Die Notenbanken und die weltweite Überschuldung

Dieser Beitrag erschien erstmals am 9. Dezember 2014 (!) bei bto und ist immer noch hoch aktuell:

Eine Rede von Herve Hannoun, General Manager bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) zum Kernthema der Weltwirtschaft: Schuldenüberhang und Zentralbanken. Die BIZ hat ja mehr als einmal und sehr deutlich vor den Folgen der derzeitigen Politik gewarnt. Hier also erneut. Versuch einer Zusammenfassung:

  • Schulden haben in vielen Ländern einen Rekordstand erreicht und wachsen auch sieben Jahre nach Beginn der Krise weiter. In den Industrieländern wuchsen die Nicht-Finanzschulden zwischen 1999 und 2014 um 67 Prozentpunkte von 212 Prozent des BIP auf 279 Prozent. Seit 2008 holen die Schwellenländer die Entwicklung nach, allen voran China (229 Prozent ‒ bto: andere Quellen schätzen eher 250) und Korea (220 Prozent).
  • Dabei sind die Schulden eindeutig zu hoch ‒ ein Problem, das von den Finanzmärkten nicht ausreichend wahrgenommen wird.
  • Zwar wurde das Finanzsystem stabilisiert, die Grundursachen der hohen Schulden wurden jedoch nicht adressiert. Dies liegt auch an der asymmetrischen Reaktion der Notenbanken, die im Zweifel immer die Zinsen senkten und sie danach nicht wieder ausreichend erhöhten. So lag der mit der Taylor-Regel berechnete „natürliche Zins“ seit dem Jahr 2000 immer über dem tatsächlichen Zinsniveau. Geld war also immer zu billig. (bto: Was auch die von Piketty bedauerte Vermögensentwicklung erklärt!) Der Versuch, dies auf die globalen Ungleichgewichte und die Ersparnisüberschüsse zu schieben (bto: wie es Larry Summers, Martin Wolf und viele andere tun), funktioniert nach Studien der BIZ nicht. Viel mehr hat es im gesamten Wirtschaftssystem eine Präferenz für Schulden statt Eigenkapital gegeben. (bto: Wir haben uns also maximal „geleveraged“. Und wie ich in „Die Schulden …“ zeige, ist es genau dieser Leverageeffekt, der Vermögenspreise treibt.)
  • Was kann getan werden, um den Schuldenüberhang los zu werden?
  • Höheres Wirtschaftswachstum: Setzt Reformen voraus und wird nur schwer erzielbar sein (bto: vor allem auch wegen Demografie und abnehmenden Produktivitätsfortschritten).
  • Zahlungsausfall/Schuldenrestrukturierung: Könnte gut sein, dass wir nicht darum herumkommen, so die BIZ. Allerdings wäre dies langwierig, hat unabsehbare Verteilungswirkungen, wird das Finanzsystem destabilisieren und löst nicht das Problem der laufenden Defizite. (bto: was letztlich nur heißt, es wäre unangenehm, nicht, dass es nicht passieren könnte …)
  • Vermögenssteuern: entweder als einmalige Abgabe oder regelmäßig. Letztlich eine andere Form des Zahlungsausfalls. (bto: Meine Meinung hierzu ist bekannt.)
  • Überraschende Inflation: Die BIZ sagt nicht ‒ wie ich ‒, dass es schwer ist, diese zu erzeugen. Sieht nur das Risiko dauerhaft höherer Zinsen und eines Vertrauensverlustes in die Notenbanken. (bto: Das mit dem Vertrauensverlust bekommen die auch so hin …)
  • Finanzielle Repression: also Zinsen dauerhaft unter dem Nominalwachstum (was faktisch Inflationsrate bedeutet). Dauert lange, ist in einer globalisierten Welt schwerer durchzusetzen, Staaten müssten sich dennoch disziplinieren.
  • Verkauf von Staatsvermögen: Kann helfen, allerdings stehen dem höhere zukünftige Kosten gegenüber (zum Beispiel Mietzahlungen). Wenn überhaupt, kann es nur einen kleinen Beitrag leisten. (bto: Die Befürworter dieser Lösung übersehen immer die private Verschuldung und überschätzen die Einnahmen. Wenn man schon so denkt, warum verkauft Italien sein Gold nicht an uns?)

Was machen nun die Notenbanken in diesem Spiel? Zunächst stabilisieren sie den Schuldenturm durch a) Verbilligen des Schuldendienstes b) Sichern einer Inflationsrate von zwei Prozent (bto: ohne Erfolg) und c) Senken der langfristigen Zinsen. Doch damit gehen nicht wenige Probleme aus Sicht der BIZ einher:

  1. Anreiz zu noch höheren Schulden: Tiefere Zinsen erlauben es den Schuldnern mehr Schulden zu haben. Beispiel: Die Zinskosten des deutschen Staates in Prozent des BIP haben sich seit 1999 halbiert, während die Schulden um ein Drittel gestiegen sind. Die USA zahlen ein Drittel weniger Zinsen trotz fast verdoppelter Schulden.
  2. Sollen Zentralbanken gegen Schuldendeflation „versichern“? Laut BIZ gibt es nirgendwo ernsthafte Deflationsanzeichen. Und Kritiker würden zu Unrecht immer die Deflation der großen Depression vor Augen haben. Dabei ist Deflation normal und diese zu bekämpfen kann erhebliche Schäden zur Folge haben: unter anderem mehr Risikobereitschaft (= mehr Schulden) und den Verlust an Wirksamkeit der Geldpolitik. Billiges Geld kann nur begrenzt zu mehr Nachfrage führen. Wächst die Wirtschaft nicht, werden Unternehmen und Haushalte nicht unbegrenzt mehr nachfragen. (bto: Den Zustand haben wir meines Erachtens schon lange. Unternehmen investieren nicht, [ältere] Konsumenten konsumieren nicht, mal abgesehen von der hohen Privatverschuldung!)
  3. Ungleiche Vermögensverteilung: Zum einen führen die Maßnahmen zu einer Umverteilung von Sparern zu Schuldnern und Konsumenten/Investoren. Zu anderen profitieren naturgemäß nur die Vermögensbesitzer davon. Hier sieht die BIZ das Risiko, dass der Eindruck sich verfestigen könnte, wonach die Politik des Quantitative Easing nur den Reichen nutzt (bto: und dies zu Recht).
  4. Verlust der Unabhängigkeit: Solange es keine Erholung gibt, wird der Ruf nach unkonventionellen Maßnahmen wie Schuldenannullierung und Helikopter-Geld zunehmen (bto: hier verlinkt und gefordert). Die BIZ sieht derartige Vorschläge als Symptom dafür, wie sehr die Wirtschaftspolitik den Kompass verloren hat.
  5. Wie kann man überhaupt aussteigen? Die Schuldner verkraften keine höheren Zinsen. Wie also die Zinsen normalisieren? (bto: Hier sagen dann ja die Helikopter-Befürworter, es ginge so schneller.)

Schlussfolgerung der BIZ: Nur durch eine langsame Erhöhung der Sparquote und des Schuldenabbaus kommt man zu einer akzeptablen Lösung des Schuldenproblems. Dies wird auf Dauer das Wirtschaftswachstum belasten. Aber die Alternativen würden die Gesellschaften noch mehr belasten und hätten unabsehbare Folgen. Sollte das Wachstum weiter tief bleiben (bto: was es ja laut BIZ tut!) wird es mehr Unruhe wegen der Vermögensverteilung geben. Deshalb wird das unvermeidbare Deleveraging nur akzeptabel sein, wenn die Politiker gleichzeitig die ungleiche Vermögensverteilung adressieren.

bto: Nach Stelter, dem IWF, der Bundesbank, Piketty nun auch die BIZ. Klar. Welche Alternative gibt es denn? Die BIZ vergisst dabei noch die unterschiedliche Position der einzelnen Länder. Deutschland, Gläubiger, viele andere Schuldner. Deshalb wird der geordnete Weg schwer zu gehen. Nicht unmöglich. Nur unwahrscheinlich.

BIZ: Central banks and the global debt overhang, 20. November 2014