Die Lateinische Münzunion: ein Präzedenzfall für den Euro

In einer sehr interessanten Analyse zeigt Marius Kleinheyer von Flossbach von Storch die Parallelen zwischen der lateinischen Währungsunion und dem Euro. Fazit: nicht gut.

  • „Bereits im 19. Jahrhundert gab es den Versuch einer europäischen Währungsunion, die sogenannte Lateinische Münzunion. Frankreich, Belgien, die Schweiz und Italien vereinbarten 1865 einen gemeinsamen Vertrag, der für alle Länder gemeinsames Geld, bestehend aus Gold- und Silbermünzen bringen sollte. (…) Das große Projekt scheiterte schnell, die Union hielt aber noch relativ lange durch, weil die Mitgliedsländer die Kosten eines Austritts scheuten. (…) Die Lateinische Münzunion hätte den Gründervätern des Euro eine Lehre sein können: Heterogene Staaten mit nationaler Souveränität lassen sich nicht über ein Geldsystem integrieren.“ – bto: Das schauen wir uns jetzt mal genauer an. Ich bin selbst noch nicht so in die Geschichte eingestiegen und vielleicht geht es dem einen oder anderen Leser von bto ebenso.
  • „Frankreich war über weite Strecken des 19. Jahrhunderts Hegemonialmacht in Europa. Zum Zeitpunkt der Gründung der Münzunion befand sich Napoleon III. und sein so genanntes Zweites Kaiserreich im Zenit der Macht. Die führende Rolle in der Machtstruktur des Kontinents spiegelte sich allerdings nicht in der ökonomischen Leistungsfähigkeit des Landes wider. Die Industrialisierung setzte erst verspätet ein. (…) Französisches Kapital floss vor allem nach Belgien und in die Schweiz. Frankreich war damit ein wichtiger Finanzpartner für beide Länder. Unter den Gründungsstaaten der Lateinischen Münzunion lag Italien in der ökonomischen Entwicklung am Weitesten zurück. (…) Nimmt man den Anteil der Analphabeten in der Bevölkerung 1850 als ein Gradmesser des Entwicklungsstandes der Länder Mitte des 19. Jahrhunderts, ergibt sich eine klare Reihenfolge: 1. Schweiz: 30 %, 2. Frankreich: 40 – 45 %, 3. Italien: 75 – 80 %.“ – bto: Frankreich versuchte politische Macht in wirtschaftliche Macht zu übersetzen und sich an Belgien und die Schweiz zu hängen, die deutlich fortgeschrittener waren. Italien ein Problemfall.
  • Vor Einführung der Währungsunion galt lange Zeit ein Bimetallstandard mit festem Tauschverhältnis von Gold zu Silber (1:15,5). Durch den Zufluss von Gold aus neuen Fundgebieten kam es zu einer Verzerrung der Preise. „Um Silber als Zahlungsmittel zu schützen, kamen die Regierungen auf die Idee, den Feingehalt der Silbermünzen unter ihren Nennwert zu drücken. Das Problem: Es wurde nicht einheitlich entwertet und auch nicht immer bei den gleichen Münzen. (…)  Die Folge: in den jeweiligen Ländern wurden die Münzen der anderen nicht mehr anerkannt. (…) Die ursprüngliche Intention der Münzunion war also zunächst nur die Behebung technischer Schwierigkeiten des Bimetallismus, um die gegenseitige Anerkennung des Geldes zu ermöglichen.“ – bto: Beim Euro waren es ebenfalls Schwierigkeiten im Handel durch Kursschwankungen, die als Begründung für die Einführung vorgebracht wurden.
  • „Die französische Regierung unterstützte Mitte des 19. Jahrhunderts die Idee einer ausgedehnten Franken Zone in Europa, um auf der einen Seite den Finanzplatz Paris als Konkurrent zu London zu positionieren und auf der anderen Seite den ökonomischen und damit auch politischen Einfluss auf die Nachbarländer zu erhöhen.“ – bto: Und auch beim Euro dürfte das ein entscheidendes Motiv gewesen sein.
  • „Die kleineren Länder Belgien, die Schweiz und Italien erhofften sich von der Münzunion, die geopolitische Abhängigkeit von Frankreich durch einen Vertrag neu zu ordnen. Durch die größere Einflussnahme auf die Regelungen sollten die eigenen Interessen stärker durchgesetzt werden.“ – bto: Auch diesmal dürfte das eine Begründung gewesen sein. Bei Deutschland kam hinzu, dass wir aufgrund der Geschichte immer zeigen wollen, dass wir gute Europäer sind.
  • „(…) [der] Vertrag legte fest, welches Gewicht, welchen Feingehalt und welche Form ihre Münzen haben sollten. Eintrittsberechtigt in die Münzunion war jedes Land, das bereit war, die Rechte und Pflichten aus dem Vertrag zu übernehmen. Neben der Ausgestaltung der Münzen enthielt der Vertrag Informationspflichten der Teilnehmer. Jährlich sollten gegenseitig Informationen über Ausprägung und Einschmelzung aller Gold- und Silbermünzen stattfinden. Nicht geregelt im Vertrag wurde die Ausgabe von Papiergeld, das zum Zeitpunkt der Vertragsschließung aber auch noch keine größere Rolle spielte.“ – bto: was aber nicht eine zentrale Steuerung bedeutet. Wie auch heute kann es sehr unterschiedliche Ausweitungen der Geldmengen geben.
  • „Bereits 1866 begann Italien damit, Papiergeld herauszugeben, das nicht in Gold oder Silber eingetauscht werden konnte. Das verstieß nicht gegen die Buchstaben des Vertrages, wohl aber gegen seinen Sinn. (…) Seit der Gründung des Königreich Italiens 1861 verschuldete sich das Land massiv, um neben der Armee auch den Aufbau der Infrastruktur und den Aufholprozess bei der Industrialisierung zu finanzieren.“ – bto: Heute können die nationalen Banken auch in erheblichem Umfeld Euro schaffen, die überall genutzt werden können. Zum Beispiel in Irland, wo die lokale Notenbank dem Staat die “Bankenrettung“ im Umfang von 20 Prozent des BIP mal so finanziert hat.
  • „1869 trat Griechenland der Münzunion bei. Die französische Regierung, insbesondere das Außenministerium und Felix Esquirou de Parieu warben in einer breit angelegten Kampagne bei anderen europäischen und auch amerikanischen Staaten für den Eintritt in die Union. Auf den politischen oder ökonomischen Zustand des Landes wurde nicht geachtet. Das dominierende strategische Interesse, insbesondere Frankreichs, war die möglichst globale Ausdehnung der Münzunion.“ – bto: Es wurde nicht auf die ökonomische Funktionsfähigkeit geachtet, sondern es ging um Macht. Heute ist der Vorteil, dass man andere hat, die für das Experiment bezahlen.
  • Nach dem deutsch-französischen Krieg stieg das Silberaufkommen mehr, u. a., weil auch Deutschland auf den Goldstandard umstieg. Es wurde Silber angeboten und Gold gekauft. Dadurch „(…) erfährt die Lateinische Münzunion den ersten größeren externen Schock. Die Reaktionen der Mitglieder legen die Schwäche der Union offen: Es gab nie einen Grundkonsens über das Geldsystem. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt war stattdessen eine grundsätzliche Unzufriedenheit der Mitglieder mit der Münzunion spürbar. Statt aber auf einen Goldstandard zu wechseln oder konsequenterweise auszutreten, wurden Kompromisse geschlossen.“ – bto: Was ist der Unterschied zu den Krisensitzungen heute in Brüssel?
  • „Ein italienischer Zeitzeuge beschrieb den Zustand der Münzunion zu diesem Zeitpunkt wie folgt: ‘Der lateinische Bund zeigt uns heute ein wenig erbauliches Schauspiel: die Verbündeten halten ihre Allianz aufrecht einzig zu dem Zweck, um Zeit zu gewinnen, daß einer auf den anderen, wenn möglich die fatalen Consequenzen des Bundes selbst ablade. Es besteht keinerlei Solidarität, keinerlei Recht, keinerlei Discussion; die Namen und die Sachen werden auf den Kopf gestellt, und unter dem Anschein der brüderlichen Liebe und höflicher Freundschaft nennt Frankreich Recht, was nur Furcht ist, achtzig Millionen zu verlieren; nennt Italien internationale Billigkeit die Nothwendigkeit, jenes Gesetz des Stärkeren über sich ergehen zu lassen, welches es im Jahr 1878 zurückgewiesen hat; ruft Belgien die Solidarität und Brüderlichkeit der Verbündeten an, damit sie einen Theil des Verlustes auf sich nehmen, zu dem man es verurtheilen will, aber sein Appell wird für eine wunderliche Theorie und sein Widerstand für eine That der Falschmünzerei erklärt.’“ – bto: O. k., ganz so weit ist es noch nicht, aber es geht zunehmend in diese Richtung. Die Verlustverteilung steht allerdings schon im Fokus, geht es doch darum in allen Diskussionen zur „Rettung“ des Euro.

Parallelen zu heute

Sodann zieht der Autor die unweigerlichen Parallelen zur heutigen Situation:

  • „Durch die Normierung der Münzen damals und die Einheitlichkeit der Währung heute soll der grenzüberschreitende Handel vereinfacht werden.“ – bto: so zumindest die offizielle Begründung. Leichterer Handel als Ziel.  
  • „Sowohl im 19. Jahrhundert als auch heute steht hinter der Vereinheitlichung des Geldsystems das politische Ziel einer Neuordnung Europas jenseits nationaler Grenzen. (…) Damals wie heute wird versucht, Geld als ein Instrument der politischen und sozioökonomischen Integration zu nutzen (…) Geld taugt nicht als Instrument der Umgestaltung der Gesellschaft.“ – bto: Genau so kann man das zusammenfassen. Es spaltet, statt zu einen.
  • „Frankreich beansprucht eine politische Führungsposition, die sich in erster Linie aus ihrem geopolitischen Anspruch und nicht aus ihrer ökonomischen Leistungsfähigkeit ableitet. Sowohl die Lateinische Münzunion als auch die Europäische Währungsunion spiegeln den Versuch wider, anscheinend wirtschaftlich vorteilhafte Institutionen in politische Macht umzumünzen.“ – bto: was man eben nicht so laut sagen darf bei uns. Stattdessen wird behauptet, wir wären der Gewinner des Euro, um eine Umverteilung vor allem in Richtung Frankreich zu begründen.
  • „Die Lateinische Münzunion hatte nicht die Regelung der Banknotenausgabe in ihren Vertrag aufgenommen. (…) Auch die heutige Währungsunion, obwohl bereits im Ansatz viel umfassender gedacht, bleibt unvollendet. Durch die fehlende Einlagensicherung der Banken ist die Europäische Währungsunion zunächst einmal nur eine Europäische Bargeldunion. Damals wie heute erwächst das größte Problem nicht aus den Dingen die vertraglich geregelt wurden, sondern aus den Dingen, die vertraglich nicht geregelt wurden.“ – bto: vor allem auch aus der Divergenz.
  • „Die Lateinische Münzunion hat sich auf den Bimetallismus geeinigt, obwohl Belgien und die Schweiz eigentlich eher einen Goldstandard präferierten. (…) Heute stehen die Vertragsinhalte von Maastricht unter Druck. Zwar wurde der Vertrag einstimmig verabschiedet. In der ersten Krise zeigte sich aber, dass unter den Mitgliedsländern kein Grundkonsens über die gemeinsame Währung bestand. In beiden Fällen erweist sich die nationale Souveränität der Länder als zu robust für weitergehende Sanktionen oder Harmonisierungsmaßnahmen.“ – bto: Wie sagte Juncker, es gibt keine Sanktionen gegen Frankreich, weil es Frankreich ist.
  • „Die Situationen von Italien und Griechenland sind im Vergleich von damals zu heute sehr ähnlich. Beide Länder haben damals wie heute Probleme mit ihrer zu hohen Schuldenlast. Beide versprachen sich von der Teilnahme an der Münz- bzw. Währungsunion den Import eines stabilen Geldsystems um ihre Kreditwürdigkeit langfristig zu erhöhen, nutzten aber andererseits die Regelungslücken aus, um weitere Schulden zu finanzieren.“ – bto: Und komischerweise haben beide Male die französischen Geldgeber zunächst profitiert und heute werden sie vom deutschen Steuerzahler gerettet.
  • „Damals wie heute motivierten die unsoliden wirtschaftlichen Zustände in Griechenland und Italien die Menschen zur Kapitalflucht. In beiden Fällen geht die Kapitalflucht zu Lasten der solideren Länder. (…) In der Europäischen Währungsunion wandern Einlagen von wackligen Banken aus finanzschwachen Staaten in andere Staaten, wo sie zum Nennwert angenommen werden. Möglich wird dies durch die Bereitstellung von Zentralbankgeld zur Finanzierung des Einlagetransfers über das Interbankenzahlungssystem Target2. Ohne diese Stützen läge der Wert des Bankengelds von schwachen Banken in schwachen Staaten unter dem von Banken in starken Staaten.“ – bto: Und das ist ein Vermögenstransfer aus Deutschland in die anderen Länder.
  • „Durch das Targetsystem steigen Forderungen der deutschen Bundesbank gegen das Eurosystem. Würde die Bundesbank diese Forderungen im Falle eines Austritts Italiens fällig stellen, könnte weder das Eurosystem noch Italien die Zahlung leisten. Im 19. Jahrhundert durfte man davon ausgehen, dass die Drohung Frankreichs, die Münzen zurückzutauschen auch mit militärischer Macht hinterlegt war. Ein Eintreiben der Forderungen heute durch militärische Intervention ist dagegen unvorstellbar.“ – bto: und auch unmöglich. Weil wir ja keine Armee mehr haben …
  • „Sowohl damals wie auch heute ist ein wesentlicher Grund für das Weiterbestehen der Münz- bzw. Währungsunion die Scheu vor den Kosten der Auflösung. Damals sorgte man sich um die Monetisierung der Silberreserven und den Aufbau von Handelshemmnissen in Europa. Heute sind ebenfalls die hohen Kosten, etwa durch den Ausgleich der Target-Salden aber auch die Wettbewerbsnachteile durch Handelshemmnisse in Europa zu nennen. Sehr viel mehr als damals spielen auch die politischen Kosteneine gewichtige Rolle. Die politische Einheit Europas ist heute sehr viel fortgeschrittener als damals. Mit dem Scheitern des Euros stünde auch die Existenz der Europäischen Union auf dem Spiel.“ – bto: was aber doch bedeutet, dass man den Euro sanieren muss, wenn man die EU retten will. Doch genau das findet nicht statt! Übersetzt: Es wird scheitern mit verheerenden Folgen.

→ flossbachvonstorch-researchinstitute.com: “Die Lateinische Münzunion: Ein Präzedenzfall für den Euro”, 16. Mai 2019