Die 150 Millionen vergessenen Euro-Mitglieder

Am 24. April 2022 geht es in meinem Podcast um die Präsidentenwahl in Frankreich. Ein bei uns wenig beachtetes Thema will ich angesichts dieses Datums aufnehmen: die Tatsache, dass rund 150 Millionen Menschen mehr in der Eurozone sind, als wir allgemein denken. Mit dabei als Gesprächspartner Beat Kappeler.

Zur Einstimmung dieses Beitrags des Deutschlandfunks der die Fakten gut zusammenfasst:

  • Ein Phänomen, das sich in weiten Teilen Afrikas beobachten lässt: Urbane Eliten auf der einen Seite, große Armut an den Stadträndern und in den ländlichen Gebieten auf der anderen. Woher kommt das und warum haben jahrzehntelange Entwicklungshilfe und Milliardenzahlungen den afrikanischen Kontinent nicht aus der Armut holen können? Dafür gibt es unzählige Gründe. Eine der zentralen Ursachen findet sich hier auf dem Markt in Dakar. Auf den Etiketten der Hosen und T-Shirts finden sich gut bekannte Namen und Marken: Zara, H&M, Wrangler und Co. Alles Secondhand.” – bto: Das kann man gut selbst beobachten, wenn man einen Markt in diesen Ländern besucht.
  • “In Westafrika liegen einige der wichtigsten Baumwollanbaugebiete der Welt – eine eigenständige Textilindustrie gibt es allerdings kaum. Nicht einmal zehn Prozent der Baumwolle werden vor Ort verarbeitet. Im Normalfall ist es billiger, gebrauchte Kleidung aus Europa zu importieren, als sie in Westafrika zu produzieren. Wie ist das möglich in einem Teil der Welt, in dem Arbeitskraft kaum etwas kostet?” – bto: Das ist eine sehr gute Frage.
  • “Wer nach den Gründen dafür sucht, wer den Ursprüngen der Armut in den ehemaligen französischen Kolonien Subsahara Afrikas auf den Grund gehen will, stößt schnell auf (…) Das Erbe des Kolonialismus – ein System, von dem französische Konzerne genauso profitieren wie afrikanische Machthaber und ihr Umfeld.” – bto: und damit ist ein Thema für die EU, weil wir da indirekt auch mitmachen.
  • “Wie sehr Frankreich auch nach der Unabhängigkeit seiner ehemaligen Kolonien auf seine alten Privilegien bestand, zeigt ein Brief des damaligen französischen Finanzministers Michel Debré an seinen Amtskollegen aus Gabun vom Juli 1960. Darin schreibt Debré unverblümt: „Wir geben euch die Unabhängigkeit unter der Bedingung, dass sich der Staat nach seiner Unabhängigkeit an die vereinbarten Handelsverträge hält. Das eine geht nicht ohne das andere.“ Bis heute sichert sich Frankreich mit diesen alten Verträgen einen bevorzugten Zugang zu den Ressourcen in den ehemaligen Kolonien.” – bto: Das ist für die Länder nachteilig und hindert an der Entwicklung. Und die EU und auch Deutschland lassen Frankreich gewähren.
  • “Doch es sind nicht nur diese alten Verträge, mit denen sich Frankreich weiterhin wirtschaftliche Vorteile und Einfluss in seinen ehemaligen Kolonien sichert. Das eigentliche Kernstück kolonialer Kontinuität und finanzieller Kontrolle wird allzu leicht übersehen: der Franc CFA; der Franc für die ‘Colonies francaises d’afrique’, die französischen Kolonien Afrikas. Eine Währung, die von acht westafrikanischen Staaten und sechs Staaten Zentralafrikas verwendet wird. Beide Regionen haben ihre eigene Zentralbank, die Währungen sind allerdings beide mit dem gleichen Wechselkurs an den Euro gebunden und insofern austauschbar. Insgesamt nutzen 150 Millionen Menschen den Franc CFA.” – bto: Und damit sind wir beim Krenproblem. Diese Währung ist an den Euro gebunden.
  • “(…) die Westafrikanische Zentralbank verfolgt, durch Verträge mit Frankreich gezwungen, eine Geldpolitik, die die Inflation auf ein Minimum begrenzt. Insofern gibt es wirklich eine gewisse Stabilität, was die Preise angeht. Allerdings blockiert diese erzwungene Stabilität die wirtschaftliche Entwicklung der betreffenden Staaten. Eine eigenständige Geldpolitik ist so unmöglich. Dadurch gibt es zwar eine Stabilität, aber eben eine Stabilität der Armut. Deshalb sagen Ökonomen schon seit Jahren, dass das System reformiert werden muss.“” – bto: Ich denke, durch die Bindung an den Euro wurde es für die Länder noch schwerer als mit dem Franc. Denn Letzterer hat ja regelmäßig abgewertet gegenüber der Mark. Wenn nun der Euro-Süden wegen mangelnder Wettbewerbsfähigkeit klagt, wie schlimm muss es dann erst für die Staaten Afrikas sein?
  • “Der Franc CFA stellt ein weltweit einzigartiges System der Kontrolle durch eine fremde Macht dar. Zwar wurden die Wörter hinter dem Akronym nach der Unabhängigkeit geändert, sodass CFA heute in Westafrika für „Communauté Financière d’Afrique“ und in Zentralafrika für „Cooperation Financière en Afrique Central“ steht. Aber bis heute wird keine Währung der Welt so stark fremdbestimmt wie der Franc CFA. Noch immer liegen 50 Prozent der Währungsreserven der insgesamt 14 CFA-Staaten in Frankreich. Das Geld wird in Frankreich hergestellt, und Frankreich hat das alleinige Recht, die Währung auf- oder abzuwerten. In den Zentralbanken West- und Zentralafrikas sitzt jeweils ein französischer Vertreter mit Vetorecht. Ohne Frankreich geht nichts. Devisen, Wechselkurse und Währungsreserven – was auf den ersten Blick dröge klingen mag, erzählt bei genauerem Hinsehen viel über die Ursprünge von Armut, Konflikten und Migration in den ehemaligen französischen Kolonien.” – bto: Das muss man sich wirklich mal verdeutlichen. Es gibt keine autonome Geldpolitik und damit keinen Anpassungsmechanismus bei Ungleichgewichten.
  • “(Es gibt) vor allem drei Probleme mit dem Franc CFA: Erstens seine koloniale Vergangenheit, zweitens seine Unflexibilität durch die feste Bindung an den Euro, und drittens eine massive Überwertung.” – bto: Die Geschichte ist egal, aber die Bindung und vor allem die Überbewertung sind ein tatsächliches Problem.
  • “Abdourahmane Sarr hat zehn Jahre für den Internationalen Währungsfond gearbeitet und war von 2007 bis 2009 Berater des IWF bei der Westafrikanischen Zentralbank. Aus ökonomischer Perspektive gebe es nicht einen einzigen Grund, am Franc CFA in seiner jetzigen Form festzuhalten, so der Wirtschaftswissenschaftler: ‘Alle Ökonomen sind sich einig, dass der CFA reformiert werden muss. Erstens hat kein Land der Welt seine Reserven in einem anderen Land, und zweitens ist der CFA zu stark, weil er fix an den Euro gebunden und damit nicht an die westafrikanische Wirtschaftsleistung angepasst ist.’” – bto: Und damit verfestigen wir die Armut direkt vor unserer Haustüre.
  • “Was eine zu starke Währung für die Bevölkerung bedeutet, das sieht man auf dem Markt in Dakar, wo man europäische Secondhand-Kleidung statt afrikanischer Kleidung findet. Der Wechselkurs wirkt sich wie eine Subvention auf Importe und eine gleichzeitige Steuer auf Exporte aus. Ökonom Ndongo Semba Sylla: ‘Wenn wir uns entwickeln und Arbeitsplätze schaffen wollen, dürfen wir nicht nur Rohmaterial produzieren, sondern müssen in die Verarbeitung investieren. Aber mit dem Franc CFA ist das unmöglich.’” – bto: Genau das ist der Punkt!
  • “Die feste Bindung an den Euro erzeugt nicht nur eine Dynamik, gegen die es fast unmöglich ist, eine florierende Industrie aufzubauen, sie bedeutet auch, dass die CFA-Staaten immer mehr importieren als sie exportieren, sagt der Ökonom: ‘Seit den sechziger Jahren hatten wir nie eine ausgeglichene Auslandshandelsbilanz. Wir sind immer in einem Außenhandelsdefizit. Dadurch sind wir immer in einer Situation, in der wir Schulden machen.’ Und diese Schulden müssen bedient werden. Jedes Jahr müssen die CFA-Staaten so Milliarden nach Europa überweisen. Allein für die Zinsen auf das geliehene Geld.” – bto: und wozu? Damit ein EU-Land, Frankreich, wirtschaftliche Vorteile erzielt. Folge ist unter anderem ein intensiverer Migrationsdruck.
  • “Seit der Einführung des Euro ist der Franc CFA schließlich nicht mehr an den Französischen Franc, sondern an den Euro gekoppelt. Tatsächlich bedeutete diese Umstellung, dass seither jede Euro-Entscheidung, die bei der EZB in Frankfurt gefällt wird, unmittelbar 150 Millionen Afrikaner betrifft, die bei dieser Entscheidung weder berücksichtigt noch beteiligt wurden.” – bto: und die noch weniger mit der deutschen Wirtschaft konkurrieren konnten.
  • “Bei aller berechtigten Kritik hat der Franc CFA also doch auch eine gewisse Attraktivität: Der gemeinsame Wirtschaftsraum, der einfachere Handel mit der Eurozone und die Stabilität der Währung sind schlagkräftige Argumente. Doch es gibt noch einen anderen Grund, warum sich der Franc CFA auch mehr als ein halbes Jahrhundert nach der Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien noch hält. (…) Die Elite profitiert von dem überbewerteten CFA.” – bto: weil sie ein stabiles Geld hat, mit dem sie in Europa einkaufen kann.

Fazit: ein Armutsprogramm zugunsten Frankreichs. Eine Politik, die wir beenden sollten.

deutschlandfunk.de: „Frankreich und der unsichtbare Kolonialismus“, 20. Dezember 2018