Die “Merit-Order” und der Kampf um tie­fere Strompreise

Im Podcast am 4. September 2022 geht es um den Strommarkt. Genauer gesagt um die Preisbildung und ob der Staat hier handeln muss. Zur Einstimmung etwas Material:

Die Merit-Order ist nichts Besonderes, es ist der einfache normale Marktmechanismus. Im Jahr 2015 – also in der guten alten Zeit – wurde das vom „Clean Energy Wire“, kurz CLEW auf der Internetseite so erklärt. (Übrigens, CLEW beschreibt sich selbst so: “CLEW produziert und ermöglicht hochwertigen Journalismus über die Energiewende in Deutschland und darüber hinaus und fördert die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Reportern, die über den Übergang zu einer klimafreundlichen Gesellschaft berichten.” Also eine Vereinigung mit einem klaren Ziel.)

Dort also lesen wir über den Merit-Order Effekt Folgendes:

  • “Der Merit-Order-Effekt beschreibt die Senkung der Strompreise an der Strombörse aufgrund eines erhöhten Angebots an erneuerbaren Energien. Der Strompreis wird durch die „Merit Order“ bestimmt – die Reihenfolge, in der Kraftwerke Strom in den Markt einbringen, wobei das günstigste Angebot des Kraftwerks mit den geringsten laufenden Kosten den Ausgangspunkt bildet. Strom aus erneuerbaren Anlagen wie Windkraftanlagen und Photovoltaikanlagen muss ebenfalls an der Börse verkauft werden, aber diese Anbieter haben fast keine Betriebskosten (da sie weder Brennstoff noch viel Arbeitskraft benötigen). Das bedeutet, dass sie den Einstiegspreis senken und teurere konventionelle Produzenten in der Merit-Order nach unten drücken.”

 Und weiter:

  • Der Schnittpunkt von Stromnachfrage und Stromangebot bestimmt den Clearingpreis und das Clearingvolumen. Alle am Markt teilnehmenden Stromerzeuger erhalten diesen Verrechnungspreis für den von ihnen produzierten Strom für das Netz. Ebenso zahlen die Stromabnehmer am Großhandelsmarkt alle den gleichen Preis (Clearingpreis).”

Quelle: CLEW 2016

  • “Kraftwerke mit hohen Erzeugungskosten wie Gas- und Steinkohlekraftwerke (häufig im Besitz von großen Energieversorgern oder Stadtwerken) sind anfällig dafür, vom Markt verdrängt zu werden, da sie zu den niedrigeren Preisen nicht konkurrieren können. Das Wachstum erneuerbarer Energien – die niedrigere Produktionsgemeinkosten haben – hat die Großhandelspreise für Strom gesenkt. Der „Merit-Order-Effekt“ beschreibt den Mechanismus, durch den der Marktpreis festgelegt wird.”

Was hier groß beschrieben wird, ist ein ganz normaler Markt!

Das Problem ist, wenn es anders kommt als gedacht. Wenn das Gas, das als flexibler Energieträger einspringen soll, wenn es Knappheiten gibt, teuer wird und damit den Preis stark erhöht. Das ruft nach Korrekturen. Was das sein könnte, erläutert Nina Scheer, die energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion im Handelsblatt:

  • „Das heißt: Auch Wind-, Solar-, Atom- und Braunkohlestrom werden ganz unabhängig von ihren Erzeugungskosten mit dem Strompreis einheitlich auf Basis von Erdgas vergütet. Gas macht aktuell rund 13 Prozent der Stromerzeugung aus; der Gasstrompreis wird aber auf 100 Prozent des Stromes angewendet.“ – bto: Und genau so muss es ja sein, gibt es doch dann einen Anreiz, möglichst viel Kapazität aufzubauen, die günstiger ist. Es lohnt dann also mehr zu investieren.
  • Strom aus Gaskraftwerken wird immer dann gebraucht, wenn aufgrund der Schwankungen von Wind und Sonne oder aufgrund von Kraftwerksausfällen, wie aktuell französische AKWs, kurzfristig – und damit steuerbar – zusätzliche Erzeugung benötigt wird.“ – bto: Auch das ist verständlich. Man müsste halt entsprechende Überkapazität haben.
  • Versuche schlügen fehl, dem preisbildenden Effekt schlicht durch eine massive Steigerung von Strommengen entgegenzuwirken. Denn: Strom ist nicht gleich Strom. Strom aus Gaskraftwerken ist nicht überall durch anderweitig erzeugten Strom ersetzbar.“ – bto: Was will sie uns damit sagen? Wenn man Überkapazitäten hätte, wäre das kein Problem.
  • Wir können Strom sparen und wir können auch zeitweise industrielle Produktion aussetzen und Lasten verschieben. Der Endpunkt ist aber erreicht, wenn eine Mindestversorgung nicht mehr sichergestellt ist oder Produktion unwirtschaftlich wird und dauerhaft abwandert. Dieser Punkt ist nun über die Preisbildung nach dem Merit-Order-System in Kombination mit reduzierten russischen Gasimporten erreicht.“ – bto: einfach deshalb, weil Gas übermäßig teuer geworden ist. Mit Ölkraftwerken wäre das zum Beispiel nicht passiert.
  • „Die genannten Regeln des Marktes bedrohen die Versorgungssicherheit und geraten in Konflikt mit dem staatlichen Auftrag der Daseinsvorsorge. Der Staat muss unabhängig von dringend benötigen weiteren Entlastungsmaßnahmen und Energiesparanreizen eingreifen, wenn sich marktliche Mechanismen verselbstständigen, wenn Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen sowie Renten in der Breite selbst mit sparsamen Energieverbräuchen ihre Rechnungen nicht mehr begleichen können und ebenso Verluste von Arbeitsplätzen zu befürchten sind.“ – bto: Wir haben eine Verknüpfung, die politisch gewollt war.
  • Die Wirkung des Erdgaspreises auf den Strompreis muss schnell eingegrenzt oder ausgesetzt werden. Die Kosten des Eingriffs müssen möglichst gering gehalten werden. Es gilt nun, alle Hebel in Bewegung zu setzen. Folgende fünf Ansätze sollten dabei diskutiert werden:“ – bto: Und bei allen geht es darum, Gaskraftwerke nicht mehr zum Preissetzer zu machen.
  • “1. Einführung einer Marktpreiskappung – Die Strombörse arbeitet wie bisher, aber der tatsächlich wirksame Preis wird gekappt. Kraftwerke erhalten und Verbraucher zahlen nur diesen Preis. Kraftwerke, die höhere Kosten haben, vor allem Gaskraftwerke, haben einen Anspruch auf Ausgleich der Mehrkosten.– bto: Das ist ein Strompreisdeckel, der über die Gaskraftwerke hinausgeht. Die Differenz zahlt der Steuerzahler. Wirkt auf mich unter Umständen recht teuer.
  • “2. Verringerung der Grenzkosten der Stromerzeugung aus Gas: Zuteilung von staatlich erworbenen Gasmengen zu einem gesetzten Preis. Eine Änderung des Marktmechanismus wäre hier nicht erforderlich. Mithilfe von Mengenvorgaben müsste sichergestellt werden, dass hierdurch kein Anreiz zur Steigerung des Gasverbrauchs entsteht.“ – bto: Auch das bedeutet, den Preis des Grenzanbieters zu senken.
  • “3. Gasstromerzeugung erfolgt temporär in staatlichem Auftrag: Der Betrieb und der Einsatz der Gaskraftwerke erfolgt in staatlichem Auftrag. Die erzeugten Strommengen können so von einer neutralen Stelle je nach Bedarf zu den Betriebskosten eingespeist werden.“ – bto: Das ist ebenfalls nur eine Form der Gaspreisdeckelung.
  • “4. Schaffung eines eigenen Marktes für Strom aus flexibler Erzeugung: Für je nach Bedarf steuerbare Kraftwerke wird mit einer zu benennenden Volllaststundenzahl ein eigener Markt eingeführt. Die höheren Kosten insbesondere für Gaskraftwerke wirken so nicht mehr auf den Preis am Hauptmarkt. Mitnahmeeffekte für andere Erzeugungsarten werden vermieden.“ – bto: Das ist denkbar, aber natürlich nur temporär zulässig, denn letztlich soll das Preissignal entsprechende Investitionen auslösen.
  • “5. Gaskraftwerke aus der gemeinsamen Preissetzung herausnehmen: Es wird wie unter 4. ein eigener Markt geschaffen, aber ausschließlich für Gaskraftwerke, die mithilfe eines eigenen Marktplatzes aus der gemeinsamen Preissetzung genommen werden. Bereits gebuchte Liefermengen blieben bestehen. Darüber hinausgehende Mengen aus Gaskraftwerken werden am regulären Strommarkt aber nicht mehr zugelassen.“ – bto: Ein weiteres denkbares Modell, aber letztlich geht es nur um die Ausklammerung/Senkung des Preises der Gaskraftwerke.

Das sind umsetzbare Ideen und diese genügen auch. Denn jeder weiter Änderung des Preismechanismus setzt den grundlegend richtigen Marktmechanismus außer Kraft.

P.S: Vergessen wir nicht, dass es noch einige weitere Faktoren gibt, die dafür sorgen, dass Strom so teuer ist:

handelsblatt.com (Anmeldung erforderlich): „Der Staat muss zügig am Strommarkt eingreifen“, 30. August 2022

bdew.de: „Strompreis“, Januar 2022

cleanenergywire.org: „Setting the power price: the merit order effect“, 23. Januar 2015