Deutschland spart falsch – das müssen wir ändern!

Immer wieder habe ich mich sehr kritisch mit den deutschen Handelsüberschüssen auseinandergesetzt. Kurz gefasst ist meine Argumentation so:

  • Wer einen Überschuss im Handel hat, exportiert entsprechend Ersparnisse bzw. lässt einen Teil der erzielten Einnahmen aus dem Handel im Ausland „stehen“. Er wird damit zum Gläubiger (FK) und Investor (EK) im Ausland.
  • Dies kann eine sinnvolle Strategie sein, sofern man das Geld im Ausland gut anlegt, also Kredit an solvente Schuldner gibt und/oder gute Investitionen tätigt.
  • Bei Deutschland scheint das nicht der Fall zu sein. Historisch haben wir viel Geld verloren.
  • Zusätzlich ist es keine gute Idee in einer völlig überschuldeten Welt, Gläubiger zu sein. Das Risiko von Verlusten ist erheblich.
  • Deshalb müssen wir unser Geld besser anlegen: nicht in ständig wachsenden Target2-Forderungen beispielsweise; bekanntlich zins- und tilgungsfrei und ohne Sicherheit, mehr als 11.000 Euro pro Kopf der “hier lebenden” Bevölkerung.
  • Hinzu kommt, dass wir im Ausland zunehmend in der Kritik stehen wegen unserer Überschüsse, weshalb die Gefahr von Protektionismus etc. wächst. Dann droht eine erhebliche Krise bei uns.
  • Woraus die Schlussfolgerung erwächst, doch lieber mehr im eigenen Land anzulegen. Aufgaben gäbe es genügend. 

Ausgeführt in dem viel gelesenen “Eichhörnchen”-Artikel:

“Deutschland wirtschaftet wie die Eichhörnchen”

Natürlich gibt es vor allem deutsche Ökonomen, die schreiben, es gäbe kein Problem, bzw., man könne dagegen sowieso nichts machen. So vor Kurzem das Institut für Weltwirtschaft, hier diskutiert:

Deutschland: unfreiwilliger Gläubiger der Welt?

Einen anderen Weg beschreiten zwei Ökonomen bei MAKRONOM Sie erläutern, weshalb die Logik mit dem Ersparnisüberhang nicht stimmt. Da ich gerne dazulerne, schauen wir uns das mal an:

  • „In der Debatte um die Vor- und Nachteile des deutschen Leistungsbilanzüberschusses sticht aufseiten der Nachteile ein folgenschwerer Punkt hervor: Da dem Leistungsbilanzüberschuss zwangsläufig ein Netto-Kapitalexport in derselben Höhe gegenübersteht, muss Deutschland als Warenexportweltmeister auch zwangsläufig führend beim Exportieren von Finanzkapital sein: Laut Berechnungen des ifo-Instituts verteidigte Deutschland mit einem Wert von 255 Milliarden Euro auch 2017 seinen Titel als Netto-Kapitalexportweltmeister.“ – bto: so zumindest auch meine Argumentation oben. Scheinbar ist die falsch, deshalb meine Neugierde.
  • „Mit dem Geld, das Deutschland aufgrund seines Exportüberschusses verlässt, scheinen diverse unerwünschte Effekte einherzugehen. (…) Quer durch das politische Spektrum scheint es in dieser Frage einen seltenen Konsens zu geben. (…) Auch DIW-Chef Marcel Fratzscher pflichtet diesem Gedanken bei (…): Die Handelsüberschüsse Deutschlands sind schlecht, nicht, weil wir zu viel exportieren, sondern weil wir zu wenig in Deutschland investieren und zudem unsere Ersparnisse im Ausland in das Falsche investieren.“ – bto: Hier bin ich einig mit Fratzscher. Das ist nicht oft der Fall.
  • „Dieser Logik zufolge muss sich Deutschland also zwischen Investitionen im Inland oder Kapitalexporten ins Ausland entscheiden – das Geld zur Finanzierung ist nur einmal da. Unserer Meinung nach handelt es sich dabei aber um ein Missverständnis: Es ist keinesfalls so, dass ein großer Handelsüberschuss der deutschen Volkswirtschaft zwangsläufig wertvolle Investitionsmittel entzieht (…).“ – bto: natürlich nicht. Wenn es nun also darum geht zu hinterfragen, was zuerst da ist, die Einkommensentstehung oder -verwendung, so ist es eine recht überflüssige Argumentation. Mir geht es vor allem um die Verwendung, weil klar ist, dass Forderungen an das Ausland die o. g. Problematik haben (können).
  • „Aus makroökonomischer Sicht wird in diesem Kontext häufig die deutsche Ersparnisflut (“Savings Glut”) genannt, welche zwangsläufig mit den Leistungsbilanzüberschüssen einhergeht, und in Form von milliardenschweren Kapitalströmen zu makroökonomischen Ungleichgewichten führt. So hätten deutsche Ersparnisse, welche 1:1 mit dem Exportüberschuss in Zusammenhang stehen würden, angeblich die Immobilienblasen in den USA, Spanien oder Irland mit aufgeblasen.“ – bto: Da wäre ich ganz anderer Ansicht. Die Blasen sind die Folgen von viel zu tiefen Realzinsen, die dann den Boom angefacht haben, der wiederum den Importboom zur Folge hatte, der dann dazu führte, dass wir so viele Forderungen aufgebaut haben.
  • „Deutschlands Leistungsbilanzüberschuss, so lässt sich die gängige Berichterstattung zusammenfassen, widerspricht daher in mehrfacher Hinsicht dem eigenen wirtschaftspolitischen Interesse, entzieht er der deutschen Volkswirtschaft nämlich wichtige Investitionsmittel, finanziert anderen Ländern das Leben auf Pump und treibt außerdem in Form milliardenschwerer Kapitalexporte finanzmarktpolitische Exzesse auf der Welt an.“ – bto: Das ist die Argumentation vor allem in den USA von Greenspan über Bernanke bis Summers. Sie gilt auch in Richtung China. Ich denke, sie ist nicht ganz falsch, weil das „Stehenlassen“ des Guthabens beim Käufer auch zu tieferen Zinsen in dem Schuldnerland beiträgt und damit die Verschuldung mit anreizt. Es ist aber natürlich nicht die Erklärung für alle Probleme, die wir haben.
  • „Akteure in einer Volkswirtschaft (egal ob Haushalte, Firmen oder Länder) sparen, wenn sie mehr Güter besitzen (SV) und/oder mehr Geldvermögen (GV) anhäufen. Zum Beispiel kann eine Volkswirtschaft im Ganzen sparen, indem sie reale Güter akkumuliert. Dann ist Sparen ein realer, in Gütern messbarer Akt.“ – bto: soweit, so klar.
  • „Auf der anderen Seite können diese gesparten Güter auch in monetäre Werte umgetauscht, also an das Ausland verkauft werden. Dann beschreibt das Sparen eine Anhäufung von Finanztiteln im Tausch gegen ein reales Gut. Das Nettogeldvermögen wird damit durch den Anstieg der Geldforderungen gegenüber dem Ausland erhöht, das Ausland wiederum verringert sein Nettogeldvermögen, da Teile seines Geldvermögens an das exportierende Land fließen, um die Verbindlichkeiten aus dem Importgeschäft zu bedienen.“ – bto: Man baut also eine Forderung gegen das Ausland auf. Interessant ist noch, in welcher Währung man das macht, in der eigenen (Problem für das Ausland, wenn es selbst eine andere Währung nutzt) oder in einer fremden (Problem für den Gläubiger).
  • „Der Überschuss in der Leistungsbilanz gibt an, wieviel mehr Geld Deutschland aus dem Ausland erlöst, als das Ausland durch Verkäufe in Deutschland oder durch Schenkungen eingenommen hat. (…) Ein Land verkauft bei einem Leistungsbilanzüberschuss mehr Güter an das Ausland, als es aus diesem einkauft und erhöht dadurch sein Geldvermögen.“ – bto: Soweit dürfte es von niemandem Kritik geben an dieser Argumentation.
  • „(…) die Exportüberschuss = Sparüberschuss-Identität eine zentrale Schwachstelle: Sie kann keinerlei Aussage über die dazugehörigen Finanzierungen treffen. Die BMWs, die (beispielsweise) exportiert werden, könnten von deutschen Banken, den Banken des Empfängerlandes oder aus einem am Güterhandel vollkommen unbeteiligten dritten Land finanziert werden – die Zahlen zum Leistungsbilanzüberschuss oder -defizit werden uns dazu keinerlei Information geben.“ – bto: Auch das ist richtig. Wir wissen ja, dass neue Forderungen über Verschuldungsakte entstehen, wie unser Geld überhaupt. Auch dies ist bekannt. Aber egal, wo es finanziert wird, am Ende steht eine Forderung aus Deutschland an einen Schuldner im Ausland bzw. eine Investition dort, wenn die Geldforderung in ein reales Gut getauscht wird.
  • „Typischerweise geschieht im wirtschaftlichen Kreislauf erst die Finanzierung und erst darauf erfolgt die Bewegung bei den Gütern. Zentral für die behandelte Fragestellung ist, dass sich durch die Ersparnis – also das Nichtkonsumieren produzierter Güter – eines Sektors in einer Volkswirtschaft (bspw. der Haushalte) nicht die Finanzierungsspielräume eines anderen Sektors (typischerweise der Unternehmen) erhöhen, welche nun die notwendigen Mittel hätten, um Investitionen zu finanzieren. (…) Ersparnisse aus Deutschland sind keine direkte oder gar notwendige Geldquelle für Griechenland, Spanien oder die USA, um Importe zu finanzieren.“ – bto: nein. Natürlich können die Sektoren dieser Länder sich im eigenen Land verschulden. Dann wächst die dortige Geldmenge. Dann wächst auch die dortige Verschuldung (o. k., das ist jetzt tautologisch), die aber auch irgendwie bedient werden muss, was eben besser ist, wenn das Geld produktiv verwendet wird. Zusätzlich landen die Forderungen dann natürlich irgendwie bei den Exporteuren der BMWs – oder? Und damit sind wie bei dem Problem. (Die Autoren zitieren hier neben der BIZ auch Peter Bofinger, der u. a. in der F.A.Z. dasselbe erklärt hat und den bto schon damals (also vor vier Jahren) zitiert hat). → „Weltmeister oder Vampir?“
  • „Folglich ist auch die Leistungsbilanz schlichtweg stumm, wenn es darum geht, Finanzkapitalflüsse von Land A nach Land B zu identifizieren – denn sie ist lediglich ein Güter- und kein Finanzierungskonzept. Der Grund, warum viele Volkswirte so versucht sind, aus der Exportüberschuss=Sparüberschuss-Identität doch Informationen über internationale Kapitalströme zu ziehen, könnte darin liegen, dass es in vielen Makromodellen eben keinen Unterschied zwischen Gütern und Kredit gibt.“ – bto: Dennoch bleibt doch die Frage offen, was der Exporteur bekommt. Er bekommt eine Forderung.
  • „Die diesem Trugschluss zugrunde liegende Theorie ist die Loanable Funds Theorie (LFT): Banken verteilen gemäß der LFT dieses eine Gut um, ohne selbst Kaufkraft erschaffen zu können. Wäre dies wirklich der Fall, dann wäre an den eingangs erwähnten Thesen zum Kapitalüberschuss Deutschlands (unseres Korns) auch sicherlich etwas dran. In diesem Fall sind die vereinfachenden Annahmen der Makromodelle jedoch zu abstrahierend (…).“ – bto: richtig. Und die „Loanable Funds Theorie“ glaubt ja ohnehin kein Leser von bto.
  • „Wenn die griechischen, US-amerikanischen oder spanischen Banken aber gar kein Geld aus Deutschland brauchen, um die begehrten deutschen Waren zu finanzieren, sondern sich die Finanzierung über den eigenen Bankensektor beschaffen können – warum müssen wir dann noch unser wertvolles und vor allem knappes Erspartes aus Deutschland dorthin überweisen, um diese Transaktionen zu finanzieren?“ – bto: Natürlich müssen wir das nicht. Aber wir bekommen die frisch geschaffenen Zahlen am Bildschirm als Gegenleistung für unsere BMWs – oder? Und wir akzeptieren diese.
  • „Vor Ausbruch der Griechenlandkrise hieß es häufig, dass sowohl deutsche als auch französische Banken hohe Forderungen gegenüber Griechenlands Wirtschaft halten würden, welche auch dort das Leben auf Pump finanziert haben, und welche durch die Hilfspakete an Hellas bekanntlich ins Sichere gebracht werden konnten. Ein Blick auf die Statistiken der BIZ zeigt, dass der französische Bankensektor im ersten Krisenjahr 2010 sogar noch deutlich höhere Forderungen gegenüber griechischen Gläubigern hatte als der deutsche. Bekanntermaßen waren französische Banken auch in der US-Immobilienkrise in hohem Maße beteiligt.“ – bto: Ja, hier würde ich doch sagen, es ist nicht falsch, die deutsche Politik zu kritisieren, vor allem französische Banken „gerettet“ zu haben mit unserem Geld. Oder? Deutschland, Spanien und Italien haben die Franzosen rausgehauen – und jetzt sollen wir nachlegen
  • „Aber Moment mal: Frankreich? Ein Land ohne oder sogar mit tendenziell negativem Leistungsbilanzüberschuss hat Kapital in ein anderes Land investiert (also exportiert)? (…) einfachere Tatsache: Banken können selbst Geld schaffen. Ihre Kreditvergabe ist nicht durch die Ersparnisse (oder Exporte) ihres Landes limitiert.“ – bto: ja. Klar. Wo ist die überraschende Erkenntnis? Natürlich können Banken jedem in der Welt Kredit geben und dazu Geld schaffen.
  • „(…) wir (sollten) uns eher für die sogenannte Banking Glut anstatt für die Savings Glut. Wie Viral Achayra und Philipp Schnabl von der Stern School zeigen, war die Leistungsbilanz (und damit die Grundlage der Theorie der Savings Glut) eine schlichtweg irrelevante Komponente für das Engagement des Bankensektors des jeweiligen Landes in der US-Immobilienkrise. Auch Bofinger und Ries argumentieren in ihrem Papier mit Nachdruck gegen die Savings Glut-These.“ – bto: richtig. Aber was passiert denn nun mit den Forderungen, die wir aufbauen, wenn wir einen BMW exportieren?
  • „Deutschland steht nicht in einem Wettbewerb um knappe Finanzmittel, die entweder hier oder im Ausland angelegt werden können. Der Leistungsbilanzüberschuss hindert den deutschen Staat nicht daran, mehr Geld für Brücken, Straßen und Schulen zu investieren – Schuld an den mangelnden staatlichen Investitionen ist eher das politische Ziel der „schwarzen Null“, und nicht der deutsche Leistungsbilanzüberschuss.“ – bto: Da herrscht Einvernehmen.
  • Andererseits haben die Investitionsbefürworter aufgrund der Leistungsbilanz kein zusätzliches Argument in der Hand, das deutsche Kapital nach Hause zu holen und es hier zu investieren, wie es etwa von Fratzscher (…) behauptet wird. Weiterhin finanziert Deutschland zumindest nicht über seine Leistungsbilanz die Verschuldung des Auslands – das erledigen deutsche, aber genauso gut französische oder US-amerikanische Banken über ihre Kreditvergabe.“ – bto: Das stimmt.

Fazit der Autoren: „Von Leistungsbilanzen auf internationale Finanzströme zu schließen, kann schnell aufs ökonomische Glatteis und damit zu fatalen wirtschaftspolitischen Fehlentscheidungen führen.“ – bto: Den Punkt mit den fatalen Fehlentscheidungen haben die Autoren übrigens nicht begründet. Das steht da einfach so am Schluss.

Inhaltlich haben die Autoren meines Erachtens recht, wenn sie die Entstehung der Überschüsse mit der Geldschaffung in den Defizitländern erklären. Natürlich ist es in unserem Geldsystem nicht erforderlich, dass zunächst gespart wird, bevor jemand Schulden machen kann. Die Banken schaffen das neue Geld aus dem Nichts als Kredite gegen (hoffentlich) ausreichend werthaltige Sicherheiten. Insofern ist der Export unserer Ersparnisse nicht der Ausgangspunkt der Probleme.

Was sie allerdings nicht beantworten, ist Folgendes: Wir haben eine Sparleistung erbracht (Güter produziert) und einen Teil dieser Güter an das Ausland verkauft. Dies bedingt einen Tausch von Gut in Forderung. Damit folgt die Ersparnisbildung der vorangegangenen Schuldenschöpfung in den Defizitländern.

Doch was sind diese Forderungen wert? Spielt das eine Rolle? Ich denke schon. Wir haben die Ersparnisbildung im Ausland bei tendenziell schlechten Schuldnern. Da wäre es doch besser, sich andere Schuldner im In- und Ausland zu suchen. Target2-Forderungen erfüllen die Anforderungen sicherlich nicht.

Die Frage der Ersparnisstrategie der Deutschen bleibt deshalb relevant. Sie abzutun mit einer Kritik an der Entstehungsgeschichte also was war zuerst, Ersparnisüberhang versus Verschuldung in den Defizitländern ist grundlegend falsch.

Wir sparen grundlegend falsch. Statt über Henne versus Ei zu streiten, sollten wir daran etwas ändern. Und zwar schnell.

MAKRONOM: “Exportieren wir wirklich unsere Ersparnisse?”, 1. Februar 2018