Europas Energiepanik unter­streicht Notwendig­keit für Neu­start in der Klimapolitik

Daniel Gros kommentiert in der FINANZ und WIRTSCHAFT die Reaktionen der europäischen Regierungen auf die gestiegenen Energiepreise:

  • “Viele Regierungen in Europa und anderswo sehen sich mit einer unmittelbaren Energiekrise in Form steil steigender Gas- und Ölpreise konfrontiert. Wie sie darauf reagieren, wird viel mehr über ihre Fähigkeit aussagen, die konkreten Herausforderungen der ökologischen Wende zu bewältigen, als es ihre langfristigen Versprechen der CO2-Neutralität tun.” – bto: Zunächst zeigt es nur, dass die Politik kopflos agiert und nicht die Folgen eigenen Handelns bedenkt.
  • “Der aktuelle steile Anstieg der Energiepreise ist ein klassisches Beispiel einer programmierten Krise. Im Verbund mit dem Druck der Regulierungsbehörden auf die Banken, ihr Engagement in schmutzigen Industrien zurückzufahren, haben jahrelange Niedrigpreise die Investitionen in fossile Energieträger naturgemäss verringert. Die unerwartet schnelle Erholung von der Covid-19-Rezession sowie das etwas kältere Wetter auf der Nordhalbkugel reichten dann aus, um die Preise auf ihren höchsten Stand seit einem Jahrzehnt zu treiben.” – bto: Die Klimapolitik hat also gewirkt, wie sie sollte.
  • “Das Problem ist, dass sich die Konsumenten an die niedrigen Preise gewöhnt haben und jetzt wegen des plötzlichen Preisanstiegs auf die Barrikaden gehen. (…) Viele mittel- und osteuropäische Länder standen vor einem ähnlichen Problem, als sie Anfang der Neunzigerjahre ihren Zugang zu billigen Energielieferungen aus der Sowjetunion verloren. (…) Für die meisten Ökonomen war die Lösung klar: Die Regierungen sollten die Energiepreise auf Marktniveau erhöhen und einen Teil der erhöhten Einnahmen nutzen, um ärmeren Haushalten einen Pauschalbetrag zur Abdeckung der höheren Kosten zu zahlen.” – bto: Es schlägt aber auf alle Preise durch und im Unterschied zu damals gibt es nicht sofort die deutlich effizientere Alternative.
  • “Eine interessante Lehre (…) ist, dass die Qualität der Regierungsführung eines Landes sein Tempo bei der Verbesserung der Energieeffizienz stark beeinflusst.” – bto: Und diese Erkenntnis dürfte sich auch auf westliche Länder übertragen lassen.
  • “Einen hohen Anstieg der Energiepreise zu bewältigen, ist immer ein Test nicht nur für die Regierung, sondern für die Gesellschaft als Ganze.”bto: Und hier gehe ich davon aus, dass wir Deutschen für die “gute Sache” zwar besonders leidensbereit sind, aber nicht grenzenlos.
  • “Ein zentrales Merkmal einer resilienten Gesellschaft ist ihre Fähigkeit, einen Aufbau von Anfälligkeiten einschliesslich im Energiesektor zu vermeiden. Spanien, wo die Regierung derzeit angesichts steil steigender Strompreise für die privaten Haushalte in Panik ist, bietet ein anschauliches Beispiel dafür. Die Regierung hat die Familien in der Vergangenheit animiert, Stromverträge zu Tagespreisen abzuschliessen, was angesichts der niedrigen Preise der vergangenen Jahre wie ein tolles Schnäppchen erschien. Doch derartige Arrangements werden politisch unhaltbar, wenn die Preise auf dem Spotmarkt sich plötzlich verdoppeln oder verdreifachen.” – bto: Es ist ein schönes Beispiel für schlechte Politik, was es aber nicht nur in Spanien gibt.
  • “(…) die spanische Regierung verschärft ihren früheren Fehler nun, indem sie verspricht, dass die Haushalte für Strom nicht mehr bezahlen werden als 2018.” – bto: Die Differenz wird dann aus dem Wiederaufbaufonds bezahlt?
  • “In Fällen wie diesen lautet die Frage für politische Systeme, wie sie eine kleine Minderheit schützen können, deren Lebensunterhalt durch die Veränderung bedroht wird. Die einfache Antwort besteht in Subventionen für Energieträger. Doch Subventionen sind keine langfristig praktikable Lösung, weil die Regierung sie jedes Mal erhöhen müsste, wenn die Kosten für die Autofahrt zur Arbeit steigen, so, wie sie das bei jedem Dekarbonisierungsszenario zwangsläufig tun müssen.” – bto: Und das ist der Kern des Problems: Energie ist Leben, wie wir gestern im Beitrag von Herrn Bauer gesehen haben.
  • “Die Schlussfolgerung ist simpel: Gesellschaften, die die heutigen Energiepreise nicht akzeptieren können, werden sich kaum angemessen auf die ökologische Wende vorbereiten –ungeachtet ihrer Versprechungen der CO2-Neutralität für 2050 oder später.” – bto: Jene, die es tun, werden viel Geld für nichts aufgewendet haben.

Aus meiner Sicht ist klar: Wir brauchen einen Neustart in der Klimapolitik. Der jetzige Weg wird die Bürger am Ende verlieren, wenn sie überhaupt schon an Bord sind.

fuw.ch: „Was Europas Energiekrise zeigt”, 10. November 2021