Gedanken zur Frankreich-Wahl

Was wurde nicht schon alles zur Frankreich-Wahl geschrieben. Und was soll da bto noch Sinnvolles beitragen können? Dennoch ein paar Überlegungen meinerseits. Die Kurzfassung ist so:

  • Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Macron Frankreich wirklich reformiert bekommt.
  • Es ist noch unwahrscheinlicher, dass sich die Hoffnungen der Europäer, die auf mehr Europa und vor allem mehr Umverteilung setzen, erfüllen.
  • Und selbst, wenn ich mich bis hierher irre und es doch passiert, so wird das nicht genügen, um Euro und EU „zu retten“, weil dies nicht an den eigentlichen Problemen ansetzt.
  • Deshalb steigen in den kommenden Jahren die Chancen der „Populisten“, doch noch Wahlen zu gewinnen.

Zunächst zur Erinnerung ein Auszug aus dem Kommentar, den ich an dieser Stelle im September 2015 gebracht habe, nachdem der damalige Wirtschaftsminister Macron in einer Transferunion die Lösung für die Eurokrise sah. Der Telegraph fasste es so zusammen: „(…) over-spending and over-borrowing by the southern countries in the past, now to be ‚written off‘, that is paid for by Germany; over-spending and over-borrowing by the southern peripheral countries now, to be financed by Germany; and over-spending and over-borrowing by the southern peripheral countries in the future, to be paid for by Germany“.

Die weiteren Eckpunkte:

  • Das Wort „Transfer“ klingt so unschuldig, als würde es mal in die eine, mal in die andere Richtung gehen. Die Wahrheit ist, es ging immer von einer in die andere Richtung. Wann hat Neapel jemals Geld nach Mailand geschickt?
  • Frankreich zielt wohl auch auf Hilfe in eigener Sache ab. Längst ist es nur eine Frage der Zeit, wann die Kapitalmärkte realisieren, dass Frankreich im selben Boot wie Spanien, Portugal und Italien sitzt, denn Frankreich weist eine deutlich schlechtere wirtschaftliche Entwicklung als  Deutschland auf und ist aus meiner Sicht zurzeit reformunfähig.
  • Die deutsche Macht wird kritisiert. Die Kritik basiert jedoch nur auf den erheblichen Handelsüberschüssen. Hatten die Franzosen gehofft, die deutsche wirtschaftliche Vormacht mit dem Euro zu brechen, haben sie das Gegenteil erreicht. Während früher die starke Mark einen Ausgleich bewirkte, ist dies im Euro nicht mehr der Fall. – bto: Wie von mir gezeigt, heißt dies jedoch lange nicht, dass wir die Gewinner des Euros sind. Im Gegenteil! → Zehn Gründe, warum wir die Verlierer des Euro sind
  • Die Idee, dass ein weiteres europäisches Sub-Parlament irgendwie besser wäre, als das vorhandene, ist ziemlich naiv. (bto: Dazu dient es auch nicht, es dient dazu, eine klare Mehrheit für die Agenda der Umverteilung zu bekommen.) Zudem würde auch diesem jegliche demokratische Legitimität fehlen.

Der Telegraph damals weiter: „The countries of the eurozone hurtled towards monetary union without adequate forethought and are only now dabbling with ideas about the fiscal and political unions that are necessary to make the euro work. I guess we should not be surprised. After all, this is Europe, the land of dreams. But if things carry on much more like this, it will end up as the land of nightmares.“

Jetzt wo der damalige Minister der neue Präsident ist, blühen die Hoffnungen wieder auf. So schrieb der grüne EU-Abgeordnete Sven Giegold in einem breiten Mailing unter anderem:

  • “Die Nein-Sager aus der CDU bereiten Macron einen rüpelhaften Empfang. Deutsch-französische Freundschaft geht anders. Statt einzelnen Vorschlägen reflexartig eine Absage zu erteilen, sollten wir konstruktiv über gemeinsame Lösungen diskutieren. Die Diskussion über die Eurobonds führt in die Irre. Eurobonds tauchen in den aktuellen Reformvorschlägen von Macron nicht einmal auf. Sie existieren durch die EZB-Politik faktisch schon heute. Ohne die Geldpolitik der EZB wäre der Euro für die wirtschaftlich schwächeren und hoch verschuldeten Mitgliedsländer längst instabil geworden.“ – bto: Da hat er recht. Wobei „instabil geworden“ natürlich schön umschrieben ist für „pleite“.
  • „Wir sollten (…) über einen gemeinsamen Haushalt für die Eurozone sprechen. Ein Eurozonen-Haushalt wäre ein geeignetes Mittel, um gemeinsame Investitionen in Europa voranzubringen und gegen Wirtschaftskrisen gewappnet zu sein.“ – bto: Das ist die Transferunion. Was in Italien seit über 100 Jahren nicht funktioniert, soll nun funktionieren?
  • „Macron hat auch konstruktive Vorschläge zur Demokratisierung der Eurozone und Stärkung des sozialen Zusammenhalts in Europa gemacht.“ – bto: Gemeint ist ein Eurozonen-Parlament, das ja auch Piketty schon lange fordert, um so eine strukturelle Mehrheit für Umverteilung zu bekommen. Wenn, dann müssen wir aber a) Abgeordnete nach Bewohnerzahl haben, und zwar direkt proportional und nicht wie im EU Parlament und b) im EZB-Rat genauso oder nach BIP. Das fordert er irgendwie nicht.
  • „Die Einrichtung eines Euro-Finanzministers ist eine richtige Konsequenz aus der Eurokrise. Ein Euro-Finanzminister würde die dringend benötigte Vertiefung der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Eurozone vorantreiben.“ – bto: am besten ein Franzose.

bto: Es gibt also noch die Erwartung, man könnte die Probleme durch mehr Umverteilung lösen. Leider ist dem nicht so. Wir haben es zu tun mit:

  • einer strukturell fehlenden Wettbewerbsfähigkeit vieler Länder in der Eurozone. Die wird durch mehr Umverteilung verfestigt, nicht gelöst. Siehe Nord- versus Süditalien.
  • einer Überschuldung von Privaten (faule Banken) und Staaten. Daran ändern mehr Transfers nichts. Das geht nur, wenn man die Schulden bereinigt. Wie das geht, habe ich hier x-mal erklärt.
  • einem strukturellen Trend zu geringerem Wachstum aufgrund der demografischen Entwicklung und von Produktivitätszuwächsen. Daran ändert mehr Umverteilung auch nichts.

Ich bleibe bei dieser Meinung, selbst wenn der von mir geschätzte Ambroise Evans Pritchard in das gleiche Horn stößt:

  • “He wants a eurozone finance minister and budget, with joint debt, and a banking union with shared deposit insurance, all legitimized by a new parliament for the currency bloc. It implies a unitary eurozone superstate. This calls Berlin’s bluff. The German elites often argue that they cannot accept such radical proposals as long as other eurozone states scoff at budget rules and fail to put their house in order. Whether Germany’s real motive is to protect its mercantilist interests as a creditor power and run monetary union to suit itself is conveniently never put to the test.” bto: Ich denke, es ist eine völlig falsche Sicht auf unsere Position und setzt zu viel ökonomisches Verständnis bei unserer Regierung voraus.
  • “As French economy minister, Mr Macron was an acerbic critic of the austerity regime imposed on the eurozone by Germany. He decried the current half-way house of an orphan currency with no EMU government to back it up, and argued that was is folly to try to close the North-South gap in competitiveness by imposing all the burden of adjustment on the weakest high-debt states. Such a policy misdiagnoses the cause of the EMU crisis  capital flows, rather than fiscal or moral failure and leads to a deflationary vortex for the whole system.” bto: was inhaltlich stimmt, aber nicht durch mehr Umverteilung gelöst wird.

bto: Und wie immer wird dabei ausgeblendet, dass wir Deutschen bei Weitem nicht die „Reichen“ der Eurozone sind, auch bzw. gerade wegen der falschen Politik, die wir betreiben und den Politikern, die denken, weil wir doch so reich seien, könnten wir doch alles bezahlen …

Ich bleibe überzeugt, so wird man den Euro nicht retten können. Aber man kann ihm Zeit kaufen und den Gesamtschaden finanziell wie politisch vergrößern.

Und dann bleibt das eigentliche Problem, welches für Macron keine Rolle zu spielen scheint, aber in Wirklichkeit über die Zukunft Europas entscheiden wird.

Dies bringt William Hague in einem Kommentar gut auf den Punkt:

  • “But even the eurozone is not the greatest threat to the unity of the EU. The crisis most likely to overwhelm Europe in the coming yearsand bring populist or nationalist leaders like Marine Le Pen to power is an uncontrollable rise in immigration from Africa and the Middle East. The population of these regions is expected to double over the next 
30 years, which will be an increase of over a billion people.” bto: Das kann man wohl sagen.
  • “In the corridors of Brussels and other capitals much time is spent on this issue, but always to find sticking plaster solutions, such as buying Turkish co-operation rather than a long-term strategy.” bto: Besser kann man es nicht sagen!
  • “The tough part is showing that European countries, including the UK, really can control who crosses their borders. That means having the resources and determination to destroy people-smuggling operations and deter people from risking their lives in crowded boats that are not seaworthy. It also means doing even more to integrate migrants who are accepted into the local economy and society – easier to say than to do but now of critical importance in averting future social divisions.” bto: Aussagen, die man bei uns so noch nicht mal offen treffen kann, ohne schwersten Vorwürfen ausgesetzt zu sein.

Deshalb mein Gesamtfazit: Es ist nicht die erhoffte Lösung für unsere Probleme und Marine LePen und Macron haben recht, wenn sie ihr (oder Marianne?) in fünf Jahren gute Chancen geben.

→ The Telegraph: „France’s Macron is wrong to think fiscal union is solution to eurozone’s woes“, 27. September 2015

→ The Telegraph: „Volcanic Macron forces Germany to come clean on its real EU agenda“, 8. Mai 2017

→ The Telegraph: „Emmanuel Macron thinks he can save the EU, but the coming migration crisis might break it first“, 8. Mai 2015