwelt- und wirtschaftspolitischen Totalperspektive von Exekutive, Legislative und Jurisdiktion geworden. Das ist eine Revolution der Verfasstheit der Bundesrepublik Deutschland.” – bto: Und die Freiheitsrechte sind damit bereits ausgehebelt.

welt.de: „Die Apokalyptiker von Karlsruhe“, 5. Mai 2021