Deutsch­lands doppeltes Migrations­problem

Am kommenden Sonntag (12. März 2023) beschäftigen wir uns im Podcast mit dem Braindrain, den Deutschland erleidet. Im Gespräch dazu Prof. Dr. Heribert Dieter, Gastprofessor für internationale politische Ökonomie an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Vor einiger Zeit nahm er sich des Themas in einem Gastbeitrag für die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) an. Titel: „Wenn Hochqualifizierte gehen und wenig Gebildete kommen – Deutschlands doppeltes Migrationsproblem.“

Zur Vorbereitung die Highlights:

  • „Übersehen wird dabei ein anderes Problem: dass etwa aus dem wirtschaftlich prosperierenden Deutschland viele Hochqualifizierte auswandern. Deutschland ist, wie einst im 19. Jahrhundert, wieder ein Auswanderungsland, ohne dass dieses Phänomen in der deutschen Öffentlichkeit diskutiert werden würde.“ – bto: Auch so ein Tabu.
  • „Es sind aber keine deutschen Erntehelfer, sondern Hochqualifizierte, die heute fortgehen, um im Ausland zu arbeiten. Deutsche Ärzte in der Schweiz und Norwegen, aber auch deutsche Ingenieure in Australien gehören zu diesen leisen Auswanderern. (…) Da es sich nicht um Geringqualifizierte handelt, hat schon eine kleine Zahl von Emigranten nennenswerte Effekte.“ – bto: Vor allem sind es diejenigen, die den Laden finanzieren.
  • „2017 lag Deutschland gemäß Weltbank auf Platz 9, hinter klassischen Auswanderungsländern wie Indien, China oder den Philippinen.“ – bto: Maßstab sind hier die Überweisungen aus dem Ausland zurück. Ich denke, das unterschätzt noch den Effekt, weil bei uns die Auswanderer im Unterschied zu den Entwicklungsländern keine Familie zu Hause ernähren müssen.
  • „Angestammte Einwanderungsländer sind in der Lage, wirtschaftliche Anreizstrukturen für hochqualifizierte Zuwanderer und Einheimische zu schaffen.“ – bto: … und wir nicht. Wir vergraulen qualifizierte Einheimische und ziehen unqualifizierte Ausländer an. Darauf muss man erst mal kommen! Und dann, wenn Letztere sich nicht integrieren, weil es auch am erforderlichen Niveau fehlt, dann liegt es nicht an ihnen, sondern an uns.
  • „Deutschland hingegen verbindet die Auswanderung Hochqualifizierter mit der Einwanderung Geringqualifizierter. Die auf Kosten der deutschen Steuerzahler ausgebildeten Mediziner und Ingenieure maximieren ihren persönlichen Nutzen, was nachvollziehbar und legitim ist. (…) Angestellte Ärzte in leitender Funktion verdienen in Deutschland ein Drittel dessen, was für vergleichbare Positionen in Australien oder den USA gezahlt wird. Dort reichen Jahresgehälter angestellter Ärzte bis zu 450 000 Euro. In Dänemark oder der Schweiz liegen die Gehälter immerhin beim Doppelten des deutschen Wertes.“ – bto: Und bei uns darf man dann beim 1,3-fachen Durchschnittseinkommen den Spitzensteuersatz bezahlen!
  • „Ein Assistenzarzt an einem deutschen Krankenhaus verdiente 2018 brutto rund 81 000 Euro und damit gerade einmal 4300 Euro mehr als ein Lastwagenfahrer, der in den USA für die Handelskette Walmart arbeitet. Nach Steuern und Sozialabgaben hat der Trucker ein höheres Nettoeinkommen als der deutsche Mediziner.“ – bto: Ich denke, das muss man nicht mehr kommentieren.
  • „Für die Einwanderungsländer ist die Einwanderung Hochqualifizierter ein lohnendes Geschäft. Diese Arbeitskräfte erhöhen die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung des Landes und tragen so zu einer Festigung des Lebensstandards der einheimischen Bevölkerung bei. (…) Deutschland dagegen hat mit seinem ‘brain drain’ das Nachsehen.“ – bto: Das ist Dreisatz!
  • „Die grosse Zahl von Zuwanderern mit geringer Qualifikation senkt zum einen die durchschnittliche Wirtschaftsleistung, zum anderen werden die Sozialsysteme belastet. Gerade bei den in Deutschland lebenden Flüchtlingen zeigt sich diese Problematik deutlich. Im August 2018 bezogen 6,6 Prozent der Gesamtbevölkerung, aber 63,7 Prozent der Flüchtlinge die Grundsicherung Hartz IV. Von den 1,7 Millionen Flüchtlingen, die in Deutschland registriert sind, gehen 361 000 einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Da viele Migranten nicht über eine auf dem deutschen Arbeitsmarkt nachgefragte Qualifikation verfügen, bleiben ihnen nur Hilfstätigkeiten: putzen, kellnern, schleppen.“ – bto: Also sie zahlen nicht ein, sondern kosten etwas. Die, die nichts mehr kosten (wohl aber ihre Ausbildung, die wir bezahlt haben!) und einzahlen könnten, wandern aus.
  • „Viele Beobachter meinen, dass allein die Aufnahme einer Hilfstätigkeit schon dazu führt, dass ein Zuwanderer sich selbst finanziert. Dies ist nicht der Fall. Deutschland gehört nicht nur zu den Ländern mit der höchsten Belastung von Arbeitseinkommen durch Steuern, sondern auch durch Sozialabgaben. Die Krankenversicherungsprämien eines Gutverdienenden belaufen sich in der gesetzlichen Versicherung derzeit auf etwa 830 Euro pro Monat einschließlich des hälftigen Anteils der Arbeitgeber. Der Bundesfinanzminister überweist den Krankenkassen aber lediglich rund 100 Euro pro Person und Monat. Die Besserverdienenden subventionieren die Bezieher von Sozialleistungen einschließlich der Zuwanderer.“ – bto: So ist es, die Umverteilung findet auch in den Sozialsystemen statt.
  • „Mittel- und langfristig steuert Deutschland auf eine strukturelle Krise in der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu. Leistungsträger verlassen das Land und schwächen die wirtschaftlichen Perspektiven. Den gleichen Effekt hat die Zuwanderung von Geringqualifizierten. Um diese problematische Entwicklung zu ändern, müsste die deutsche Politik dafür sorgen, dass die Steuer- und Abgabenlast sinkt und zugleich die Gehälter von Hochqualifizierten so stark steigen, dass sie im internationalen Vergleich wettbewerbsfähig werden. In der heutigen politischen Atmosphäre, die von einer übergroßen Koalition von Umverteilungsbefürwortern im Bundestag geprägt ist, ist diese Forderung nach mehr Ungleichheit und weniger Sozialleistungen indes utopisch. Es fehlt an Einsicht, welche Folgen es für Deutschland hat, dass es seine eigenen Talente nicht mehr im Land halten kann.“ – bto: Das ist ein wesentlicher Aspekt meiner Thesen in „Das Märchen vom reichen Land“.

→ nzz.ch (Anmeldung erforderlich): „Wenn Hochqualifizierte gehen und wenig Gebildete kommen – Deutschlands doppeltes Migrationsproblem“, 06. April 2019