FDP Wahlprogramm – wirklich so schlecht?

Thomas Fricke von SPIEGEL ONLINE knöpft sich das FDP Wahlprogramm vor. Ist o. k., allerdings frage ich mich, ob ein objektiver Blick in die Programme der anderen Parteien wirklich erfreulicher ausfallen würde. Erneut zeigt Fricke auch ein unzureichendes Verständnis für die Ursachen der Krise, bringt es aber so rüber, als bestünden keine Zweifel. Schade.

→ „Der Euro – funktioniert doch“, finde ich nicht

  • „Wie gut wir durch die nächsten vier Jahre kommen, hängt im Grunde nur noch davon ab, wer bei Frau Merkel künftig Praktikum macht. Harakiri-Martin, die grünen Lalas oder die Liberalen, formerly known as FDP?“ – bto: Da dürfte er leider recht behalten, allerdings wird es für eine Koalition mit nur einem Partner nicht reichen, außer es ist wieder die SPD.
  • „Höchste Zeit, zwei Wochen vor der Bundestagswahl mal deren Programm zu lesen. (…) Wir wollen auch nicht kleinlich meckern, wenn die Liberalen ihre Wirtschaftskompetenz mit der Gaga-Weisheit darzulegen versuchen, dass man ja nicht mehr ausgeben kann, als man hat und an anderer Stelle im Programm eifrig den Erwerb vom Häusle propagieren, was der gemeine Deutsche in der Regel ja nicht vom Sparbuch zahlt, sondern großteils auf Kredit kauft. Also mit Geld, das er noch nicht (selber erwirtschaftet) hat. Sonst bräuchten wir ja auch keine Banken.“ – bto: naja. Wenn man polemisch sein will, dann kann man so argumentieren. Richtiger wäre der Hinweis, dass es auf den Willen ankommt, den Kredit durch Erzeugung von Mehrprodukt zu bedienen. Das sind produktive Kredite im Unterschied zu Konsumkrediten, die beim Staat lange Zeit dominiert haben.
  • „Löblich ist natürlich, dass die FDP nicht mehr so neoliberal sein will, also programmatisch nicht wie früher immer nur auf den Markt setzt.“ – bto: Was ist daran löblich? Ist doch die Krise kein Versagen des Marktes, sondern eines Wirtschaftssystems, welches unbegrenzt Geld schaffen kann. Sollte man da nicht ansetzen? Dann kommt die Liste der Bereiche, in denen die FDP auf Markt setzen will und was Fricke offensichtlich falsch findet:
  • Vermögensbildung – bto: Sind Riester und staatliche Rente oder die politisch subventionierte Lebensversicherung wirklich besser? Wäre es nicht dringend an der Zeit, in Realkapital zu sparen und dabei zugleich die Bildung in Finanzdingen zu verbessern?
  • Altersvorsorge – bto: analog zu Vermögensbildung. Umlagesysteme ohne Deckung sind also besser?
  • Arbeitszeitmodelle – bto: Auch hier die Frage, ob Frau Nahles es wirklich (alles) besser weiß.
  • Krankenkassen – bto: Gerade im Gesundheitssystem brauchen wir dringend mehr Wettbewerb und Effizienzsteigerung. Wichtig wäre beispielsweise, dass jeder Patient die Rechnung des Arztes sieht, um so eine bessere Kontrolle zu ermöglichen.
  • im Handel – bto: warum nicht?
  • bei der Behandlung von Staatsanleihen – bto: auch hier. Ist es besser, den Banken vorzuschreiben, kein Eigenkapital vorzuhalten, egal ob es griechische oder deutsche Anleihen sind?
  • Forschungsförderung – bto: Weiß das der Staat wirklich besser?
  • „Da arbeiten ganze Denkfabriknetzwerke mittlerweile an der Idee, dass neue Technologien, wie etwa bei Elektroautos, doch nicht immer so automatisch am Markt entstehen und manchmal staatliche Hilfe brauchen. Die FDP ist dagegen.“ – bto: Ich denke, wir brauchen ein koordiniertes Vorgehen beim Aufbau der Infrastruktur.
  • „Da plädieren selbst Konservative wie Wolfgang Schäuble für eine Steuer auf Finanzgeschäfte, weil das viele Turbulenzen verhindern würde. Die FDP: dagegen.“ – bto: ich auch. Einfach, weil es zu viele Ausweichmöglichkeiten gibt. Das ist wie das Parkverbot, das die Polizei nie durchsetzt.
  • „Da gibt es zunehmend Indizien dafür, dass Finanzkrisen vor allem von Schuldenwellen bei Privatleuten kommen. Die FDP kämpft lieber (nur) gegen Staatsschulden – und für mehr Immobilienkauf.“ – bto: So, und da ist die FDP also rückständiger als andere Parteien?
  • Bei keinem anderen Drama raubt einem die Zeitversetzung der Lindner-Liberalen so den Atem wie bei allem, was mit Krise und Zukunft des Euro zu tun hat. Hier liest sich das Programm eher wie bei den D-Mark-Nostalgikern der ersten AfD-Generation.“ – bto: Aber die Krise wurde doch bisher nur verschleppt und nicht gelöst. Weshalb also diese Kritik?
  • „Da haben Spanier, Iren und Portugiesen in den vergangenen Jahren eindrucksvoll gezeigt, dass es besser ist, Staatsdefizitziele pragmatisch zu handhaben, statt die Wirtschaft aus lauter falschem Regeldogma kaputtzusparen alle drei Länder wachsen seither wieder. Was macht die FDP? Fordert stahlharte Regeltreue dazu schärfere Sanktionen. Gaga.“ – bto: Wie ich gestern gezeigt habe, hat sich die Wettbewerbsfähigkeit der Länder nicht verbessert, die Gesamtschulden liegen höher als vor Krisenbeginn. Wie kann man aus einer temporären Zwischenerholung solche Schlüsse ziehen?
  • „Da wird in der Expertenwelt diskutiert, ob und wie Europas Stabilitätsmechanismus ESM in einen Europäischen Währungsfonds verwandelt werden könnte, um künftig in Krisen Notfallpläne schneller aktivieren zu können. Sie ahnen, was die FDP will: den ESM auslaufen lassen und auflösen das soll der Markt regeln; an Naivität schwer zu überbieten.“ – bto: klar. Fricke ist schon lange für die Schuldenunion und die werden wir nach der Wahl auch bekommen, egal wer mit Frau Merkel regiert. Doch diese Erhöhung der Verschuldungskapazität löst das Problem doch nicht, sondern macht es noch größer! Wir brauchen Verfahren zur Staatsinsolvenz.
  • „Und da räumen selbst notorische Kritiker wie Schäuble heute ein, dass es gut war, die Zinsen stark zu senken und zu intervenieren. FDP-Position: Nix Hilfe, Nullzinspolitik beenden – weil diese angeblich nur dazu da ist, das Wachstum in Krisenländern zu stützen.“ – bto: Natürlich war es richtig. Nur die Fortsetzung des schuldenbasierten Wachstums ist keine Lösung, sondern eine Verschlimmerung der dramatischsten Art.
  • „Mit marktwirtschaftlichem Retro-Eifer würde es eine neue mögliche Merkel-Regierung schwer haben, in Europa schnell vorwärts zu kommen – und mit Frankreichs Staatschef Macron dazu beizutragen, dass es künftig solche Krisen nicht mehr gibt: ob über ein größeres gemeinsames Budget oder einen gemeinsamen Finanzminister für die Euro-Zone.“ – bto: Hier liegt der Kern. Fricke glaubt an die Problemlösung über mehr Schuldenkapazität. Damit hat er auch temporär recht, legt aber die Grundlage für eine noch größere Krise.
  • „Die Frage ist nur, ob wir am besten durch die nächsten Jahre kommen, wenn eine Partei an der Regierung beteiligt ist, die an einem ökonomischen Weltbild festzukleben scheint, das seine Hochzeit schon eine Weile hinter sich – und das der Welt eine Menge Ärger und Krisen bereitet hat.“ – bto: Und hier ist sie wieder die Verdrehung durch die staatsgläubigen Politiker und Ökonomen (von Journalisten ganz zu schweigen). Die Krise ist vor allem befeuert worden von billigem Geld. Schuld daran haben die Deregulierungen, die Politik der Notenbanken und im Falle Europas die Einführung der politischen Währung Euro, der den Schuldenboom erst ermöglichte. Nichts davon kommt vom Markt. Es kommt von falschen Anreizen des Staates.

→ SPIEGEL ONLINE: “Warum uns mit Merkels Praktikant die Krise droht”, 8. September 2017