Es ist leichter Schuldenkrisen zentralistisch zu lösen

Dass China und damit die Weltwirtschaft vor einer erheblichen Anpassung stehen, ist bekannt. Besonders dramatisch ist die Abhängigkeit des Landes von einer immer schneller steigenden Verschuldung. Zugleich nimmt die Wirkung der neuen Schulden auf das Wirtschaftswachstum immer mehr ab:

Quelle: Société Generale

Üblicherweise werden Reformen und vor allem eine Öffnung der Märkte gefordert. Michael Pettis, intimer Kenner Chinas und immer wieder auch bei bto zitiert, hält das für einen Fehler:

  • “China needs reform. (…) Chinese leaders should strengthen the role of markets and liberalize legal, financial and other institutions governing the economy. Their to-do list is virtually gospel by now: free up trade and investment, unshackle the exchange rate and ease capital controls.” bto: so zumindest die offiziellen Empfehlungen.
  • “Such reforms are (…) critical to solving China’s biggest problem: its debt, which has skyrocketed to well over 260 percent of GDP from 162 percent in 2008. (…) The hope is that reforms will boost productivity enough to allow China to outgrow its debt burden before that crisis hits.” bto: aus den Schulden herauswachsen? Na, das haben wir auch schon woanders gehört …
  • “China is unlikely to suffer a financial crisis, and this is precisely because of the government’s ability to restructure banking-sector liabilities at will.” bto: Das ist das Kernargument der Optimisten, dem man sich nicht unbedingt entziehen kann.
  • “Once a country’s debt burden is high enough to create uncertainty about allocating future debt-servicing costs, the debt itself becomes an obstacle to growth. This process — known as “financial distress is well-understood in finance theory but is still unfamiliar to many economists.” bto: besonders hier in Europa! Es ist doch klar, dass die Allokation der Verluste eine erhebliche Wirkung hat.
  • “In the past two centuries, there have been dozens of cases of overly-indebted countries whose policymakers have promised to implement liberalizing reforms meant to allow the country to outgrow its debt. None has succeeded. No excessively indebted country has ever outgrown its debt until a meaningful portion has been forcibly assigned to one economic sector or another.” bto: Hallo Brüssel und Berlin!! Ich fürchte, die anderen, wie vor allem die Franzosen, wissen das und haben auch schon eine Idee, wer die Verluste tragen soll!
  • “Mexico restructured its debt at a discount in 1990, thereby forcing the cost onto creditors. Germany inflated the debt away after 1919, forcing the cost onto pensioners and others with fixed incomes. A decade ago, China forced the cost onto household savers through negative real interest rates.”bto: Und diesmal werden es die deutschen Gläubiger in der Eurozone und in China wird es wohl der Staat sein?
  • “If it is going to regain sustainable growth, China, too, must deleverage. The only healthy way to do so is first, to force local governments to liquidate assets and assign part of the proceeds to debt reduction, and second, to wean China off its dependence on excessive investment by transferring wealth from local governments to households, so they can consume more.” bto: Das leuchtet ein und es kann gut sein, dass die chinesische Regierung dies auch versteht.
  • “Even those countries that have avoided financial crises have nonetheless had to deleverage, but have done so in the form of lost decades of very low growth most notably the Soviet Union in the two decades after 1967 and Japan in the two decades after 1990. In each case, the country’s share of global GDP collapsed by 60-70 percent. This is not a desirable alternative to crisis.” bto: Und nun macht es die Eurozone genauso. Wie dämlich!
  • “China’s financial sector is dominated by speculative investingand capital flight. Meanwhile, heavy state influence has distorted corporate governance and kept afloat insolvent companies. Under such conditions, opening up the financial sector would only further accommodate distortions and worsen the misallocation of investment.” bto: Das leuchtet ein, weil es eben das Fehlverhalten nicht stoppt, sondern auf andere Art und Weise fortsetzt.
  • “(…) while standard macroeconomic reforms may work in theory — albeit under an unrealistic set of assumptions they’ve never worked in practice. Rather than eliminating the controls that protect China from a financial crisis, leaders should confront their debt problem head-on and begin deleveraging.” bto: Auch das gilt doch gleichermaßen in Europa!

Fazit: “A more liberal China may be desirable in the abstract but not until a more controlled China gets a handle on its debt problems.” bto: Und hier haben wir unser Problem. Wir sind in der Eurozone zu viele verschiedene Länder. Es kann also gar nicht geordnet enden.

Bloomberg: “Maybe China Shouldn’t Open Up”, 26. November 2017

Kommentare (16) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. jobi
    jobi sagte:

    Eine interessante und wie ich meine richtige Einsicht. Liberalisierung und unbekümmerte Aufschuldung der letzten Jahrzehnte hatten nicht nur positive Effekte sondern sie haben einen Preis: Ein globales Finanzsystem, das durch die entstandenen Ungleichgewichte extrem fragil geworden ist. Heute zu glauben, man könnte die bestehende Situation durch weitere Liberalisierungen entschärfen, ist m.E. eine gefährliche Fehleinschätzung. Eine Überflutung mit chinesischem Kapital ist das letzte, was wir uns wünschen sollten.

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  2. Wolfgang Selig
    Wolfgang Selig sagte:

    Weiß jemand, warum die chinesische Neuverschuldung gerade 2017 noch einmal so enorm gestiegen ist? Michael Pettis spricht von deleveraging, aber es ist ja nicht einmal eine Verlangsamung der Neuverschuldung zu erkennen, geschweige denn ein Schuldenstop oder gar eine Restrukturierung der Schulden. Anscheinend glauben die Chinesen, so handeln zu müssen. Ist mir bei einem Land, in dem der Zentralbankchef auf der wichtigsten politischen Veranstaltung seit Jahren den Minskymoment erklären darf, nicht nachvollziehbar.

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      • Michael Stöcker
        Michael Stöcker sagte:

        Vielleicht dienen die Kitties auch nur der Erprobung der Breitenfunktionalität. Und wenn es zu bunt werden sollte, dann bleibt ja noch die Gabel. Und dann gibt es ja auch noch IOTA und wer weiß noch so alles in naher Zukunft. Komplementärwährungen sind jedenfalls schon erfolgreich in Anwendung: https://youtu.be/RVOgHi0ZMis.

      • Michael Stöcker
        Michael Stöcker sagte:

        „Der Vortrag von Lietaer gehörte leider nicht zu dieser Kategorie.“

        Nun ja, Lietaer ist nicht gerade ein rhetorisches Talent. Aber halten Sie es technisch gesehen für unmöglich, auf Basis der Blockchain regionale Komplementärwährung aufzubauen mit ähnlicher Funktionalität wie der Schweizer WIR? Hier scheint es wohl schon zu funktionieren: https://youtu.be/Ft8dSvdH2ek?t=393.

      • eth
        eth sagte:

        > Aber halten Sie es technisch gesehen für unmöglich, auf Basis der Blockchain regionale Komplementärwährung aufzubauen mit ähnlicher Funktionalität wie der Schweizer WIR?

        Das halte ich für durchaus möglich. Aber ich glaube nicht, dass das eine “garantiert Menschheits-beglückende Erfindung” ™ wäre. Inflation übrigens auch nicht. Und ich wundere mich, dass Sie sich von diesem Blockchain-Glücksritter-Hype anstecken lassen.

        Der WIR wird meines Wissens gegen solide Sicherheiten verliehen. An solide Schuldner mit guter Bonität und ordentlicher Buchführung. Und ich glaube, der Erfolg einer Währung hängt genau damit zusammen. Ist der WIR nicht sogar an den CHF ge-pegged?

        Bitcoin, Ethereum/Gas usw. sind genau das Gegenteil des WIR. Stromverschwendung schafft keinen Wohlstand. Diese Privatwährungen sind mit nichts, aber auch mit rein gar nichts besichert. Nicht mit Land, nicht mit Arbeit, nicht mit zukünftigen Steuereinnahmen. Auch nicht mit Mathematik (“in math we trust”) – die Mathematik sichert das Buch, nicht die Werte, die im Buch verzeichnet sind. Und Bücher gibt es viele. Im Übrigen sollten die Kursverläufe dieser “Währungen” jedem Nicht-Glücksspieler zu denken geben.

        > Nun ja, Lietaer ist nicht gerade ein rhetorisches Talent.

        Ich fand ihn vor allem inhaltlich sehr schwach. Wie ein Esoteriker, der sich auf die Bühne stellt und verkündet “alles hängt mit allem zusammen”. Thermodynamik, Yin-und-Yan, Ethereum-ist-nicht-Bitcoin. Studenten, welche die Performanceprobleme ansprechen wollten, werden unterbrochen, abgewatscht oder aufs Whitepaper verwiesen.

        Ich bin immer wieder erstaunt, wieviele Menschen – auch Akademiker – auf solches ex-cathedra-Geschwurbel stehen. Beobachte ich immer wieder. Andererseits haben auch Millionen von Menschen Prince Charles und Lady Diana zugejubelt, also warum wundere ich mich? :-)

      • Michael Stöcker
        Michael Stöcker sagte:

        Vielen Dank für Ihre Einschätzung, die ich grundsätzlich teile.

        „Der WIR wird meines Wissens gegen solide Sicherheiten verliehen. An solide Schuldner mit guter Bonität und ordentlicher Buchführung. Und ich glaube, der Erfolg einer Währung hängt genau damit zusammen. Ist der WIR nicht sogar an den CHF ge-pegged?“

        Exakt. Von daher erwähne ich im Kontext von Komplementärwährungen auch immer den WIR. Und genau so sollte auch eine erfolgreiche Komplementärwährung aufgebaut sein. Kein dümmliches Mining ähnlich ökologisch desaströs wie beim „echten“ Goldmining, sondern solide Kreditvergabe und somit dynamische Geldmengen, die sich den Erfordernissen der jeweiligen Sachlage anpassen können. Zu den erforderlichen Regelungen im Details siehe auch: https://www.wir.ch/ueber-wir/fragen-antworten-faq/.

        „Aber ich glaube nicht, dass das eine „garantiert Menschheits-beglückende Erfindung“ ™ wäre.“

        Ich auch nicht; aber desaströse Entwicklungen wie in Griechenland könnten viel besser abgefedert werden, indem lokale/regionale Kreditketten aufgebaut werden. Es geht also um mehr Stabilität in Krisensituationen, in denen die Liquidität im Primärmarkt (Euro, Dollar…) wegbricht und sodann vermehrt die lokale Währung diese Liquiditätslücke ausgleichen kann. Kann man dann auch noch seine lokalen Steuern anteilig (z. B. 10 %) in dieser Komplementärwährung zahlen, dann wird ein zusätzlicher starker Akzeptanz-Anreiz geschaffen.

        LG Michael Stöcker

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