Fratzscher: “Jeder von uns hat von der Geldpolitik und dem Euro profitiert”

Ich bin ein ganz großer Fan von Marcel Fratzscher, wie treue Leser von bto wissen.

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Er hält nicht zu Unrecht eine der Top-Positionen in Ökonomenrankings, sei es in der F.A.Z. oder im Twitter-Ranking von Makronom. Er weiß immer, mit welcher These es ihm gelingt, der öffentlichen Diskussion einen neuen Spin zu geben. So ist er beim Brexit seit Neuestem für ein Ende mit Schrecken, weil die Unsicherheit mehr schadet und der Euroraum und auch Deutschland davon ohnehin nicht tangiert seien. Welcher Konsument kauft schon was, was aus England kommt? Na ja.

Nun springt er – sicherlich nicht ganz seine Ambitionen vergessend, doch noch Bundesbankpräsident zu werden (o. k., das ist nur ein Gerücht, das sicherlich jeder Grundlage entbehrt) – der EZB bei und erklärt in einem Gastbeitrag in der ZEIT, der überall zitiert oder kopiert wird, warum wir alle die Gewinner der EZB-Politik  sind. Und wenn das nicht genügt, weshalb wir ohnehin daran schuld sind. Und das macht er sehr überzeugend unter Verwendung des ganzen Repertoires an Argumenten, die zudem überwiegend zutreffen und auch zu den Kernaussagen von bto gehören. Er beweist nur, dass es die Mischung macht, die letztlich zur gewünschten Message führt. Grund genug, ihm hier in bewährter Tradition ausführlich zu Wort kommen zu lassen:

  • “Gerne lassen die Kritiker der EZB-Geldpolitik unerwähnt, dass 40 Prozent der erwachsenen Deutschen gar kein nennenswertes Vermögen haben. Fast nirgends in den entwickelten Volkswirtschaften gibt es einen so hohen Anteil an Menschen, die nicht sparen und damit auch keine private Altersvorsorge betreiben.” – bto: also, erste wichtige Nachricht: Die tiefen Zinsen treffen ja nur die “Reichen” und wir sollten uns deshalb ohnehin mehr um die Armen kümmern. Das ist ein Luxusproblem und die Leute sollen sich nicht so haben. Bekanntlich denke ich, dass es die wirklich “Reichen” nicht trifft, bzw. diesen sogar hilft. Es trifft aber die Menschen, die eben nicht zu den Top-Ten-Prozent (lassen Sie mich ruhig 20 sagen) gehören, was immerhin immer noch 40, wenn nicht gar 50 Prozent der Menschen hierzulande ausmacht. Jene nämlich, die für sich selbst vorsorgen wollen. Diesen wird es verwehrt und man führt sie in Richtung der 40 Prozent, die schon jetzt nichts haben. Unter anderem auch dadurch, dass gerade in diesem Segment die Abgabenbelastung besonders hoch ist. Also, es ist die Mittelschicht, deren “Verschwinden” der Ökonom an anderer Stelle immer so bedauert. Aber o. k., was schert mich …
  • “Dabei sind die Deutschen nicht nur Sparer, sondern viel häufiger noch Erwerbstätige und damit auf einen sicheren Arbeitsmarkt angewiesen. Die Geldpolitik hat durch niedrige Zinsen ganz entscheidend dazu beigetragen, dass Unternehmen expandieren und dadurch Menschen einstellen und beschäftigen können.” – bto: ganz auf Linie der EZB. Das billige Geld hat Arbeitsplätze erhalten, die sonst verloren gegangen wären. Dazu muss man ausholen: Erstens, ja, das stimmt. Denn die EZB hat eine akute Eurokrise verhindert und dabei den Konsum in Ländern, die hoch verschuldet sind, stabilisiert und ermöglicht, dass weitere Schulden gemacht werden konnten. Für diese neuen Schulden liefern wir weiterhin Waren und erleben einen Boom. Im Gegenzug für unsere Waren bauen wir (zunehmend wertlosere) Forderungen gegen das Ausland auf. Ergo: Wir sind beschäftigt, schaffen aber keinen Wohlstand. Was wiederum bedeutet, dass wir genauso gut mehr Freizeit hätten haben können. Zweitens: Was unerwähnt bleibt, ist, dass die EZB das tun muss, weil die Eurozone eben nicht funktioniert. Es wird die Rettung – die ja bekanntlich keine ist, denn es wird nur Zeit gekauft – gelobt, ohne zu sagen, dass diese Rettung uns gesamthaft viel kostet. Es ist die Illusion von Wohlstand, die hier aufrecht erhalten wird. Das ist so, als würde man einen Nichtschwimmer ins Wasser werfen, um dann die Retter zu loben.
  • “Die gute wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands, die auch der EZB-Geldpolitik zu verdanken ist, hat zu Lohnsteigerungen in fast allen Einkommensschichten in Deutschland geführt.” – bto: Der Schlingel schreibt es so, dass der geneigte Leser denkt: “Ja, genau, nur bei den Niedriglöhnern nicht.” Denn so das auch von Fratzscher gepflegte Vorurteil. Dabei sind in den letzten Jahren gerade in diesem Bereich die Löhne schneller gestiegen als – genau – in der Mittelschicht.
  • “Die EZB-Geldpolitik hat entscheidend dazu beigetragen, dass der Euro stabil und damit auch die Preise für die Konsumenten stabil geblieben sind.” – bto: na ja. Die EZB bekämpft ja offiziell die Deflation. Dazu hat sie den Euro massiv abgewertet. In der Folge wurden alle Güter inklusive Urlaube außerhalb des Euroraumes deutlich teurer. Beispiel: Benzin. In USD gehandelt zahlen wir wegen der Schwäche deutlich mehr. Wir haben also weniger Kaufkraft. Hinzu kommt, dass er die Assetpreisinflation ausblendet. So kann man natürlich betonen, wie stabil doch alles ist. Es ist in Wahrheit ein Verlust an Kaufkraft.
  • “Viele Deutsche sind Steuerzahlende. Diejenigen, die über niedrige Zinsen schimpfen, lassen gerne außer Acht, dass dies dem deutschen Staat jedes Jahr 45 Milliarden Euro durch geringere Zinsausgaben erspart. Dies entlastet den deutschen Steuerzahler und hat es dem Staat in den letzten zehn Jahren erlaubt, die Sozialausgaben deutlich zu erhöhen. Die Abschaffung des Solis, welche knapp zehn Milliarden Euro jährlich kostet, wäre ohne die niedrigen Zinsen nicht möglich.” – bto: Er kann es einfach! Also, der Staat hat die Milliarden an Zinsersparnis für Soziales ausgegeben, was Fratzscher nicht hindert, immer über Ungerechtigkeit zu jammern. Dazu hat er Zinsersparnisse verwendet, die aus der Mitte der Gesellschaft stammen, deren Rückgang Fratzscher immer bedauert. Es gab eine erhebliche Umverteilungswirkung aus der Mitte nach “unten” und gehört angesprochen. Außerdem noch vom Inland in das Ausland. Auch das gehört angesprochen.
  • “Es ist richtig, dass die Krisenländer wie Italien und Spanien noch mehr von der expansiven Geldpolitik profitiert haben als Deutschland. Aber ist es schlimm, wenn anderen, die sich in einer Krise befinden, etwas zugutekommt? Geht es nicht auch um Solidarität, nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern auch innerhalb Europas? Zumal nicht genug betont werden kann, dass auch Deutschland zu den Gewinnern der niedrigen Zinsen zählt.” – bto: Fangen wir hinten an. Nein, nicht “Deutschland” ist Gewinner niedriger Zinsen, sondern bestimmte Bevölkerungsgruppen. Solidarität ist nett, doch wieso von den relativ ärmeren Deutschen zu den relativ reicheren Italienern, Spaniern, etc.? Und vor allem stellt sich die Frage: Wenn billiges Geld so viel bringt, warum macht man es nicht ab sofort so, dass wir Zinsen abschaffen? Offensichtlich erreichen wir das Schlaraffenland durch Money for Nothing. Warum kommen wir erst jetzt darauf?
  • Und jetzt kommt es. Ohnehin sind wir daran schuld! “Wer bisher nicht davon überzeugt ist, dass die Geldpolitik im Interesse aller Deutschen ist, den überzeugt vielleicht dieses Argument: Die niedrigen Zinsen sind nicht primär das Resultat der EZB-Geldpolitik, sondern die Folge des exzessiven Sparens vor allem von uns Deutschen. Denn wie bei allen Gütern gilt: Der Preis des Geldes ist das Resultat von Angebot und Nachfrage.” – bto: oh man. Badewannentheorie. Ich wusste gar nicht, dass man Sparen muss, damit ein anderer einen Kredit bekommt. Aber vermutlich hat Fratzscher noch nicht erkannt, wie Geld in die Welt kommt. Nämlich durch den privaten oder staatlichen Verschuldungsakt. 90 Prozent unseres Geldes schaffen die Banken. Und hier ist es eben nicht die Ersparnis, die die Schulden schafft, sondern die Schulden, die die Ersparnis schaffen. Und wenn man das erkennt, dann weiß man auch, dass unserer Ersparnisse nur das Spiegelbild der weiter steigenden Verschuldung unserer Kunden ist. Die tiefen Zinsen sind nicht die Folge von zu vielen Ersparnissen, sondern von zu vielen Schulden, die nur zu immer tieferen Zinsen überhaupt bedienbar bleiben. Daraus jetzt den Punkt abzuleiten, dass der “Sparer”, der am Ende, nicht am Anfang der Kette steht, der Schuldige ist, ist brillant.
  • “Die deutsche Volkswirtschaft hat eine Nettoersparnis von mehr als sieben Prozent der Wirtschaftsleistung. Dies sind bei rund 240 Milliarden Euro jedes Jahr im Durchschnitt 3.000 Euro pro Kopf oder 12.000 Euro für eine vierköpfige Familie. Wenn wir Bürger und unsere Unternehmen das Geld nicht ausgeben, das Angebot an Ersparnissen also steigt, dann muss zwingendermaßen der Preis des Geldes, also die Zinsen sinken.” – bto: Aber andere haben das Geld doch schon ausgegeben. Deshalb bekommen wir ja die Ersparnis! Und wie legen wir die Forderung an, die wir bekommen? Genau, sehr schlecht, wenn man es extrem sieht, sogar richtig schlecht in Form von TARGET2-Forderungen, die Fratzscher aber für völlig unproblematisch hält. Wahnsinn, was uns hier aufgetischt wird.
  • “Die EZB versucht, mit ihrer Geldpolitik die Preisfindung zwischen Angebot und Nachfrage zu unterstützen und eine Fehlfunktion im Markt zu beheben. Dies heißt im Umkehrschluss auch, dass die Zinsen nur dann wieder steigen werden, wenn die Menschen und Unternehmen in Deutschland mehr investieren und Geld ausgeben und weniger sparen.” – bto: Sorry, aber wenn die tiefen Zinsen die Folge der Ersparnisse sind, dann braucht die EZB gar nichts zu machen. So einfach ist das. Wieso muss sie dann “Preisfindung” machen. Entweder es liegt am Markt, dann macht die EZB nichts von Bedeutung oder es liegt nicht am Markt. Dann aber verzerrt die EZB ihn. Was denn nun?
  • “Deutschland ist nicht Verlierer der Niedrigzinspolitik der EZB, sondern unser Land ist einer der Gewinner. Und nicht nur unser Land, sondern jeder einzelne von uns hat in der einen oder anderen Form von der Geldpolitik und dem Euro profitiert.” – bto: Wer bisher noch zweifelte, wohin Herr Fratzscher will, sieht es erneut. Jetzt wird auch noch als letzter Knaller das Märchen vom Euro-Profiteur Deutschland aufgetischt. Wenn man also bis hierher noch nicht begeistert ist, ob der Argumentation und der Taten der EZB, der muss wegen des Euro dran glauben!

Dazu zur Erinnerung meine Sicht zu den Wirkungen des Euro. Gewinner? Ich bin nicht sicher:

  1. Zu Zeiten der D-Mark stand die deutsche Wirtschaft unter konstantem Aufwertungsdruck. Die Währung der Haupthandelspartner, der französische Franc, die italienische Lira oder auch der US-Dollar werteten in schöner Regelmäßigkeit gegenüber der D-Mark ab. In der Folge war die deutsche Wirtschaft zu anhaltenden Produktivitätszuwächsen gezwungen. So wuchs die Produktivität in den Jahren vor der Euroeinführung deutlich schneller als in der Zeit danach.
  2. In der Folge wuchs das BIP pro Kopf – der entscheidende Indikator für die Entwicklung des Wohlstands – ebenfalls langsamer als vor der Einführung des Euro. Lief die Entwicklung bis zum Jahr 2000 noch halbwegs parallel zur Schweiz – wenn auch auf tieferem Niveau –, so ist Deutschland in den vergangenen Jahren deutlich zurückgefallen.
  3. Die deutschen Konsumenten haben bis zur Einführung des Euro von den Abwertungen der anderen Länder profitiert. Importierte Waren und Urlaube wurden billiger. Seit dem Jahr 2000 hat sich dies geändert. Die Importe wurden teurer, und Gleiches gilt für den Urlaub. Damit sank die Kaufkraft des Durchschnittsdeutschen.
  4. In den ersten Jahren nach der Einführung des Euro waren die Zinsen für die heutigen Krisenländer zu tief und für Deutschland zu hoch. Die Rezession in Deutschland war deshalb tiefer und länger, als sie ohne den Euro gewesen wäre. Die Regierung war gezwungen, Ausgaben zu kürzen und die Arbeitsmarktreformen durchzuführen, die zu geringeren Löhnen in Deutschland führten. In Summe stagnierten die Einkommen der Durchschnittsbürger mehr als zehn Jahre lang.
  5. Die stagnierenden Löhne führten zu geringeren Steuereinnahmen, während die Exporte zulegten. Somit hat der Euro es Deutschland nicht „erlaubt“, Handelsüberschüsse zu erzielen. Der Euro hat diese erzwungen. Die geringe Binnennachfrage ist der Hauptgrund dafür, dass die Wirtschaft sich auf den Export konzentrierte.
  6. Die Eigentümer der exportorientierten Unternehmen profitierten von der Euroeinführung. Bei den börsennotierten Unternehmen sind dies überwiegend ausländische Investoren. Profiteure sind auch die Beschäftigten der Exportunternehmen, die zwar geringe Lohnzuwächse hatten, dafür aber einen Arbeitsplatz. Aber zugleich gingen auf den Binnenmarkt ausgerichtete Arbeitsplätze verloren und das Lohnniveau stagnierte insgesamt.
  7. Aufgrund der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung nach der Einführung des Euro, den gedämpften Steuereinnahmen und anhaltend hohen Kosten für Sozialleistungen und den Aufbau Ost ging die Politik dazu über, die Ausgaben für Investitionen zu kürzen. Die Folge ist ein erheblicher Instandhaltungsstau bei der hiesigen Infrastruktur von mindestens 120 Milliarden Euro.
  8. Ein Handelsüberschuss geht immer mit einem Ersparnisüberschuss einher. Dies führte zu einem enormen Kapitalexport in das Ausland: teilweise als Direktinvestitionen, überwiegend jedoch als Kredit zur Finanzierung des Schuldenbooms in anderen Ländern. Dabei gibt es nichts Dümmeres, als in einer überschuldeten Welt, Gläubiger zu sein.
  9. Als die Krise in Europa offensichtlich wurde, haben private Banken ihr Geld aus den Krisenländern abgezogen. Dabei wurden sie entweder von öffentlichen Geldgebern abgelöst – Modell Griechenland – oder aber die Bundesbank musste den Geldabfluss durch die Gewährung von TARGET2-Krediten ausgleichen. Insgesamt wurden so die von privaten Banken gegebenen Kredite – unsere Ersparnisse – durch direkte und indirekte Kredite des deutschen Staates ersetzt. Später kam die Kapitalflucht aus den Krisenländern hinzu. So finanziert die Bundesbank indirekt den Kauf von Immobilien in Deutschland durch Italiener und Griechen. Angesichts von mindestens 3 Billionen Euro fauler Schulden in Europa ist sicher, dass Deutschland als Hauptgläubiger einen großen Teil der Verluste tragen wird.
  10. Alle Bemühungen, den Euro durch noch tiefere Zinsen über die Runden zu bringen, führen– bereits für jeden offensichtlich – zu einer Enteignung der Sparer.

Ohne den Euro hätte es die Schuldenparty im Süden nicht gegeben, aber auch nicht die großen deutschen Exportüberschüsse – dafür einen höheren Lebensstandard und eine bessere Infrastruktur in Deutschland. Ausführlich hier: → ifo-Schnelldienst: Zehn Gründe, warum die Deutschen nicht die Gewinner des Euros sind

Was zum Fazit führt: Fratzscher hat viele zutreffende Fakten und Zusammenhänge so zusammengemischt, dass sie zur gewünschten Aussage passen. Dabei hat er viele Dinge, die er sonst kritisiert, als doch nicht relevant entlarvt und negative Aspekte gezielt ausgeblendet. Wenn der Beitrag als Gastbeitrag eines Politikers (der SPD, Grünen, Linken, denn für diese passt der Inhalt) markiert gewesen wäre, wüssten die Leser, was sie bekommen. So wird es als “Top Ökonomen-Expertise” verkauft.

focus.de: “Top-Ökonom widerspricht EZB-Kritikern: Der deutsche Sparer gehört zu den Gewinnern”, 7. September 2019