Die Leier von der leidenden Mitte

Wir wissen, dass die Mittelschicht seit 2005 stabil ist, was angesichts des Umfelds und der massiven Zuwanderung nach Deutschland eine echte Leistung ist. Das hindert aber einige Politiker und Ökonomen (!) nicht daran, ständig die Lösung für ein nicht vorhandenes Problem in mehr Umverteilung zu sehen – die letztlich die Ungleichheit weiter erhöhen dürfte. Beispiel ist ein Beitrag der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), der auf eine aktuelle Veranstaltung zum Thema verweist:

  • „Deutschland durchläuft eine Krise nach der anderen – was heißt das für die Mittelschicht in Deutschland? Die Antworten, die im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) auf die spannende Frage gegeben werden, passen zu dem dauerregnerischen Januarabend. Man könnte sie kurz auf die Formel bringen: die Aussichten sind trübe, die Politik setzt die falschen Schwerpunkte. Das Podium ist sich im Befund einig, aber vielleicht liegt das auch an der Zusammensetzung.“ – bto: Wir kennen die diversen Diskussionsgruppen ja.
  • „(…) Fratzscher (…) beschreibt die Lage so: Die Mittelschicht schrumpft, nicht allein in Deutschland, aber auch hierzulande. Seit 30 Jahren. Eine wichtige Ursache liege im Arbeitsmarkt. Jeder Fünfte arbeite mit einem so geringen Einkommen, dass er unter eine gewisse Schwelle falle. Die prekäre Beschäftigung habe stark zugenommen (Stichwort Minijobs). Viel Teilzeitarbeit. Zugleich sinke die Zahl der gut bezahlten Jobs in der Industrie.“ – bto: Komisch, ich dachte es gäbe keine Deindustrialisierung?
  • „(…) Philippa Sigl-Glöckner (…) Ökonomin mit politischen Ambitionen (sie hatte sich 2021 in der Münchener SPD um einen Bundestagswahlkreis bemüht) konstatiert, dass sich die Löhne am unteren Ende schwach entwickelt hätten. Es laufe immer weiter auseinander …“ – bto: Das dürfte der Tatsache geschuldet sein, dass wir überwiegend Zuwanderung in den Niedriglohnsektor haben.
  • „Die folgende Debatte ist ein munteres Wünsch Dir was: Vermögensteuer (Fratzscher), 18 Euro Mindestlohn (Sigl-Glöckner), höheres Bürgergeld, das die gestiegenen Strompreise abdeckt. (…) mehr Mittel für den Staat, damit dieser klimafreundlicher, digitaler, sozialer werden kann.“ – bto: Was für eine bunte Diskussion.
  • „Doch viele Fragen bleiben unbeantwortet: Wie hat sich die Einkommensverteilung konkret verändert? Was bedeutet die Zuwanderung von Menschen ohne Berufsabschluss und Deutschkenntnissen für die Statistik? Reicht es, nur über Verteilungsprobleme zu reden? Was kann sich Deutschland in der Konkurrenz mit Ländern wie China überhaupt noch leisten? Und nicht zuletzt: Braucht der deutsche Staat wirklich mehr Geld?“ – bto: Das sind alles berechtigte und naheliegende Fragen.
  • „Nach einer Studie der Industrieländerorganisation OECD und der Bertelsmann Stiftung, die Ende 2021 veröffentlicht wurde, ist die Mittelschicht zwischen 1995 und 2005 von 70 auf 64 Prozent der Bevölkerung geschrumpft. Aber danach war sie nahezu stabil. Erste Daten weisen sogar daraufhin, dass während der Corona-Krise vor allem Menschen mit mittlerem Einkommen dank staatlicher Hilfen überdurchschnittlich Einkommen dazugewonnen haben, während Spitzenverdiener Einbußen verkraften mussten.“ – bto: Es kann auch nicht verwundern!
  • „Eine Zahl ist relativ konstant: Zehn Prozent der Einkommensteuerzahler tragen mehr als die Hälfte des Aufkommens aus dieser Steuer. Fratzscher argumentiert, andere Länder wie Amerika und Großbritannien hätten höhere vermögensbezogene Steuern. Was er nicht sagt: dort ist die Einkommensteuer in der Spitze niedriger, zudem decken in diesen Ländern Steuern auf den Grundbesitz Kosten, die in Deutschland über Gebühren finanziert werden.“ – bto: … und wir haben relativ zum Bruttoinlandsprodukt weniger Vermögen.
  • „Die Steuerquote, also das Verhältnis von Steueraufkommen zu Bruttoinlandsprodukt, ist rekordverdächtig hoch. Entsprechend eilen die Staatseinnahmen von einem Höchstwert zum nächsten. 2010 nahm der Fiskus etwas mehr als 500 Milliarden Euro ein, nun nähert man sich aller Krisen zum Trotz der Marke von 1 Billion Euro.“ – bto: So ist es.
  • „Wer denkt, es reiche, ein paar Reiche stärker zur Kasse zu bitten, unterliegt einer Täuschung. Erst die Mittelschicht macht das Steueraufkommen richtig fett. Und sie ist schon heute stark belastet. Es ist somit zu billig, nach höhren Löhnen etwa in der Pflege zu rufen, ohne zu sagen, wo das Geld herkommen soll. Im Zweifel müssten diese über höhere Sozialversicherungsbeiträge finanziert werden – was stets die Mitte belastet.“ – bto: Auch das ist ein Argument, welches ich immer wieder gebracht habe.
  • Fazit der FAZ: „Kurzum: Eine solche Debatte wie die im DIW führte daher leider keinen Zentimeter weiter.“ – bto: Das soll sie auch nicht. Sie dient der Kampagne, nicht der Aufklärung.

zeitung.faz.net: „Die Leier von der leidenden Mitte“, 14. Januar 2023