Elektromobilität als Killer des Standortes D

Schon vor Wochen habe ich an dieser Stelle die Bedrohung des Standortes D durch den Vormarsch der Elektromobilität diskutiert. Nicht alle Leser waren mit mir einer Meinung und haben gute technische Anmerkungen gebracht, die doch noch Hoffnung geben, es käme langsamer/später und die deutsche Industrie könnte sich noch anpassen. Hoffen wir es mal!

Dennoch setzen sich die Mahnungen fort. So schätzt Morgan Stanley, dass im Jahre 2050 70 Prozent des europäischen Automarktes von Elektrofahrzeugen bedient wird. Das ist zwar deutlich weniger als die Aussage von Tony Seba, der das völlige Ende des Verbrennungsmotors schon für das Jahr 2025 ausgerufen hat. Richtig gut ist das Szenario für die deutsche Industrie dennoch nicht. Zunächst der Telegraph und dann die Welt zu einer Studie, die die Idee einer Bad Bank für die kaputte deutsche Zulieferindustrie ins Spiel bringt …:

  • Global banks in London and New York are no longer debating whether the switch-over will occur. Research reports have shifted to granular analysis over what this means for large swathes of the economy, and who will be the winners and losers as the old edifice crumbles.” bto: Wenn es wirklich zu diesem Umbruch kommt, sind die Folgen erheblich. Alte Industrien und Unternehmen werden zerstört.
  • “A report from (…) Morgan Stanley says (…) It is becoming more costly each year to develop petrol and diesel cars that comply with tightening rules on emissions of CO2 and particulates (NOx), yet the cost of EV batteries keeps falling. The crossover point will arrive in the mid-2020s.”bto: Folgendes Chart unterstreicht das eindrücklich:

Quelle: Telegraph

  • “A widely-cited report by Tony Seba and James Arbib at RethinkX argues that it will make no sense to manufacture fossil-driven cars, trucks, buses, or tractors within a decade.” bto: Den Report habe ich auf bto ausführlich besprochen.
  • “(In) China (…) under the latest draft proposals from the industry ministry, all car companies will have to reach an EV quota of 8pc of sales from next year, 10pc by 2019, and 12pc by 2020. Morgan Stanley said it would be very difficult for Volkswagen, BMW, and Mercedes to comply with this. They will hit a sales cap in China.” bto: Und damit würden die deutschen Hersteller ihren Cash-Pool verlieren. Schwächere Profitabilität, technologischer Bruch und überflüssige/falsche Kapazitäten sind ein explosives Gemisch.
  • “A parallel battle for mastery over electrification is underway among power companies, each eyeing control of ultra-fast charging points in the way that US railroad barons sought to snap up lands in late 19th Century. Even more money will be made from the ‘big data’ networks that underpin EV technology.” bto: Das sind alles Kompetenzen, die nicht in Deutschland liegen.
  • “Morgan Stanley says electrification will break the existing system over time. Utility companies should have no trouble over the next decade but the extra power required to recharge a European fleet of 150m cars in 2050 would be equivalent to an “another Germany’ springing into being.” bto: was eine Marktchance darstellt. Die Frage ist, wer die Technologie liefert, um das umzusetzen.

Fazit Telegraph: “Everything is up in the air. All we know is that vast sums are at stake and vested interests that fail to adapt in time will be wiped out.”

bto: Wie wahr diese Einschätzung ist, zeigt ein Beitrag aus der Welt, die eine aktuelle Studie des Center Automotive Research (CAR) zu den Zukunftsaussichten der deutschen Automobilzulieferer zusammenfasst:

  • Den deutschen Autozulieferern drohen laut einer neuen Studie große Schwierigkeiten durch die Umstellung vom Verbrennungsmotor auf den Elektroantrieb. Allein bei den vier größten deutschen Zulieferern Bosch, Continental, Schaeffler und ZF sind 29 Prozent der Gesamtumsätze vom Verbrennungsmotor abhängig und damit im Zuge des technologischen Wandels gefährdet.” – bto: Die 29 Prozent wirken harmlos. Verlieren die Hauptkunden, weil sie den technischen Wandel verpennt haben, an Marktanteil, sind die Verluste für die Zulieferer deutlich höher.
  • Besonders gefährdet ist laut der Studie Schaeffler, wo die Hälfte des Umsatzes von Teilen abhängt, die nicht mehr benötigt werden, wenn es nur noch vollelektrische Autos geben sollte. Betrachtet man nur den Umsatz, den Schaeffler im Automobilgeschäft macht, liegt der gefährdete Anteil sogar bei 66 Prozent. Das entspricht rund 6,6 Milliarden Euro.” – bto: was dann die Frage aufwirft, ob es wirklich die richtige Strategie war, mit riskanten Akquisitionen auf diese Karte zu setzen.
  • Bei Bosch kommen die Forscher auf einen Umsatz von 18,9 Milliarden Euro, die noch am Verbrennungsmotor hängen, das entspricht etwa 27 Prozent der Gesamtumsätze des Stuttgarter Zulieferers.bto: was – wie gesagt – das Risiko unterschätzt.
  • Für die größten deutschen Zulieferer könnte der Wandel zur Elektromobilität vor allem dann ein Problem werden, wenn er zu schnell passiert, schreiben die Forscher.” – bto: Da ist man versucht zu sagen: “Ach nein, wie kommen die denn darauf?” Das ist doch glasklar und erklärt das Versagen der Industrie. Weil sie auf (im schlimmsten Fall schnell) wertlosen Assets sitzt, bremst sie den Wandel. Das Ergebnis wird sein, dass es andere/neue Wettbewerber schaffen, den Markt zu erobern. So genannte „Incumbents“ können sich nicht anpassen. Sie sterben. (Ausnahmen bestätigen die Regel).
  • Für das Auto-Land Deutschland ist das durchaus eine bedrohliche Entwicklung. (…) Laut Statistischem Bundesamt sind in der Zulieferindustrie allein mehr als 302.000 Menschen in fast 700 Unternehmen beschäftigt.”
  • Die CAR-Forscher machen daher einen radikalen Vorschlag: Damit sich die Lieferanten besser auf die Zukunftsfelder einstellen können, sollten sie nach dem Vorbild der „Bad Banks“ oder den Unternehmen aus der Energiebranche ganze Unternehmenssparten abspalten, die durch den technologischen Wandel wegfallen.” – bto: Ja, genau das müssen sie machen! Problem ist nur, dass es sich um erhebliche Unternehmensteile handelt. Deshalb machen sie es nicht. Zudem ist der Zeitpunkt zum Verkauf vorbei. Wer kauft das noch? Ich denke an die Filmhersteller, die auch dachten mit einer Konsolidierung noch das alte Geschäft zu retten. Lang, lang ist’s her.

bto: Im schlimmsten Fall steht Deutschland vor dem Verlust der nächsten traditionellen Industriebranche aus dem Kaiserreich – nach Foto, Unterhaltungselektronik, Pharma …

The Telegraph: “Scramble begins for the vast financial prize of electric vehicles”, 20. Juni 2017

WELT.de: “Bad Banks sollen Geschäft deutscher Autozulieferer retten”, 21. Juni 2017