Forderung des WEF-Chefs: Globale “Insti­tu­tionen” statt Demo­kratie?

Nach meiner Replik auf Thomas Frickes Forderung nach einer Reform des Kapitalismus habe ich eine Vielzahl von Zuschriften bekommen. Auf Twitter wurde ich gefragt, was ich denn von den Aussagen von Klaus Schwab, Gründer des Weltwirtschaftsforums (World Economic Forum, kurz WEF) in Davos, zu dem Thema hielte. Dieser hätte sich im Interview mit der ZEIT geäußert. Daraufhin bot ich an, dieses Interview zu lesen und auf bto zu kommentieren.

Gesagt, getan:

Dazu muss man wissen, dass Schwab ein Buch geschrieben hat: The Great Reset”. Da denke ich natürlich an die Lösung der Euro- und Schuldenkrise. Aber Schwab denkt wohl an den Umbau der Weltordnung, die ihn erst so erfolgreich gemacht hat.

  • ZEIT ONLINE: (…) Die Zeit nach der Pandemie werde eine Phase massiver Umverteilung einleiten von den Reichen zu den Armen und von Kapital zu Arbeit, schreiben Sie. Das hört sich eher nach Linkspartei an und weniger nach Weltwirtschaftsforum.“ – bto: Man muss keiner linken Partei angehören, um zu erkennen, dass es in einigen westlichen Ländern mehr Umverteilung braucht. Siehe USA. In anderen findet sie schon statt, siehe Schweden und Deutschland. Abgesehen davon haben wir weltweit in den letzten Jahrzehnten die Ungleichheit reduziert. Globalisierung sei Dank. Im Westen wird allein die Demografie für steigende Lohnquoten sorgen.
    Klaus Schwab: (…) Derzeit sind wir mit zwei riesigen Herausforderungen konfrontiert: die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich, auf nationaler und internationaler Ebene, sowie die Klimakrise. (…) Wir brauchen ein Wirtschaftssystem, das widerstandsfähiger, inklusiver und nachhaltiger ist.“ – bto: Ich nenne das „Anbiedern“ an den Zeitgeist. Warum? Weil diese Aussage so nicht stimmt. Auf internationaler Ebene ist es gleicher geworden und auf nationaler ungleicher. Nach Umverteilung ist das in Europa weitgehend und in Deutschland völlig korrigiert. Die „Klimakrise“ bedarf einer marktwirtschaftlichen Antwort, um nicht wirklich zu einer Krise zu werden – und zwar auch zu einer sozialen. Letztlich ist unser System sehr widerstandsfähig, denn das Corona-Chaos ist wohl nicht der Wirtschaft geschuldet. 
  • ZEIT ONLINE: Die Corona-Krise ist für Sie der Todesstoß für den Neoliberalismus. Was meinen Sie damit?“ – bto: Wir haben in der EU Staatsquoten um die 50 Prozent. Neoliberalismus? Wenn, dann trifft diese Aussage für Großbritannien und die USA zu.
    Schwab: Landläufig wird unter Neoliberalismus ein ungeregelter, ungehemmter Kapitalismus verstanden. Und gerade die Länder, die diese Strategie am stärksten vorangetrieben haben – beispielsweise die USA und Großbritannien – werden von Corona mit am härtesten getroffen. Die Pandemie hat somit einmal mehr gezeigt: Der Neoliberalismus in dieser Form hat ausgedient.“ – bto: Und warum in aller Welt erzählt er es nicht dort, sondern in der ZEIT, die das dann so darstellt, als hätten wir das Problem auch? Und: Wenn ich mir die Fallzahlen anschaue, sieht es in Frankreich, dem Vorreiter der staatlichen Planwirtschaft, nun auch nicht wirklich gut aus.
    Schwab: Ich bin davon überzeugt, dass wir den Kapitalismus neu definieren müssen. Wir dürfen nicht nur das Finanzkapital berücksichtigen, sondern auch das Sozialkapital, das Naturkapital und das menschliche Kapital. Unternehmen, die heute erfolgreich sein wollen, müssen alle diese Komponenten in ihre Strategie einbeziehen. Vor allem, weil wir es mit einer jungen Generation zu tun haben, die sich viel stärker der negativen Folgen eines Kapitalismus und einer ungehemmten Globalisierung bewusst ist. Es muss ein Umdenken stattfinden.“ – bto: Oh wow, angesichts eines massiven demografischen Rückgangs, den wir durch Migranten mit geringem Qualifikationsniveau nicht auffangen können, müssen wir uns jetzt also mehr um die wenigen qualifizierten der kommenden Generation kümmern. Dazu brauche ich aber keinen Hinweis von Herrn Schwab, ein Blick auf die Zahlen je Jahrgang genügt. Klar ist, dass diese hoch umworben sein werden mit steigenden Löhnen – ob nun in Geld oder in Freizeit.
    Schwab: Nein, der Kapitalismus ist nicht das Problem. Ich bin davon überzeugt, dass die unternehmerische Kraft jedes Einzelnen die Triebfeder für echten Fortschritt ist – und nicht der Staat. Aber diese individuelle Kraft muss in ein System von Regeln eingebettet werden, das ein Überborden in die eine oder andere Richtung verhindert. Diese Funktion muss ein starker Staat erfüllen. Der Markt löst allein keine Probleme. Ich plädiere nicht für eine Systemänderung. Ich plädiere für eine Systemverbesserung.“ – bto: Der Markt löst schon mal das wichtigste Problem: die Allokation knapper Ressourcen. Wer das nicht weiß und dies, obwohl er seit Generationen mit Managern zu tun hat, sollte nicht so unhinterfragt argumentieren dürfen. Der Markt ist der große Problemlöser. Nur gefällt uns das effiziente Ergebnis – aus guten Gründen – nicht immer. Dann muss korrigiert werden, und zwar nur in drei Bereichen: 1. Sicherstellung fairen Wettbewerbs, 2. Internalisierung externer Kosten, 3. Umverteilung des Wohlstandes, um jene, die im Markt nicht bestehen können, zu schützen.
  • ZEIT ONLINE: Sie fordern in Ihrem Buch den großen Neuanfang. Derzeit gibt die Politik aber vor allem Geld aus, um das alte Wirtschaftssystem am Leben zu erhalten. Ist das nicht die falsche Politik?“ – bto: Wieso ist es falsch, ein hochfunktionsfähiges System zu erhalten, das durch mangelnde Vorsorge der Politik in eine Krise gestürzt ist? Welches System hätte denn die ZEIT stattdessen gerne? Den Sozialismus à la DDR oder Venezuela? Es ist eine Schande, wie hier innerhalb einer Frage argumentiert wird.
    Schwab: Zunächst einmal müssen wir natürlich dafür sorgen, dass das System nicht kollabiert, ansonsten gehen zu viele Arbeitsplätze und zu viel Wirtschaftskraft verloren. Aber die Stabilisierung muss in die richtige Richtung gehen. In Deutschland müssen beispielsweise grüne Investitionen angeschoben und die Digitalisierung vorangetrieben werden.“ – bto: Das kann man so stehen lassen, natürlich hilft es, in die Zukunft zu investieren. Allerdings ist es eine Frage, wie es gehen soll, mit Investitionen ein Ziel zu erreichen, das schwer zu erreichen ist (Klimaneutralität), ohne dabei zugleich einen Abbau an Arbeitsplätzen hierzulande zu bewirken.
  • ZEIT ONLINE: Die Bundesregierung beteiligt sich dagegen lieber an der Lufthansa, ohne große Auflagen. Ein falscher Schritt?“ – bto: Was sagt man dazu? Zum einen sind die Konditionen sehr teuer, fast schon wie von einem Hedgefonds, was zur Frage führt: Was ist der Sinn davon? Ich denke, es wäre besser gewesen, wenn die Lufthansa Insolvenz in Selbstverwaltung gemacht hätte. Und wenn es darum geht, Auflagen zu machen, die das Geschäft beschränken, wie Verbot innerdeutscher Flüge, welches bekanntlich null Auswirkungen auf das Klima hat, dann fragt man sich, weshalb man überhaupt rettet. Man fliegt dann halt von Berlin über London in die USA.
    Schwab: Das dient der Stabilisierung des Systems in einer tiefen Krise. Gleichzeitig sollte der Staat aber Alternativen zum Flugverkehr ausbauen und unterstützen und etwa den Wettbewerb im Bahnnetz fördern.“ – bto: Auch da kann man nichts gegen sagen. Doch was hat das mit der Aussage zu tun, der „Neoliberalismus hat ausgedient“? Niemand hat den Staat gehindert, mehr in Infrastruktur zu investieren.
  • ZEIT ONLINE: Sie vergleichen die Corona-Krise mit einem Krieg. Ist das nicht etwas übertrieben?“ – bto: Das ist es. Der Kampf gegen den Klimawandel ist vergleichbar. Während bei Corona keine Maschinen/Anlagen zerstört werden, wird das durch die Klimapolitik erreicht.
    Schwab: Es gibt natürlich grundlegende Unterschiede zwischen einer Pandemie und einem Krieg. Durch die Pandemie werden in jedem Fall weniger Menschen sterben als beispielsweise im Zweiten Weltkrieg. Aber die transformativen Kräfte können ähnlich sein. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Währungssystem Bretton Woods, die Vereinten Nationen und die EU gegründet.“ – bto: Corona wird als Vorwand genutzt werden, aber es ist nicht die Ursache. Das erkläre ich in “Coronomics”.
    Schwab: Wir brauchen Institutionen, die die Welt als System verstehen und die Regierungen, Unternehmen und Zivilgesellschaft integrieren. Keines der Probleme, die wir auf globaler Ebene haben, kann isoliert betrachtet werden und jedes dieser Probleme braucht die Zusammenarbeit aller.“ – bto: Wovon spricht Schwab hier? Von einer Weltregierung? Er lebt als Deutscher seit Jahrzehnten in einem der wohl am besten funktionierenden Gemeinwesen der Welt, der Schweiz. Warum funktioniert die Schweiz so gut? Weil es viele dezentrale Verantwortung gibt. Also das genaue Gegenteil! Und: Wen bitte repräsentieren die Regierungen, wenn nicht die „Zivilgesellschaft“? Geht es hier um die Überwindung der Demokratie? Ich frage mich, warum hier nicht sofort eingehakt wird.
    Schwab: (…) Durch die Pandemie ist es wesentlich konkreter geworden. Und die Folgen lassen sich auf andere globale Probleme übertragen: Wenn wir jetzt nichts unternehmen, wird die Klimaerwärmung unser tägliches Leben ähnlich stark umwälzen wie jetzt die Pandemie. (…) Wir müssen die Dekarbonisierung der Wirtschaft so schnell wie irgend möglich vorantreiben. Schauen Sie sich die Waldbrände in Kalifornien an. Da tragen die Menschen nicht nur wegen der Pandemie eine Maske, sondern weil die Luft voller Rauchpartikeln ist.“ – bto: Wir wissen a), dass die Waldbrände die Folge falscher Waldpflege sind, b) dass die Dekarbonisierung den Klimawandel um wenige Monate verschiebt. Gerade von Schwab hätte ich erwartet, dass er für einen intelligenten Mix eintritt: Dekarbonisierung auf effizientem und effektivem Weg und Maßnahmen zum Bewältigen der Folgen.
    Schwab: Wachstum ist die falsche Kennzahl, wenn es nur darum geht, die Zuwachsraten des Bruttosozialprodukts zu messen. Wir arbeiten gerade an einem System, in dem jedes Unternehmen verpflichtet wird, über seine Umweltleistung und seine soziale Leistung genauso zu berichten wie jetzt schon über seine finanzielle Bilanz. Das Gleiche sollte man auch vom Staat verlangen.“ – bto: Die Kritik am Wachstum ist nicht neu, was es nicht besser macht. Wir wissen zum Beispiel, dass trotz erheblichen Wachstums der Ressourceneinsatz relativ zum BIP sinkt. Diesen Weg müssen wir gehen.
    Schwab: Natürlich ist das Steuersystem ein Instrument im Kampf gegen die Ungleichheit. Ich denke da aber nicht an die Einkommenssteuer. Wir brauchen eine generelle Umgestaltung des Steuersystems nicht nur um die Unterschiede auszugleichen, sondern auch für die Einbeziehung von Umweltschäden. Wir in Genf zahlen beispielsweise keine Kapitalgewinnsteuer – damit wird also unternehmerisches Handeln richtigerweise bevorzugt. Wir zahlen aber eine Vermögensteuer bereits auf geringe Beträge im Vergleich zu anderen Industrieländern. Es wird zwar immer mal wieder darüber geschimpft, aber man gewöhnt sich daran. Und letzten Endes muss man sagen: Es ist sozial gerechtfertigt.“ – bto: Was Schwab dabei unterschlägt, ist die Tatsache, dass die gesamte Steuerbelastung deutlich tiefer ist. In Deutschland sollen solche Steuern ja on top kommen.
  • ZEIT ONLINE: (…) Muss man den Reichen dieser Welt mehr wegnehmen?
    Schwab: Ja. Ich bin mit dieser Auffassung auch nicht allein. Reiche und einflussreiche Menschen wie Bill Gates und Warren Buffet denken ähnlich. Aber wir dürfen in diesem Diskurs nicht in alte Ideologien zurückfallen: Wir sind auf eine innovative und handlungsfähige Wirtschaft angewiesen. Und die steckt mitten in der vierten industriellen Revolution. Da kann man nicht unbegrenzt Steuern erhöhen.“ – bto: Bill Gates und Warren Buffet wären in Deutschland deutlich ärmer, dank der bereits gegebenen Umverteilung. Warum lassen wir uns von den Medien immer so in die Irre führen? Die in den USA objektiv gegebene Ungleichheit wird als Begründung angeführt, warum es bei uns so ungerecht sei!
    Schwab: Die sozialen und wirtschaftlichen Ungleichgewichte werden weiter zunehmen, die Ungerechtigkeiten und die Umweltzerstörung werden wachsen. Wenn wir dagegen nichts unternehmen, werden die Veränderungen irgendwann auf anderem Wege kommen, durch gewalttätige Konflikte oder Revolutionen etwa. Das lehrt uns die Geschichte.“ – bto: und die Antwort darauf? In Deutschland noch mehr Steuern und Abgaben erheben und diese dazu nutzen, den Standort beschleunigt zu deindustrialisieren? Das Gute ist, dass es bei uns begrüßt werden wird, Hauptsache wir werden alle arm, gerecht also

zeit.de: “Der Neoliberalismus hat ausgedient”, 21. September 2020