„Ein Lehrstück über zwei gescheiterte Volkswirtschaften“

„Sehr geehrter Herr Stelter, ich wäre sehr neugierig auf Ihren Kommentar zu diesem Artikel. Wenn ich mich recht erinnere, hatten Sie in der Vergangenheit ähnlich argumentiert. Vielleicht finden Sie die Zeit für einen Blog-Beitrag.“

Einer solch netten Bitte entspreche ich gerne. Ich hatte den sehr guten Beitrag der Kollegen von never mind the markets schon gesehen. In der Tat deckt sich der Kommentar, in dem die Entwicklung von Griechenland mit der Islands verglichen wird, mit meiner Einschätzung. Persönlich finde ich einen Vergleich Islands und Irlands noch besser. Dazu nachher mehr. Zunächst die Analyse der Kollegen:

  • „Es waren einmal zwei Länder am Rande Europas. Beide waren aus weltwirtschaftlicher Sicht kaum relevant. Beide erlebten in den Jahren zwischen 2000 und 2007 einen enormen, in der eigenen Geschichte beispiellosen Boom. Bei beiden war dieser Boom von Kapitalzuflüssen aus dem Ausland finanziert. Beide konnten sich günstig finanzieren. Und beide glaubten, die guten Zeiten würden nicht enden. Nach der globalen Finanzkrise von 2008 geschah aber genau das: Die gute Zeit endete.“ – bto: Gemeint sind hier Island und Griechenland, es galt aber genauso für Irland und Spanien.
  • „Beide stürzten ab. Und beide benötigten ein Unterstützungsprogramm des Internationalen Währungsfonds. Danach entwickelten sich die beiden Volkswirtschaften unterschiedlich: Die eine erholte sich schnell. Die andere steckt weiterhin in einer Depression. Der Name der ersten Volkswirtschaft: Island. Der Name der zweiten: Griechenland. Hinzufügen – wenn auch nicht so schlimm wie Griechenland – kann man Spanien und Irland, Portugal und eigentlich auch Italien. Denn alle leiden unter dem gleichen Problem: einem ungünstigen Wechselkurs, zu hohen Kosten und hohen Schulden. Finnland passt auch noch, allerdings sind dort die Schulden noch nicht so ein Problem.“
  • Dann zeigen die Kollegen die katastrophalen Zahlen für beide Länder und die darauf folgende deutliche Erholung in Island, im Unterschied zur Dauerkrise in Griechenland: „Island. Auch dort brach die Wirtschaft 2009 und 2010 um rund acht Prozent ein, schwenkte aber bereits 2011 wieder auf Wachstum um. Der Leistungsbilanzsaldo drehte 2013 deutlich in den positiven Bereich, die Staatsschuld ist von über 112 auf 96 Prozent des BIP gesunken.“ – bto: eine direkte Folge intelligenter Wirtschaftspolitik und der Freiräume, die das Land hatte.

Danach zeigen die Kollegen die zentralen Gründe hinter dieser unterschiedlichen Entwicklung, um sie so zusammenzufassen:

  1. Die Existenz einer autonomen Geldpolitik, dank der die eigene Währung abgewertet werden kann: Das bringt die Leistungsbilanz ins Lot und verringert oder eliminiert die Abhängigkeit von Kapitalimporten aus dem Ausland. – bto: Die drastische Abwertung hat Island enorm geholfen. Ob das in Griechenland auch funktioniert hätte, ist angesichts der schwachen wirtschaftlichen Basis umstritten. In Italien, Spanien, Irland, Finnland und Frankreich hätte es sicherlich gewirkt (Portugal bin ich auch skeptisch). Ohne Euro ginge es allen diesen Ländern besser.
  2. Private Schulden in den Händen privater Gläubiger lassen sich einfacher zum Verschwinden bringen als öffentliche Schulden in den Händen quasi-öffentlicher Gläubiger. Und das ist für die Verarbeitung einer Schuldenkrise der Schlüssel: Faule Schulden müssen möglichst rasch aus dem Finanzsystem entfernt werden. – bto: Beide Punkte stimmen. Irland hätte genau dasselbe machen sollen. Statt die eigenen Banken zu „retten“ hätte der Staat diese unter Beteiligung der Gläubiger (deutsche, französische und britische Banken) sanieren sollen!
  3. Verhandlungen über Rettungspakete, Schuldenrestrukturierungen und Austeritätsprogramme müssen nüchtern und sachlich, ohne Moralbelehrungen geführt werden. Das ermöglicht es der Regierung des Krisenstaates, gegenüber der eigenen Bevölkerung die Verantwortung für die Programme zu übernehmen. – bto: Das stimmt. Ist auch besser für die staatlichen Gläubiger, die dann nicht als Sündenböcke für alles herhalten müssen.

Alles richtig. Ich denke, der entscheidende Vorteil ist in der Tat:

  • eine eigene Währung, die man abwerten kann (steigert Export, führt zu Inflation, was Schulden entwertet);
  • die direkte Beteiligung der privaten Gläubiger (nur der ausländischen), was Island mustergültig gemacht hat;
  • Bestrafen der Verantwortlichen, ist in Island auch erfolgt;
  • Hinterfragen des Systems: Island prüft Vollgeld, um die Banken zu zähmen.

Hier nochmals die Beiträge zu Island:

→ Syriza hat recht: Island hat es richtig gemacht
→ Vollgeldsystem: So lösen sich Schulden in Nichts auf

Wie gut es für die Isländer gelaufen ist, zeigt übrigens auch die Darstellung des Wohlstands pro Kopf in Europa:

→ „Wealth per Capita by Country in Europe: The Map“
Und hier die FuW:

→ FINANZ und WIRTSCHAFT: „Ein Lehrstück über zwei gescheiterte Volkswirtschaften“, 20. November 2015

Kommentare (4) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Alexander Naghi
    Alexander Naghi sagte:

    Sehr geehrter Herr Stelter,

    ich bin bei Ihnen, dass die Einführung einer eigenen Währung, die man abwerten kann, zu steigenen Exporten bzw. Inflation (über bspw. steigende Importpreise aufgrund der Abwertung) führen kann. Ich sehe allerdings nicht, wie die Einführung einer eigenen Währung verbunden mit einer Abwertung dieser zu einer Entwertung der Schulden führt, da diese noch “Altschulden” und in Euro sind. In Gegenteil, eine Abwertung der eingeführten Währung würde es sehr schwierig machen, die Euro-Schulden zu bedienen (es sei denn, diese schreibt man zu einem grossen Teil ab). Ahnliches kann derzeit in Osteuropa beobachtet werden, wo viele (Privat-) Kredite in CHF sind und infolge der Aufwertung die Menschen dort grosse Schwierigkeiten haben, diese zu bedienen.

    Danke und Gruß,
    Alexander Naghi

    Antworten
    • Christian Müller
      Christian Müller sagte:

      Eine Abwertung macht nur Sinn, wenn damit sämtliche Verträge, Schulden und Guthaben per Gesetz/Dekret umgestellt werden auf die neue Währung und mitabwerten. Für alle Verträge, Schulden und Guthaben, die der inländischen Gerichtsbarkeit unterliegen, wird das gehen.

      In Osteuropa werden m.W. CHF-Kredite per Dekret in die jeweils eigene Währung umgeschrieben, da solche eben nicht in der Schweiz, sondern im eigenen Land und bei eigenen Banken aufgenommen wurden.

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