„Die Sorgen-Formel der Zukunft“

Immer wieder verweise ich mit Blick auf die wirtschaftlichen Aussichten Deutschlands auf die geringen zu erwartenden Produktivitätszuwächse. Wenn es überhaupt Zuwächse sind! Passend dazu ein Beitrag der FINANZ und WIRTSCHAFT, die in einfachen Worten die dahinterliegende Mechanik erläutert:

  • „Während das Thema einer vierten industriellen Revolution die Business-Welt beschäftigt wie kaum ein anderes, zweifelt der Ökonom Robert Gordon daran. (…) Für Gordons Analyse spricht die Entwicklung der Produktivität. Eine technologische Revolution müsste diese explodieren lassen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Seit 2003 ist sie deutlich am Schrumpfen.“ – bto: Ich habe Gordon schon öfter hier zitiert und erwähne ihn auch in der Eiszeit.
  • Entscheidend ist, dass „weitere deutliche Steigerungen der Produktivität notwendig sind, wenn wir unseren Lebensstandard nur schon halten wollen und dass dieser sinkt, wenn die Produktivität zu wenig zunimmt“.
  • Das Einkommen pro Kopf hängt ab von der Anzahl der gearbeiteten Stunden und der Arbeitsproduktivität, also der Produktion pro geleisteter Stunde. Letzteres wird vor allem vom technischen Fortschritt getrieben.
  • „Das Einkommen pro Kopf geht also nicht nur zurück, wenn die Produktivität schrumpft, sondern auch dann, wenn in einer Gesellschaft insgesamt weniger gearbeitet wird. Umgekehrt formuliert muss die Produktivität umso stärker steigen, je mehr die gearbeiteten Stunden pro Kopf sinken, wenn das Pro-Kopf-Einkommen gehalten werden soll.“ – bto: Wenn wir also mehr Rentner haben, müssen die anderen entweder mehr Stunden arbeiten oder deutlich produktiver werden.
  • „Je kürzer die Arbeitszeit der Beschäftigten und/oder je geringer der Anteil der Beschäftigten an der Arbeitsbevölkerung und/oder je geringer der Anteil der Arbeitsbevölkerung an der Gesamtbevölkerung ist, je kleiner ist der Anteil gearbeiteter Stunden pro Person und entsprechend geringer fällt auch das Einkommen pro Kopf aus – außer all diese Effekte werden durch eine entsprechend höhere Produktivität kompensiert.“

Wie schlecht es um die weltweite Produktivitätsentwicklung steht, zeigt dieses Chart von JP Morgan:

Produktifität

  • „Die Bedeutung von Steuern und Sozialabgaben steht ebenfalls im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel: Ein größerer Anteil der Bevölkerung im Alter führt erwartungsgemäß zu höheren Kosten für Pflege und Sozialversicherungen und einem geringeren Anteil an Arbeitseinkommen, die besteuert werden können. Beides für sich führt zu einer höheren Abgabenlast auf den Einkommen der Aktivbevölkerung. Die Folge ist ein (noch) geringeres verfügbares Einkommen des (Median-)Lohnempfängers.“
  • „Robert Gordon hat alle Effekte für die USA in seinem Buch geschätzt, wobei er ein seiner Ansicht nach optimistisches Produktivitätswachstum von 1,2 Prozent pro Jahr zwischen 2015 und 2040. Weil es sich um Wachstumszahlen handelt, müssen alle in den obigen Formeln multiplizierten Einflussfaktoren auf das Pro-Kopf-Einkommen nun summiert (bzw. subtrahiert) werden. So senkt gemäß der Schätzung ein erwarteter Rückgang der gearbeiteten Stunden pro Person das Pro-Kopf-Einkommen um 0,4 Prozent jährlich. Die Ungleichheit (laut Gordon vor allem in den USA ein Problem) führt zu einem weiteren Abzug von 0,4 Prozent vom Durchschnitts-Pro-Kopf-Einkommen, um den entsprechenden Median-Wert zu erhalten. Die höheren Abgaben werden laut Gordons Schätzung zu einem weiteren Abzug von 0,1 Prozent pro Jahr führen. Im Ergebnis bleibt gerade noch ein Wachstum des verfügbaren jährlichen Median-Einkommens von 0,3 Prozent bis 2040 – deutlich weniger als 1,46 Prozent pro Jahr in den letzten 45 Jahren und 2,25 Prozent pro Jahr von 1920 bis 1970 (erste und zweite Spalte).“

 

 

bto: Das unterstreicht nochmals überdeutlich, in was für einem Ponzi-Schema wir unterwegs sind. Die Verbindlichkeiten werden nicht bedient und der Wohlstand wird sinken. Die USA stehen da aber viel besser da als wir: mehr qualifizierte Zuwanderung, bessere eigene demografische Entwicklung.

Doch auch in den USA ist ein Reset unumgänglich:

Quelle: Stan Druckenmiller, Zero Hedge

FINANZ und WIRTSCHAFT: „Die Sorgen-Formel der Zukunft“, 4. April 2016

Zero Hedge: Stanley Druckenmiller: „This Is The Most Unsustainable Situation I Have Seen In My Career“, 3. April 2016

Kommentare (5) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Stefan Ludwig
    Stefan Ludwig sagte:

    Hallo Herr Tischer,

    den letzten Satz ihrers Postings Zitat “Von ANDEREN abhängig zu sein bezüglich eines Lebensgefühls, das nicht mehr vorrangig durch materiellen Besitz geprägt ist.”

    verstehe ich nicht wirklich. Ich könnte jetzt herumintepretieren. Das mag ich aber nicht. Erläutern sie doch bitte was genau sie damit meinen.

    mit freundlichen Grüßen

    Stefan Ludwig

    Antworten
    • Dietmar Tischer
      Dietmar Tischer sagte:

      Wenn Sie im Arbeitsleben stehen und Geld verdienen, dann bestimmen SIE – speziell auch über ihre Grundbedürfnisse hinaus –, wie Sie Ihr Leben mit dem zur Verfügung stehenden Einkommen gestalten (selbstverständlich auch in Abhängigkeit von anderen, die für das Angebot sorgen). Wenn sie damit sehr erfolgreich sind und gut vorsorgen, können sie das auch noch im Alter.

      Dagegen haben in einer VERMEHRT von Alten und Armen geprägten Gesellschaft zumindest diese und auch andere, die sie unterstützen müssen, nicht das Einkommen, über Grundbedürfnisse hinaus – nach Art und Umfang nach bereits vielfach von anderen festgelegt – etwas zu gestalten. Insbesondere können Sie nicht wie vorher dargelegt durch Erwerb materieller Dinge viel gestalten.

      Diese Menschen sind in hohem Grad von anderen abhängig (unabhängig davon, dass sie dies als gebrechliche Menschen in hohem Alter sowieso sind), weil ihr materieller Gestaltungsrahmen durch Transfers finanziert wird, also das, was andere ihnen zubilligen.

      Als Referenz für Wohlstand wird für diese Menschen das SEIN zu gelten haben als das, was ich hier Lebensgefühl nenne, und nicht das HABEN (materieller Besitz).

      Antworten
  2. Dietmar Tischer
    Dietmar Tischer sagte:

    Ein Artikel, der zum Kern der Dinge kommt, nämlich FUNDAMTALEN realwirtschaftlichen STRUKTURÄNDERUNGN in den entwickelten Volkswirtschaften (selbstverständlich mit Auswirkungen auf die sich entwickelnden Volkswirtschaften).

    Die vierte industrielle Revolution ist renditegetrieben und wird kommen – mit Auswirkungen auf unseren Wohlstand. Kein Randthema, aber auch kein zentrales m. A. n.

    So sehr die hier dargelegten Zusammenhänge und die vorgelegten Zahlen abstrakt für sich sprechen, für das Verständnis der Veränderungen muss man sich die Sektoren anschauen. Hier finden die m. A. n. maßgebenden Veränderungen statt.

    Was ich erkenne:

    1. Der industrielle Sektor, mit einer hohen und immer noch wachsenden, aber nicht mehr stark wachsenden Arbeitsproduktivität nimmt RELATIV ab an der Schaffung des BIP (ohne Bedarfslücken zu erzeugen)

    2. Die damit verloren gehenden Arbeitsplätze müssen im Dienstleistungssektor geschaffen werden. Sie werden dort auch geschaffen, weil Nachfrage danach besteht (wachsender Heil-, und Pflegebedarf in alternden Gesellschaften)

    3. Die damit verbundene Arbeit ist nicht so produktiv wie im industriellen Sektor bzw. kann auch dort, wo sie hochproduktiv ist, nicht so vergütet werden wie im traditionellen industriellen Sektor. Das ist so, weil sie zu einem großen Teil durch Transfers der arbeitenden Bevölkerung und nicht durch Einkommen der Nachfrager, Rentner zum großen Teil, finanziert wird.

    Das alles ist UNAUSWEICHLICH.

    Das heißt m. A. n. in letzter Konsequenz:

    Wir müssen UMDENKEN bezüglich dessen, was WOHLSTAND heißt.

    Es kann wird nicht mehr heißen können:

    SELBST verdient mehr Hardware, größere Hardware, luxuriösere Hardware.

    Es wird vielmehr heißen:

    Von ANDEREN abhängig zu sein bezüglich eines Lebensgefühls, das nicht mehr vorrangig durch materiellen Besitz geprägt ist.

    Antworten
    • Karl
      Karl sagte:

      Ein guter Punkt. Sich mit einem einfachen Lebensstil wohl zu fühlen ist generell sehr hilfreich. Erstens ist man dann nicht so empfindlich gegenüber breiten Wohlstandsverlusten oder auch persönlichen Schicksalsschlägen. Zweitens schafft man es gerade durch die Einfachheit, mehr (finanzielle) Reserven für die Zukunft zu schaffen, mit denen man dann umso länger auskommt. Drittens – weniger Zeug, weniger Ärger. Reich ist nicht wer viel hat, sondern wer wenig braucht. Glücklich, wer das verstanden hat – das ist bisher aber nur eine kleine Minderheit.

      Antworten
      • Dietmar Tischer
        Dietmar Tischer sagte:

        Ich hatte darauf verwiesen, was ZWANGSWEISE das Umdenken mit materiellen Wohlstandsverlusten sein wird.

        Der vielleicht wichtigste Aspekt, wenn man FREIWILLIG dem „Hamsterrad“ entsagt oder zumindest seinen hohen Drehgeschwindigkeiten – Ihr Punkt:

        Man wird UNABHÄNGIGER, gewinnt FREIHEITSGRADE.

        Leider können das nur sehr wenige Menschen begreifen, weil sie von Kindesbeinen an auf die Schaffung materiellen Wohlstands KONDITIONIERT sind. Sie kennen nichts anders, selbst dann nicht, wenn sie darunter leiden (burn out etc.)

        Marx hat darauf mit „Warenfetischismus“ verwiesen, Adorno nannte es Verblendungszusammenhang, andere – E. Fromm insbesondere – mit „Sein“ in seinem Werk „Haben oder Sein“ den Gegenentwurf aufgezeigt.

        Wie auch immer:

        Wenn die Gesellschaft sich ändert, muss man die Konsequenzen verstehen – von was zu was sie sich auch immer verändert.

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