„Die Welt am Wendepunkt“

Ein sehr guter Kommentar in der FINANZ und WIRTSCHAFT: „Während fast vierzig Jahren erlebten die westlichen Volkswirtschaften sinkende Realzinsen, stagnierende Lohneinkommen und steigende Schulden. Damit könnte es bald vorbei sein.“ – bto: Genau danach sieht es aus. Vielleicht gelingt es ja noch, das System eine Runde weiter zu bekommen. Sicher ist dies aber keineswegs!

  • „Hier sind Löwen. So lautete auf alten Karten die Bezeichnung für unbekanntes Territorium. Im übertragenen Sinn sind die Zentralbanken – und mit ihnen alle Akteure an den Finanzmärkten – längst auf dem Gebiet der Löwen angekommen. Nie zuvor in der Geschichte war das Zinsniveau niedriger als heute. Und nie zuvor lag der Stand der weltweit aggregierten Schulden höher.“ – bto: wobei man das schon 2008 hätte schreiben können und die Politik es doch geschafft hat, noch eine Runde weiter zu kommen (mit rund 57 Billionen mehr Schulden, wie McKinsey so schön vorrechnet).
  • „Die Rekordstände von Zinsen und Schulden sind nämlich bloss der Schlussakt einer Entwicklung, die fast vierzig Jahre gedauert und die das Weltwirtschaftswachstum, die Inflationsraten, das Zinsniveau sowie die Aktien- und die Immobilienmärkte erheblich beeinflusst hat. Diese Entwicklung ist nun an ihrem Ende angelangt.“ – bto: Aber auch in der Zeit vor 2008 war es vor allem die Politik, die diesen Anstieg der Schulden mit allen Mittel gefördert hat, um über die fundamentalen Schwächen hinweg zu täuschen.
  • „(…) alle entwickelten Volkswirtschaften ab den späten Siebzigerjahren eine vergleichbare Entwicklung durchlaufen: Die Realzinsen sinken, der kumulierte Schuldenstand von Haushalten, Unternehmen und Staat steigt. Hinzu kommt ein weiteres, drittes Phänomen: Die realen Lohneinkommen der Bevölkerung stagnieren.“ – bto: wobei ich in den Schulden den Versuch der Politik sehe, eben genau den Effekt der stagnierenden Löhne zu kompensieren.
  • Die drei Phänomene sind miteinander verbunden. Und alle haben ihre Wurzel in drei breit gefassten demografischen Wellen, die jede für sich einzigartig und nicht wiederholbar ist.
  • In der ersten Welle stieg die Babyboom-Generation in Nordamerika und Westeuropa in die Ränge der arbeitstätigen Bevölkerung auf. In der zweiten Welle (…) gelangte die Bevölkerung der ehemaligen Ostblockstaaten in den Pool der weltweit verfügbaren Arbeitskräfte. In der dritten Welle, mit der Öffnung der Volksrepublik China (…) stiessen mehrere hundert Millionen Arbeitskräfte zur Weltwirtschaft. Mit diesen drei Wellen hat sich das globale Angebot an Arbeitskräften fast verdreifacht.“ – bto: Das ist richtig und beschreibt sehr schön einen Angebotsschock. Der nächste kommt, wenn die alle in Rente gehen (wollen).
  • „In der Folge sanken, trotz Wirtschaftswachstum, auf globaler Ebene die Arbeitskosten, was für die Weltwirtschaft einen gewaltigen disinflationären Effekt hatte.“ – bto: und zu stagnierendem Einkommen für die normalen Arbeitnehmer führte.
  • „Westliche Unternehmen drosselten in ihrer Heimat die Investitionen (…). Die Drosselung der Investitionsnachfrage, gekoppelt mit den hohen Sparquoten in den Schwellenländern, führte zu einem Überangebot an Kapital – und damit zu sinkenden Realzinsen.“ – bto: Das ist die Kernthese von Bernanke und Summers. Die Diskussion habe ich hier schon mal gehabt: → Säkulare Stagnation als Grund für tiefe Zinsen? Allerdings bin ich nicht überzeugt. Ich denke, die Notenbanken der westlichen Welt, allen voran die Fed, wollten mit billigem Geld die Nachfrage ankurbeln und haben so das Überangebot an Kapital verstärkt. Zudem braucht es in unserem Geldsystem keine Ersparnis, um Kredite zu vergeben, Geld wird so geschaffen. Und das haben die Banken mehr als großzügig getan, allerdings überwiegend für unproduktive Zwecke.
  • Die sinkenden Realzinsen wiederum verführten die westlichen Haushalte dazu, mehr Schulden aufzunehmen, um sich ein Haus, ein Auto oder den laufenden Konsum zu finanzieren.“ – bto: Ich denke, es war eine bewusste Entscheidung der Politik, in diese Richtung zu gehen. Es war ganz klar gewollt.
  • „Inflation war nirgends zu sehen, die Notenbanken konnten eine betont lockere Geldpolitik verfolgen. Das begünstigte zwar die Blasenbildung an den Immobilien- und den Aktienmärkten, doch ihr Platzen konnte stets mit noch expansiverer Geldpolitik aufgefangen werden.“ – bto: Das sehe ich auch so. Man hat immer asymmetrisch reagiert.
  • „Alle drei demografischen Supertrends sind ausgelaufen. Die Babyboom-Generation hat das Rentenalter erreicht und scheidet allmählich aus dem Pool der Arbeitskräfte aus. Der Effekt der Ostblockintegration ist schon länger abgeklungen. Auch der dritte Trend, die enorm disinflationär wirkende Integration von mehreren hundert Millionen Chinesen, hat sein Ende gefunden. Die Arbeitskosten in China steigen seit mehreren Jahren im Schnitt um 16% per annum; die Demografie der Volksrepublik ist derart ungünstig, dass auch dort die Zahl der im Erwerbsalter stehenden Einwohner bereits schrumpft.“ – bto: Auch das stimmt. Es hat Wirkung auf Zinsen, aber auch darüber hinaus, siehe mein Kommentar: → „Wie die Demografie-Falle Ihr Vermögen bedroht“
  • „Es ist keine demografische Kraft sichtbar, die genügend gross wäre, um diesen Effekt zu kompensieren; nicht in Indien, nicht in Afrika. Immigration hilft zwar in einzelnen Volkswirtschaften, ist für sich aber kein Faktor, der den Trend in Europa, China oder Japan zu drehen vermag.“ – bto: Deshalb ist auch die Flüchtlingsdiskussion so falsch. Wir dürfen uns keine weiteren Probleme dazu schaffen. Tun wir aber, siehe meine diesbezüglichen Beiträge.
  • Zwei Szenarien sind denkbar, nennen wir das erste ‚Japan‘ und das zweite ‚Reflation‘“. 
  • „Japan ist, was die demografische Entwicklung betrifft, Europa um rund zehn und China um rund fünfzehn Jahre voraus. In Japan schrumpft die Zahl der Arbeitstätigen in der Bevölkerung seit 1995. Die Folge ist eine mehr oder weniger permanente inländische Nachfrageschwäche, die sich in einer leicht negativen Teuerungsrate – Deflation.“ – bto: Das japanische Szenario ist durchaus realistisch.  → Deutschlands japanisches Szenario. Ich nenne es Eiszeit.
  • „Angewandt auf den Rest der entwickelten Welt, inklusive Chinas und Osteuropas, bedeutete dies für die kommenden Jahre ebenfalls eine permanente Nachfrageschwäche, Deflation und niedrige Realzinsen: die von einigen Ökonomen prophezeite säkulare Stagnation. In diesem Szenario bliebe die Geldpolitik der Notenbanken nicht bloss expansiv, sondern würde sogar immer extremere Züge annehmen.“ – bto: Ich denke aber im Unterschied zu Summers, dass die Schulden und nicht der Ersparnisüberhang die Stagnation verursacht. → „30 Jahre Stagnation der Weltwirtschaft“
  • Das ‚Japan‘-Szenario könnte eines Tages damit enden, dass die Märkte das Vertrauen in eine Zentralbank respektive ihre Währung verlieren, was eine heftige Hyperinflation nach sich zöge. Auch hier wird Japan möglicherweise den Weg zeigen.“ – bto: Wie ich das schon vor Monaten schrieb, denke ich das auch. Die Notenbank wird monetarisieren und es wird spannend, wie es funktioniert.
  • Das Szenario ‚Reflation‘ sieht komplett anders aus. Der schrumpfende Anteil der arbeitstätigen Bevölkerung wird zu Knappheitserscheinungen und damit zu steigenden Arbeitskosten führen. Unternehmen werden wieder mehr Anreize haben, in Technologie zu investieren, um ihre Arbeitsproduktivität zu erhöhen. Die gestiegene Investitionsnachfrage – gekoppelt mit sinkenden Sparquoten, weil ein immer grösserer Teil der Bevölkerung das Rentenalter erreicht hat – wird Kapital teurer werden lassen: Die Realzinsen steigen. In diesem Szenario werden die Zentralbanken möglicherweise unverhofft mit hartnäckiger Inflation konfrontiert sein, wenn sich am Arbeitsmarkt die Lohn-Preis-Spirale zu drehen beginnt.“ – bto: Deshalb habe ich auch von Demografie-Falle gesprochen. Denn dann fallen die Vermögenspreise, während die Preise für Waren steigen. Das wäre also ebenso wie „Japan“ ein Desaster für Vermögen. 

„Welches der beiden Szenarien wird eintreten? Es ist unmöglich, das zu wissen.

bto: Mein Szenario ist zunächst die Eiszeit, die dann in einer Hyperinflation endet.

→ FuW: „Die Welt am Wendepunkt“, 23. Dezember 2015