Die Über­windung der Markt­wirt­schaft ist nicht erforderlich

In meinem morgigen Podcast (20. Februar 2022) geht es erneut um die Frage, ob der Kapitalismus zum Wachstum zwingt. Im Gespräch dazu Oliver Richters. Der studierte Physiker hat in Volkswirtschaftslehre promoviert und arbeitet am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) zu Klimarisikomanagement im Finanzsektor. Forschungsschwerpunkte sind liberale Wege zu einer nachhaltigen Ökonomie. Gelegentlich tritt Richters als Kabarettist und Science-Slammer auf. Mit Andreas Siemoneit hat er das Buch “Marktwirtschaft reparieren” im oekom-Verlag veröffentlicht. Darin beschreiben sie Marktwirtschaft als überzeugende soziale Utopie, die einfach, robust, effizient und gerecht sein kann.

Unten der Link zu einem Beitrag von Richters und Siemoneit zum Thema auf EconStore, einem ein Angebot der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft. Hier die Zusammenfassung:

Dieser Artikel liefert zunächst sehr ausführlich begründete Definitionen der Schlüsselbegriffe „sozialer Zwang“ und „Wachstumszwang“. Insbesondere Letzterer ist bislang nur auf der Makroebene oder ansonsten eher umgangssprachlich definiert. Ausgehend von dieser Definition untersuchen wir dann verschiedene in der Literatur aufgestellte Hypothesen, dass Nachfrager (Konsumenten) oder Anbieter (Produzenten) aufgrund sozio-kultureller Mechanismen einem Wachstumszwang unterliegen würden (Stichwort „Wachstumsparadigma in den Köpfen“). Wir zeigen, dass diese Hypothesen einerseits nicht tragfähig sind: Entweder verweisen sie letztlich auf ökonomischen Druck (wozu auch Wettbewerbsvorteile durch sogenannte Innovationen gehören), oder sie erfüllen nicht unsere Anforderungen an einen Wachstumszwang. Andererseits führen wir den Begriff der „Angebote, die man nicht ablehnen kann“ ein. Hierunter fallen vor allem zwei Dinge: Alle Bestrebungen, weit oben auf der sozialen Leiter zu stehen (weil das unmittelbar auch zu materiellen Vorteilen führt), und das Phänomen des Effizienzkonsums (siehe DP 3). Sowohl Zwangsmechanismen als auch attraktive Angebote führen zu ähnlichen gesellschaftlichen Dynamiken, sodass eine strikte Trennung zwischen „Streben“ und „Zwang“ analytisch nicht sinnvoll erscheint. Wir gehen durch die „klassischen“ und neuen Theorien, warum die Ökonomie einem Wachstumszwang unterliege: Geld, Wettbewerb und Gewinnorientierung, technischer Fortschritt, staatliche Wachstumspolitik und sozio-kulturelle Mechanismen (wobei wir bei Geld und sozio-kulturellen Mechanismen auf unsere anderen Artikel verweisen). Unser Ergebnis ist eindeutig: Nur der sogenannte technische Fortschritt, der recht einseitig menschliche Arbeit durch maschinellen Ressourcenverbrauch ersetzt, hat das Potenzial, eine auf Marktwirtschaft basierende Gesellschaft „in den Wahnsinn zu treiben“. Die vordergründig treibende Kraft ist eine staatliche Wachstumspolitik, die jedoch vor allem auf die durch Prozessinnovationen verursachte „technologische Arbeitslosigkeit“ reagiert, welche durch neue Produktinnovationen nicht verlässlich kompensiert wird. Akkumulation, Ungleichheit und Kreditgeld (Finanzierung ohne vorhergehendes Sparen) verstärken das Problem durch verschiedene Effekte. Es ist also nicht so, dass nur ein Mechanismus „verantwortlich“ ist, aber wir betrachten technischen Fortschritt (bzw. den entsprechenden Ressourcenverbrauch) durchaus als obersten Punkt in einer „Hierarchie der Ursachen“. Ein Ausweg aus dem Dilemma könnten institutionelle Verbrauchsbegrenzungen (Cap & Trade) und die Begrenzung von Akkumulation (Reichtum, Konzerne) sein. Die Überwindung von Marktwirtschaft ist dafür nicht erforderlich.

econstor.eu „The contested concept of growth imperatives: Technology and the fear of stagnation”, 2018