Schwache Argu­mente für Frei­gabe der Impfstoff­patente

Die Aufgabe des Patentschutzes für Impfstoffe war eines der Themen der vergangenen Woche und beschäftigt mich auch in meinem nächsten Podcast (16. Mai 2021). Die WHO fordert die Aufgabe des Patentschutzes, Präsident Joe Biden befürwortet sie seit Neuestem und in Deutschland gibt es viele Stimmen in der Politik, die in der Aufhebung des Patentschutzes die Lösung für die Mengenprobleme bei den Impfstoffen sehen. Die Grünen und die Linkspartei haben im Bundestag einen entsprechenden Antrag eingebracht. Die Grünen fordern zum Beispiel, dass Pharmakonzerne generell die Patente auflösen müssen, sobald sie ihre Innovationskosten wieder eingespielt haben. Der GrünenEuropaabgeordnete Sven Giegold findet, Pharmakonzerne sollten künftig dafür bezahlt werden, dass sie ihr Wissen weitergeben – und nicht länger dafür, dass sie das Angebot verknappen.

Interessante Logik, bedeutet dies doch, dass man kein Geld mit Medikamenten verdienen darf. Und vor allem vergisst es den Punkt, dass Unternehmen viele Projekte finanzieren, die sich niemals rechnen, weil sie scheitern. Man blicke auf Sanofi in diesem Zusammenhang. Ebenfalls verdrängt wird, dass es ganze Unternehmen gibt, die scheitern. Man muss also einen Erwartungswert künftiger Erträge haben, der über den Kosten der Entwicklung liegt, damit es überhaupt solche Entwicklung gibt. Durch die Patentfreigabe sinkt dieser Erwartungswert deutlich, müssen doch Unternehmen, die mit geistigem Eigentum ihr Geld verdienen, nun fürchten, dass sie enteignet werden.

Aber natürlich gibt es auch Ökonomen, die anders argumentieren. Vorne mit dabei – wohl nicht überraschend – Marcel Fratzscher. Wir kennen ihn als Kämpfer für mehr Umverteilung auf wackeliger und einseitig interpretierter Datenbasis und als Verteidiger der EZB (mit noch schwächerer Argumentation):

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So gesehen – und mit Blick auf die Umfragewerte zur Bundestagswahl auch nicht verwunderlich – passt es ins Bild, dass der von der F.A.Z. als → „Claqueur der SPD“ bezeichnete Fratzscher den Anschluss an die Grünen sucht und für die Patentfreigabe argumentiert:

  • „Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) lehnt die Initiative zur Patentfreigabe für Impfstoffe ab und hat andere europäische Staatschefs von ihrer Position überzeugt. Damit verweigert die EU ärmeren Ländern die Möglichkeit, eigene Impfstoffe auf Grundlage des Know-hows von Biontech und anderen zu entwickeln, um Menschenleben zu schützen und die globale Pandemie zu beenden.“ – bto: eigene Impfstoffe zu entwickeln, basierend auf einer Technologie, die 50.000 (!) im Detail geplante Produktionsschritte umfasst – in Regionen der Welt, die nicht mal in der Lage sind, einfache Impfstoffe zu produzieren?

Hört man auf Fachleute, sieht man, wie falsch diese Überlegung ist: Der ehemalige Leiter des WHO-Influenzaprogramms, Klaus Stöhr, hat das im Interview mit dem Deutschlandfunk schön erklärt: → DLF: “Wie die Coronakrise den Patentschutz ins Wanken bringt”, 8. Mai 2021  Die Entwicklungsländer müssen erstmal die nötige Infrastruktur für Impfstoffproduktionen schaffen. Bei dem Vorstoß der WHO, Patente auf Covid-Impfstoffe zumindest auszusetzen, handelt es sich laut Stöhr um eine politische Forderung. Die WHO habe mehr als 190 Mitgliedsländer, und Länder wie Brasilien, die Philippinen oder Indonesien forderten schon sehr lange die Aufweichung des Schutzes des geistigen Eigentums. (…) Stöhr betonte zudem, dass die ‘politische Stoßrichtung’ der WHO verstärkt dahin ziele, dass in Entwicklungsländern zukünftig vor allem mehr chemische Arzneimittel produziert würden. ‘Die kann man relativ leicht kopieren, wenn man das Patent aufbricht.’ Bei biolgischen Produkten wie Impfstoffen sei das anders, weil eine hochkomplizierte Technologie erforderlich sei.“ – bto: Klartext: Es ist eine sehr komplizierte Technologie, die viel Unterstützung braucht, um zum Laufen zu kommen. Die Wegnahme der Patente hilft hier nicht. Und: Es ist ein politisches Ziel, „geistiges Eigentum aufzuweichen“. Dieses nun unterstützt einer der führenden Ökonomen eines Landes, dessen Wohlstand massiv genau von diesem Schutz abhängt?

Doch schauen wir, was Herr Fratzscher noch an Argumenten bringt:

  • Ein besonders schwaches: Viele sind dafür: „Dafür machen sich 200 Nobelpreisgewinner und frühere Regierungschefs sowie 100 Regierungen weltweit und 400 Parlamentarier in Europa stark. Diese Freigabe ist also alles andere als eine verrückte Idee, sondern Konsens in vielen Teilen der Welt.“ – bto: Das sagt gar nichts. Übrigens, Herr Fratzscher, wenn Sie es so mit dem Konsens in der Welt haben, warum fordern Sie nicht längere Laufzeiten für Atomkraftwerke, denn es ist Konsens, dass wir Atomkraft brauchen, wollen wir den Klimawandel aufhalten. Sagt sogar der IPCC.
  • „Das erste Argument der Bundeskanzlerin ist, die Freigabe des Patentschutzes sei ineffektiv. Denn die Entwicklung eines Impfstoffes, vor allem auf den neuartigen mRNA-Technologien von Biontech und Moderna, sei so komplex, dass Pharmakonzerne in den armen Ländern in absehbarer Zeit keine eigenen Impfstoffe entwickeln könnten. Dieses Argument ist falsch, denn Produzenten in China und Russland haben eigene, effektive Impfstoffe entwickelt. Und viele Unternehmen in anderen Ländern haben die Fähigkeit, dies in recht kurzer Zeit zu tun, wenn sie das Know-how und die notwendige Unterstützung erhalten.“ – bto: Den Punkt habe ich oben schon widerlegt. Die Impfstoffe von China und Russland sind keine mRNA Impfstoffe. Ich kann mir aber denken, dass andere Unternehmen auch in China und Russland die Technologie gerne übernehmen. Damit wäre es das mit einem neuen deutschen Pharmaunternehmen, nachdem die Branche hierzulande schon marginalisiert wurde.
  • Bei mehr als 100 Patenten, die direkt oder indirekt bei der Produktion eines mRNA-Impfstoffes betroffen sind, ist der einzige Weg einer schnellen Umsetzung die Freigabe des Patentschutzes. Der wichtigste Mechanismus der WTO-Freigabe ist, dass dies den erfolgreichen Pharmakonzernen starke Anreize geben würde, freiwillig Lizenzabkommen mit Pharmakonzernen in ärmeren Ländern abzuschließen, um finanziell auch von der Produktion dort zu profitieren.“ – bto: Der Enteignete hat einen höheren Anreiz, sein kritisches Wissen zur Produktion zu verramschen, weil man ihn gerade enteignet hat? Manchmal denke ich, es würde den Professoren der Ökonomie guttun, mal in einem Unternehmen zu arbeiten. Wahnsinn.
  • Daher scheint dieses erste Argument der Ineffektivität einer Freigabe des Patentschutzes falsch und vorgeschoben zu sein. Die wirkliche Sorge vieler, vor allem der westlichen Pharmakonzerne, ist wohl nicht, dass die Freigabe nicht effektiv wäre, sondern dass sie zu effektiv wäre. Dies glauben zumindest viele ExpertInnen und Investoren weltweit: Nach Bekanntgabe der Unterstützung der US-Regierung am vergangenen Mittwoch fielen Aktienkurse vieler Pharmakonzerne mit einem zugelassenen Impfstoff.“ – bto: Die Wirksamkeit einer Enteignungsmaßnahme am Wertverfall des enteigneten Unternehmens zu messen, ist mindestens tautologisch, um nicht zu sagen so tiefes Niveau, dass man sich fragt, wieso Fratzscher sich diese Blöße gibt.
  • „(…) das zweite Argument der Gegner einer Freigabe des Patentschutzes, solche Profite seien notwendig, um auch in Zukunft Anreize für Forschung und Entwicklung zu geben, und damit medizinischen Fortschritt zu ermöglichen, ist falsch oder zumindest stark übertrieben. Denn eine WTO-Freigabe des Patentschutzes würde nicht bedeuten, dass die Pfizers, Modernas und Johnson & Johnsons dieser Welt keine Gewinne mehr machen würden, sondern lediglich, dass diese Gewinne etwas geringer sein würden.“ – bto: Was er nicht versteht, ist, dass es nicht um die Profitabilität des einzelnen Projektes geht, sondern um die Profitabilität aller Projekte aller Marktteilnehmer!
  • Die erfolgreichen Pharmakonzerne haben schon jetzt so enorme Profite mit ihren Covid-19-Impfstoffen gemacht, dass sich ihre Investitionen und Risiken vielfach gerechnet haben. Die wirtschaftswissenschaftliche Forschung zeigt, dass der optimale Patentschutz nicht bedeutet, erfolgreichen Pharmakonzernen einen möglichst langen und umfangreichen Patentschutz zu gewähren.“ – bto: Stimmt, hier passt die Regulierung nicht und man müsste das Patentrecht anpassen. Man muss allerdings auch sehen, dass die Laufzeit der Patente heute schon nicht so lange ist und dies auch dazu zwingt, in kurzer Zeit die Einnahmen zu maximieren. Und: Wenn die Unternehmen so profitabel sind, haben wir alle etwas davon, denn sie zahlen Steuern.
  • Eine schnelle Freigabe des Patentschutzes für Covid-19 Impfstoffe wäre somit nicht unbedingt schädlich für zukünftige Forschung und Entwicklung im Pharmabereich. Im Gegenteil, der Wettbewerb und damit auch die Innovation würde zunehmen. Zumal die mRNA-Technologie nicht nur als Impfstoff gegen Covid, sondern für viele andere Krankheiten, vor allem Krebs, erforscht wird und erste Erfolge gezeigt hat.“ – bto: Man mag so argumentieren, aber die Wahrscheinlichkeit für künftige bahnbrechende Technologien mindern. Es ist übrigens nicht so, dass nun absichtlich keine Forschung an weiteren Anwendungen der mRNA- Technologie stattfindet. Denn es ist kein Problem, zu lizenzieren.
  • Ohne die vom Staat finanzierte Grundlagenforschung an Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen wäre die Entwicklung des mRNA-Impfstoffes von Biontech und Moderna überhaupt nicht möglich gewesen.“ – bto: Das gilt auch für mp3 und Touch Screen. So ist es nun mal mit Grundlagenforschung. Auch hier fließt das Geld über Steuern zurück.
  • Das dritte Argument der Gegner einer Freigabe des Patentschutzes ist ein moralisches. Politikerinnen und Politiker in der EU wurden in den vergangenen Tagen nicht müde, darauf hinzuweisen, dass die EU mit 200 Millionen Dosen knapp die Hälfte der in der EU produzierten Impfstoffe exportiert, wogegen die USA bisher kaum Impfstoff exportiert. Dies ist ein gefährliches Argument, das völlig zu Recht bei manchen in den ärmeren Ländern große Empörung hervorgerufen hat.“ – bto: Man empört sich über jenen, der exportiert und lobt jenen, der die Technologie von Dritten freigeben will?
  • „Auch haben die EU und die Bundesregierung bisher einen lächerlich kleinen Beitrag zu der globalen Initiative zur Bereitstellung von Impfstoffen in den ärmsten Ländern, beigetragen. China und Russland dagegen haben ärmeren Ländern sehr viel stärker auch im Technologietransfer geholfen.bto: Wenn wir das auch wollen, dann sollten wir mehr in der EU produzieren (falsch: Die EU kauft kein Astra Zeneca und J&J mehr.), den Aufbau von Produktionskapazitäten in aller Welt fördern und einen Anreiz setzen für die Firmen, (noch) mehr zu tun. Die Enteignung geistigen Eigentums ist eindeutig der falsche Weg. Vor allem: wofür als Nächstes?

Dr. Martin Braml – mein morgiger Gesprächspartner – und ich waren angesichts dieser Argumentation von Fratzscher einigermaßen ratlos. Bei Herrn Giegold von den Grünen (er)kennt man die politische Richtung, bei Herrn Fratzscher, der als Professor, Institutspräsident und Experte auftritt, ist das für die Öffentlichkeit schwerer. Ich denke, seine öffentlichen Äußerungen müssten mit einem “Beipackzettel” versehen werden.