Die Energie­wende schei­tert an der Praxis

Am 30. Oktober 2022 geht es im Podcast um die Energiewende. Ich versuche ein paar Fragen zu beantworten:

Ist es technisch möglich, Deutschland ausschließlich mit erneuerbaren Energien zu versorgen?

  • Die Antwort aller einschlägigen Studien lautet ja.
  • Bereits im Jahr 2012 erschien eine Studie des Fraunhofer-Instituts, ISE mit dem Titel: “100 % ERNEUERBARE ENERGIEN FÜR STROM UND WÄRME IN DEUTSCHLAND”.
  • Darin werden verschiedenen Szenarien analysiert, je nachdem, ob man völlig oder nur teilweise auf Energie-Importe verzichtet.

Die Kernaussage der Studie:

  • “Die Bereitstellung von 100 % erneuerbaren Energien im Strom- und Wärmesektor Deutschlands ist technisch möglich und nach erfolgter Umstellung des Energiesystems sind die jährlichen Gesamtkosten nicht höher als die Kosten unserer heutigen Energieversorgung. (…) Eine vollständige Deckung von Strom und Wärme mit erneuerbaren Energien erfordert unter diesen Randbedingungen jedoch, dass der Heizwärmebedarf für Gebäude durch energetische Gebäudesanierung auf rund 50 % des Wertes im Jahr 2010 sinkt und dass die Potenziale für die Nutzung von Windenergie relativ weitgehend ausgeschöpft werden. Außerdem benötigt ein solches Energiesystem einen Langzeitspeicher in Form synthetischen Gases (Methan), dass aus erneuerbarem Strom erzeugt wird.”

Im Jahr 2020 erschien vom selben Institut eine weitere Studie: “WEGE ZU EINEM KLIMANEUTRALEN ENERGIESYSTEM”.

Die Kernaussagen der Studie:

  • “Die installierte Kapazität für Windenergieanlagen und Photovoltaik in Summe beträgt in den untersuchten Szenarien im Jahr 2050 zwischen knapp 500 GWel und mehr als 750 GWel und damit etwas weniger als das Fünffache bis zum Siebenfachen des heutigen Wertes. Anlagen dieser beiden Technologien decken im Jahr 2050 in allen betrachteten Entwicklungen zwischen 50 % und 60 % des Primärenergieaufkommens.”

Soweit, so bekannt.

Auch das Problem der Speicher bleibt nicht unerwähnt:

  • “Der hohe Anteil an fluktuierenden erneuerbaren Energiequellen für die Stromerzeugung erfordert einen Paradigmenwechsel im Versorgungsmodell. Dabei wird die in der Vergangenheit vorherrschende bedarfsgerechte Energiebereitstellung durch Großkraftwerke zunehmend ersetzt durch ein System, in dem fortwährend ein Ausgleich zwischen nur bedingt regelbarer und prognostizierbarer Bereitstellung aus erneuerbaren Energien und möglichst flexibler Nutzung erfolgt. (…) Ein weiteres wichtiges Element der Flexibilisierung sind stationäre Batteriespeicher, für die im Jahr 2050 eine installierte Kapazität zwischen 50 GWhel und 400 GWhel für die untersuchten Szenarien resultiert. Und nicht zuletzt wird auch langfristig eine Kapazität regelbarer Stromerzeuger benötigt, insbesondere hochflexible Gasturbinen, deren installierte Leistung zwischen 100 GWel und über 150 GWel liegt.”

Der wichtige Hebel ist hier also die Flexibilisierung des Verbrauchs.

  • Na gut, Wäsche waschen und duschen, wenn die Sonne scheint.
  • Für Unternehmen ist es aber ein Kostenfaktor. Die Mitarbeiter müssen kommen, wenn es ausreichend Energie gibt. Die Maschinen sind volatiler ausgelastet.
  • Alles treibt die Kosten.

Natürlich fehlt auch das Thema Wasserstoff nicht:

  • Eine wichtige Option zur Nutzung erneuerbaren Stroms sind Elektrolyseure, die zur Herstellung von strombasierten Energieträgern, wie Wasserstoff, Methan oder flüssigen Kraftstoffen, genutzt werden können.(…) Diese Energieträger können in Zeiten geringer Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien in regelbaren Kraftwerken genutzt werden und somit auch langfristig eine gesicherte Stromerzeugung ohne Nutzung fossiler Energieträger gewährleisten. Die installierte Leistung für Elektrolyseure liegt für die untersuchten Szenarien im Jahr 2050 zwischen rund 50 GWel und 120 GWel.”

Allerdings:

  • Zum einen sind die Dunkelflauten deutlich länger als in den Modellen simuliert, weil sie kurz nacheinander auftreten und die Speicher dann noch nicht voll sind.
  • Zum anderen ist die Erzeugung von Wasserstoff sehr teuer …
  • … und noch teurer, wenn man dazu volatilen Strom verwendet, weswegen die Anlage viel rumsteht.

Deshalb steht auch die Verhaltensänderung ganz oben im Programm:

  • “Verhaltensänderungen in weiten Teilen der Gesellschaft im Sinne eines sparsamen Umgangs mit Energie können eine erhebliche Wirkung auf den Umbau des Energiesystems haben und reduzieren die Kosten substanziell. (…) Ein Wertewandel, angetrieben durch ein zunehmendes Bewusstsein für die Gefahren des Klimawandels, könnte z.B. solche Verhaltensänderungen bewirken. Würde dies so eintreten, wäre eine signifikant geringere Menge an technischen Anlagen zur Wandlung, Speicherung, Verteilung und Nutzung erneuerbarer Energien notwendig.”

Weil die Chinesen jetzt Auto fahren, sollen wir also Fahrrad fahren. Okay.

Fazit:

Ist es technisch möglich? Ja, wenn man sich eine völlig neue Welt mit ganz anderen Technologien und Verhaltensweisen vorstellt und ausblendet, ob sich das wirtschaftlich rechnet.

Und es ist nicht ganz so leicht, wie das Experiment der Insel Pellworm zeigt. Vince Ebert schreibt in seinem Buch:

  • “Bereits im Jahr 2012 versuchte die nordfriesische Insel Pellworm, energieautark zu werden. Eine Machbarkeitsstudie des Fraunhofer-Instituts ergab nämlich, dass die Insel ideal geeignet wäre, um sich vollständig aus regenerativen Energiequellen versorgen zu können. Das Pilotprojekt Pellworm scheiterte trotzdem an der Realität. Während der ganzen Projektphase war es zu keiner Zeit möglich, das Versorgungskabel vom Festland zu kappen. Ein paar Prozent zur Autarkie fehlten immer. Und das, obwohl der E.ON-Konzern rund zehn Millionen Euro in das kleine Projekt steckte, um dort neben den mächtigen Wind- und Solaranlagen riesige Energiespeicherblöcke zu installieren und die gesamte Insel mit digitalen Stromzählern zu überziehen. Das führte zwar dazu, dass die Insel beeindruckende 97 Prozent ihres Verbrauchs mit der erzeugten erneuerbaren Energie decken konnte. Doch um die letzte Versorgungslücke von drei Prozent zu schließen, hätte man doppelt so große Speicher benötigt, was das Projekt katastrophal unwirtschaftlich gemacht hätte. Das zeigt: Nur weil etwas technisch (fast) funktioniert, heißt das noch lange nicht, dass es auch rentabel ist.”

Das ist ebenfalls wichtig, auch wenn die Befürworter der Energiewende es immer verdrängen.

Ist es möglich, dieses Ziel bis zum Jahr 2045 zu erreichen?

Hier gilt, in der Theorie schon, in der Praxis nicht.

  • Der Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft wäre so fundamental, dass er nur mit massiven staatlichen Eingriffen theoretisch machbar wäre.
  • Unter der Annahme, dass der Staat …
    • alle Entscheidungen zum richtigen Zeitpunkt optimal trifft und durchsetzen kann,
    • Wind- und Solarkapazitäten vervielfacht,
    • Speichermöglichkeiten in Form von Batterien und Wasserstoff realisiert,
    • Stromtrassen baut,
    • Gebäude isoliert
    • und dafür sorgt, dass Privathaushalte und Unternehmen den Verbrauch von Energie am Angebot ausrichten.
  • All dies mag am grünen Tisch der Klimapolitiker funktionieren, in der Praxis scheitert es an mangelnden Rohstoffen, fehlenden Fachkräften und noch nicht vorhandener Technologie.

Was kostet das und können wir uns das leisten?

Über die Kosten gibt es etwas Klarheit.

  • Schon im Jahr 2018 bezifferte eine Studie im Auftrag des BDI die Kosten auf bis zu 2300 Milliarden Euro.
  • Die seither erfolgte Erhöhung des Anspruchsniveaus (früher und mehr) und die allgemeinen Kostensteigerungen dürften die Kosten weiter erhöht haben. Allein bis 2030 wären demnach rund 860 Milliarden erforderlich.
  • Den benötigten Betrag hätten wir uns in guten Zeiten vielleicht leisten können, im Angesicht der akuten Krise und des von der Politik hingenommenen Wohlstandsverlustes jedoch aktuell immer weniger.
  • Ohnehin vergessen die Planer gerne, dass auch an anderer Stelle, vor allem mit Blick auf die Alterung der Gesellschaft, deutliche Kosten auf uns zukommen.

Bedeutet dies, dass wir es gar nicht versuchen sollten?

Nein, es bedeutet, dass wir es vernünftig versuchen sollten, und zwar auf einem Weg, der hiesigen Wohlstand erhält und zugleich dafür sorgt, dass die Herausforderung global angegangen wird. Vergessen wir nicht, dass man für 2000 Milliarden Euro den weltweiten Ausstoß an CO2 fast halbieren könnte.

Hier nochmals die Rechnung:

Pro Jahr werden 50 Milliarden Tonnen Greenhouse Gases emittiert:

Quelle: Preliminary 2020 Global Greenhouse Gas Emissions Estimates

Die Kosten für die Reduktion von GHG pro Tonne hat GoldmanSachs geschätzt:

Quelle: Goldman Sachs

Und jetzt die Rechnung:

  • Wir sehen, dass 25 Milliarden Tonnen GHG weniger als 100 US-Dollar/t kosten.
  • Wenn wir 100 ansetzen, macht das 2500 Milliarden US-Dollar.
  • Wenn wir 80 ansetzen, macht das 2000 Milliarden US-Dollar.
  • Wir könnten also für unsere 2000 Milliarden Euro den weltweiten CO2-Ausstoß HALBIEREN, statt ihn nur um zwei Prozent zu senken!

Eine realitätsorientierte Klima- und Energiepolitik ist überfällig.