Frühere Schulden­solida­rität soll heutige be­gründen

Nicht nur ich lese die Veröffentlichungen des NBER, auch andere – so die Süddeutsche Zeitung (SZ), um zu zeigen, dass es völlig normal ist, Geld in andere Staaten zu transferieren:
  • “(…) gerade werden in der Corona-Krise weltweit Tausende Milliarden Euro und Dollar eingesetzt (…) Volkswirtschaftsprofessor Christoph Trebesch (hat sich) auf Schuldenkrisen spezialisiert. Seit vielen Jahren arbeitet er dabei mit der Harvard-Koryphäe Carmen Reinhart zusammen, und gemeinsam mit dem Kieler Ökonomen Sebastian Horn haben die drei mehr als 200 Jahre internationaler Finanz-Kooperation und Rettungskredite untersucht, von 1790 bis 2015. ‘Coping with Disasters: Two Centuries of International Official Lending ist soeben beim NBER veröffentlicht worden (…).” – bto: Es ist immer spannend, in die Geschichte zu blicken bei diesen Themen.
  • Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass zwar viel über die Finanzierung von Krisen durch Kredite durch private Investoren berichtet wird, aber wenig über den zweiten, den Markt für zwischenstaatliche Kredite. (…) Jetzt liegen die Informationen erstmals systematisch aufgearbeitet vor, nachdem Horn, Reinhart und Trebesch sich durch Budgetarchive und Vertragssammlungen in aller Welt gewühlt und einen gewaltigen Datensatz zusammengetragen haben. Das Forschungsinteresse lautete: Was fließt an Krediten zwischen Staaten? Wie groß ist das im Verhältnis zu privaten Kapitalflüssen? Die Antwort wird viele überraschen: Die Geldsummen, die sich Staaten untereinander leihen, sind riesig, oft ein Vielfaches dessen, was in privaten Märkten international transferiert wird.“ – bto: Dass dies a) nicht groß bekannt gemacht wird, wundert nicht. b) Dass das jetzt so prominent in den Medien ist, wundert ebenfalls nicht, weil wir ja gerade dabei sind, 135 Milliarden Euro plus x „zu verleihen“ bzw. zu schenken.
  • Rettungspakete wie das für Griechenland in der Euro-Schuldenkrise nach 2010 sind im historischen Vergleich nicht ungewöhnlich, sondern kommen immer wieder vor. Besonders die Transfers in Kriegszeiten und globalen Finanzkrisen sind enorm.”bto: Das verstehe ich jetzt nicht. Haben unsere Politiker und die Medien (auch die SZ!) nicht immer geschrieben, wir hätten damit einen Gewinn gemacht?
  • Eine Grafik in der Studie zeigt das Schuldenvolumen der öffentlichen Hand in jährlichen Säulen. Das Bild hat erste Ausschläge zwischen 1790 und 1815, das war die Zeit der napoleonischen Kriege. Steil nach oben gehen die Säulen der Verschuldung im Ersten Weltkrieg, jährlich auf etwa zwölf Prozent des amerikanischen Bruttosozialprodukts, also der größten Volkswirtschaft der Welt. Ähnlich hoch, aber nicht ganz so gewaltig (zehn Prozent) sind die Zahlen für den Zweiten Weltkrieg.“ – bto: Auf heute übertragen sollte Deutschland dann 350 Milliarden mobilisieren. Da haben wir ja schon rund 50 Prozent aus dem Merkel-Macron-von der Leyen-Plan. Problem: Damals waren die Schulden insgesamt tiefer, wir müssten es also skalieren. Eher 700 bis 1000 Milliarden. Problem ist aber, dass selbst diese Summen nicht ausreichen werden.

Hier übrigens das Chart, was die SZ nur beschreibt:

 

Quelle: NBER

  • Während es im 19. Jahrhundert zwischen den großen Kriegen oder Krisen wieder ruhig wurde an der Schuldenfront, sieht man seit 1945 stetig hohe internationale Transfers von zwei, drei Prozent der jährlichen US-Wirtschaftsleistung, ehe diese sich nach der Finanzkrise 2008/2009 auf etwa fünf Prozent verdoppeln; immer noch sehr viel weniger also als in Weltkriegszeiten.“ – bto: Und da es heute ja um Wiederaufbau geht, darf man schon etwas großzügiger sein. Oder?

Quelle: NBER

  • “(…) Staaten helfen sich gegenseitig mit viel, viel Geld – und ganz besonders übrigens tun sie das in hochintegrierten Räumen wie dem Euro-Gebiet: ‘Das ist vernünftig, sagt Trebesch: ‘Die Probleme der einen werden sonst auch die Probleme der anderen sein.’ Rettungspakete an fremde Staaten hatten schon immer das Ziel, auch die eigene Wirtschaft zu schützen, insbesondere die im Ausland aktiven Exporteure und Banken.“ – bto: Es ist schwer vorstellbar, dass man das ohne Einfordern eines entsprechenden Eigenbeitrags getan hat. Heutzutage ist es aber die Umverteilung von ärmer zu reicher –  was auch aufgrund der Tatsache, dass es sich eben nicht um Kriege, sondern selbst verschuldete Notlagen handelt –, die zumindest etwas aufstößt. Hinzu kommt, dass das Argument der Sicherung eigener Exporte und Banken ebenfalls nicht unproblematisch ist und eine Umverteilung innerhalb des Landes bedeutet.
  • Derzeit haben mehr als 100 Länder beim Internationalen Währungsfonds angeklopft; der hat dafür eine Billion Dollar an Rettungsmitteln zur Verfügung. Aber selbst wenn davon alles bereitgestellt würde, handelt es sich zusammen mit den 750 Milliarden Euro, die die Europäische Union (über mehrere Jahre) zur Verfügung stellen will, um eine im historischen Vergleich nicht ungewöhnliche Summe – zumal völlig offen ist, wie viel Geld am Ende wirklich benötigt werden wird. Man wird wohl höher liegen als in der Finanz- und Euro-Krise nach 2008, aber an die Transfers während der Weltkriege wird man nicht herankommen, denn diese entsprächen heute zwei Billionen Dollar Rettungskrediten – pro Jahr.“ – bto: Nehmen wir fünf Jahre, entspricht das zehn Billionen. In Coronomics schlage ich einen Schuldentilgungsfonds vor, der für die Eurozone in der Größenordnung von acht Billionen liegt. Und das wird auch nötig sein.

Interessant: Die Zombie-Studie des NBER habe ich nicht gefunden in den deutschen Medien. Die Studie zur „Normalität“ von Rettungsgeldern erscheint pünktlich zur ohnehin nicht geführten Diskussion über den Einstieg in die Transferunion.

→ sueddeutsche.de: “Wenn das ganz große Schuldenrad gedreht wird”, 11. Juni 2020