Falsche Lehren aus der Großen Depression?

Die Argumentation geht so: Die Große Depression hätte nie stattgefunden, wenn die Notenbanken so konsequent gehandelt hätten wie heute angesichts von Corona und in der Finanzkrise. Ben Bernanke betonnte mal in einer Rede, die Fed würde diesen Fehler nicht wiederholen.

Doch es gibt auch eine andere Sicht, wie ein Gastbeitrag in der NZZ unterstreicht. Die Highlights:

  • „Es scheint aber, dass gerade bei der verheerendsten wirtschaftlichen Katastrophe des letzten Jahrhunderts – der Grossen Depression – inkorrekte Schlussfolgerungen gezogen wurden. So wird heute bei vielen Ökonomen die Meinung vertreten, die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre wäre durch eine expansivere Geldpolitik zu verhindern gewesen. Mit dem Hinweis auf diese vermeintliche Lehre aus der Jahrhundertkrise wird auch die ultraexpansive Geldpolitik der heutigen Tage legitimiert. Man will eine weitere Katastrophe schliesslich um jeden Preis verhindern.“ – bto: So wird jedes Notenbankhandeln seit 1987 gerechtfertigt und damit das Aufpumpen von Vermögensmärkten und Schulden.
  • Doch wer die Zahlen zu den Geldaggregaten aus der Zeit der Grossen Depression unter die Lupe nimmt – wie etwa der Ökonom Murray Rothbard (‘America’s Great Depression’) –, erkennt, dass in den Jahren vor und zu Beginn der Krise entgegen dem vermeintlichen ‘wissenschaftlichen Konsens’ gar keine restriktive, sondern eine expansive Geldpolitik vorherrschte.“ – bto: Die Fed hat auch gleich beim Crash die Zinsen gesenkt und den Märkten Liquidität zugeführt.
  • Während der vorausgehenden Boom- und Übertreibungsphase von 1921 bis 1929, in der erst die Voraussetzungen für die nachfolgende Korrektur geschaffen wurden, ist die Geldmenge in den USA von 45,3 auf 73,3 Milliarden Dollar ausgeweitet worden. Das ist ein Wachstum von durchschnittlich 7,7 Prozent pro Jahr oder 62 Prozent in nur acht Jahren.“ – bto: Das kennen wir seit Jahren, ohne dass es einen ähnlich negativen Effekt gehabt hat …
  • Die enorme Inflation blieb – genauso wie heute – deshalb von vielen unbemerkt, weil sie sich nicht in den Konsumgüter-, sondern in den Vermögensgütermärkten abspielte, wo das neue Geld zuerst ankommt. Wie seine heutigen Jünger, so erkannte auch John Maynard Keynes – der Apologet einer expansiven Geldpolitik in Krisenzeiten schlechthin – diese Zusammenhänge nicht. Vielmehr lobte er die Federal Reserve (Fed) ausdrücklich für ihre ‘gute Preisstabilitätspolitik’, obwohl die Aktien- und Immobilienpreise regelrecht explodierten.“ – bto: Und das haben wir seit gut 30 Jahren, also sind die Probleme deutlich umfassender.
  • Näher an der Realität war Ludwig von Mises mit seiner Konjunkturtheorie, die er in seinem 1912 erschienenen Werk ‘Theorie des Geldes und der Umlaufmittel’ beschrieben hatte. Mises argumentierte, dass eine expansive Geldpolitik die relativen Preise verzerre und damit zu einer Fehlallokation von Ressourcen führe – je stärker die Geldmengenausweitungen, desto gravierender die Verzerrungen. Das dadurch fehlgeleitete Kapital entpuppe sich früher oder später als Fehlinvestition und müsse abgeschrieben werden, was wiederum zu Korrekturen an den Märkten und zu folgenreichen Wirtschaftscrashs führe. Genau dies ist in der Grossen Depression passiert.“ – bto: Dem kann man dann doch einiges entgegenhalten. In Japan kam es zwar zu verlorenen Jahrzehnten, aber nicht zu einer Depression. Und wir haben eine fortschreitende Zombifizierung, die zwar schlecht für das Wachstum und vor allem die Produktivitätsfortschritte ist. Aber es ist eben doch möglich, mit billigem Geld die Wirtschaft zumindest zu stabilisieren.
  • Doch anstatt zuzulassen, dass sich das fehlinvestierte Kapital möglichst rasch reallozieren kann und die Bedürfnisse der Menschen so wieder effizient befriedigt werden können, intervenierte die US-Notenbank mit aller Kraft. In der Crash-Woche vom Oktober 1929 fügte die Fed den Nationalbankreserven in einem bis dato historisch beispiellosen Akt weitere 300 Millionen Dollar hinzu. Sie verdoppelte in dieser letzten Oktoberwoche ihr Staatsanleihenportfolio, was dem System weitere 150 Millionen Dollar hinzufügte, und gewährte den Mitgliederbanken zudem zusätzliche 200 Millionen Dollar. Eine solche Geldpolitik als ‘restriktiv’ zu bezeichnen, entbehrt jeglicher Grundlage.“ – bto: Das stimmt. Ich denke aber, es war richtig, so zu handeln – damals wie heute. Denn der Weg der Bereinigung der Fehlinvestitionen ist sehr schmerzhaft und hat erhebliche soziale und damit politische Folgen. Vielleicht ist es so, dass man so oder so die Schmerzen bekommt.  
  • Nicht nur die erste Crash-Woche, sondern auch die ersten Krisenjahre waren von einer expansiven Geldpolitik geprägt, wie die Studie belegt. Rothbard meinte: ‘Anstatt eine gesunde und rasche Liquidation unsolider Positionen zu ermöglichen, war es das Schicksal der Wirtschaft, weiterhin durch staatliche Massnahmen gestützt zu werden, was ihre Krankheit nur verlängerte.’ Rothbard zeigt in seiner Studie, dass erst die deflationären Effekte gegen Ende der Krise – wie etwa die zahlreichen Bankenpleiten – zu einer Besserung der Wirtschaftslage führten. Kurz gesagt: Eine expansive Geldpolitik verursacht und verlängert Wirtschaftskrisen, eine nichtexpansive Geldpolitik hingegen trägt zu einem gesunderen Verlauf der Wirtschaft und zur Heilung von Krisen bei.“ – bto: Ja, das kann man mit Blick auf die Zombies so feststellen. Ich meine, die Konsequenzen sind zu schlimm, wenn man diese Bereinigung nicht auffängt. Die Frage ist nur, wie man das machen könnte.
  • In diesem Lichte ist die gegenwärtige ultraexpansive Geldpolitik der Zentralbanken gefährlich; auf eine Kursänderung zu hoffen, wäre wohl aber naiv – zumal es sich bei diesen um politisch eingeführte Institutionen handelt, die im Interesse der hochverschuldeten und deshalb zinsaversen Staaten agieren. Anlass zur Hoffnung geben hingegen der sich intensivierende Geldwettbewerb und die voranschreitende technologische Entwicklung: So trug etwa die Entstehung des Bitcoins oder anderer privater Kryptowährungen dazu bei, dass neue globale und dennoch dezentrale Währungen zur Verfügung stehen, deren Geldmengen begrenzt sind und nicht von einigen wenigen Machthabern manipuliert werden können.“ – bto: So sympathisch ich die Idee von Währungswettbewerb finde, für so unwahrscheinlich halte ich sie in der Praxis. Die Staaten werden es immer zu verhindern wissen. Interessant war, wie schnell man die Hacker von Twitter-Accounts Prominenter gefunden hat. Sie ließen sich Bitcoin überweisen und die Spezialabteilung des amerikanischen Finanzamtes für Kryptowährungen hatte sie in zwei Tagen.

nzz.ch: “Falsche Lehren aus der Grossen Depression”, vom 26.08.2020